Spruch:
Nur Fehler des Gerichtes, nicht aber Fehler im Parteienbereich können Gegenstand von Rechtsmitteln im Zivilprozeß sein. Der den Parteien für Mängel, die ausschließlich im Parteienbereich liegen, zur Verfügung stehende Rechtsbehelf ist der der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Erst zu dem Zeitpunkt, zu dem ein zur Post gegebenes Schriftstück den datumsmäßigen Postaufgabevermerk erhält, beginnt der Postenlauf. Sache des Aufgebers ist es, sich vom rechtzeitigen Beginn des Postenlaufes zu überzeugen
OGH 7. März 1973, 1 Ob 32/73 (OLG Graz 4 R 7/73; LGZ Graz 6 Cg 111/72)
Text
Gegen das Klagebegehren abweisende Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 10. November 1972, das dem Vertreter des Klägers am 4. Dezember 1972 zugestellt wurde, sollte Berufung erhoben werden. Laut Postaufgabestempel wurde die Berufung am 19. Dezember 1972 um 4 Uhr früh zur Post gegeben.
Das Erstgericht wies die Berufung als verspätet zurück.
Das Rekursgericht hob den erstgerichtlichen Beschluß auf und trug dem Prozeßgericht die Fortsetzung des gesetzmäßigen Verfahrens auf. Der Kläger habe nachweisen können, daß die Berufung nicht am 19. Dezember 1972 um 4 Uhr früh beim Postamt 1150 Wien sondern am 18. Dezember 1972 um 23 Uhr zusammen mit zwei anderen Sendungen der Post im Postamt 1010 Wien zur Beförderung übergeben worden sei; es sei nur übersehen worden, die Berufung, die als Einschreibsendung frankiert gewesen sei, tatsächlich auch als Einschreibsendung zu behandeln. Die Sendung sei daher als ungestempelt an das Postamt 1150 weitergeleitet und dort erst am 19. Dezember 1972 um 4 Uhr früh abgestempelt worden. Maßgebend für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit der Berufung sei der Zeitpunkt der Übernahme des Geschäftsstückes durch den Postbediensteten und nicht, wann bei der Post das Geschäftsstück abgestempelt wurde. Die Berufung sei daher rechtzeitig.
Der Oberste Gerichtshof stellte über den als zulässig anerkannten (EvBl. 1951/496; Fasching IV, 442) Revisionsrekurs der beklagten Partei den Beschluß des Erstgerichts wieder her.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Gemäß § 89 Abs. 1 GOG werden unter anderem bei gesetzlichen Fristen, die in bürgerlichen Rechtssachen einer Partei zur Überreichung von Schriftsätzen zustehen, die Tage des Postenlaufes in die Frist nicht eingerechnet. Die Frage, wann der Postenlauf beginne, hat den Obersten Gerichtshof bereits mehrfach beschäftigt. In seinem Plenissimarbeschluß JB 143 alt führte er dazu aus daß der Partei der ganze letzte Tag der Frist zur Einbringung befristeter Eingaben durch die Post freigelassen sei. Ihre natürliche Begrenzung finde diese Benützung der Frist nur in der Einrichtung der Aufgabestelle, indem selbstverständlich die Eingabe zu einer solchen Zeit des letzten Tages der Frist aufgegeben werden müsse, daß sie unter dem Datum des letzten Tages noch angenommen werden könne. Dieser Satz wurde von der neueren Rechtsprechung dahin präzisiert, daß das Schriftstück so rechtzeitig bei der Post aufgegeben worden sein muß, daß es auch tatsächlich noch den Postaufgabevermerk mit dem Datum des letzten Tages der Frist erhält (SZ 35/62; EvBl. 1962/421 u. a.; in diesem Sinne auch Fasching II, 671). Wenn ein Schriftstück also erst knapp vor Ablauf einer Frist zur Post gegeben wird, genügt es nicht, wenn die Postsendung mit dem Schriftsatz gerade noch am letzten Tage bei dem Postamt in den Briefkasten eingeworfen oder einem Postbediensteten formlos zur eventuellen Weiterleitung an die für die Abstempelung vorgesehene Stelle übergeben wird; die Postsendung hat vielmehr so aufgegeben zu werden, daß sie auch tatsächlich noch mit dem Datumsstempel des letzten Tages der Frist versehen wird. Erst mit dieser auch dann vom Gericht festzustellenden Handlung beginnt der Postenlauf. Sache des Aufgebers bei einer knapp vor dem Ablauf einer Frist erfolgenden Postaufgabe ist es daher, sich auch vom rechtzeitigen Beginn des Postenlaufes zu überzeugen. Das ist bei einer bescheinigten Postsendung, worunter auch eine eingeschriebene Briefsendung zu verstehen ist (§ 57 PostG), durchaus möglich, weil bei dieser die Aufgabe der Postsendung vom Postamt (mit dem mit Aufgabestempel zu versehenden Aufgabeschein) zu bestätigen ist (§ 31 PostG; § 110 PostO). Bei nichtbescheinigten Postsendungen, zu denen auch gewöhnliche Briefe gehören, ist das hingegen nicht der Fall, weil diese nur dann beim Postschalter aufzugeben sind, wenn dies mit Rücksicht auf die Zahl oder die Beschaffenheit der Postsendung erforderlich oder ausdrücklich hiefür vorgesehen ist (§ 104 PostO). Daraus ergibt sich, daß nicht bescheinigte Briefsendungen grundsätzlich in den Briefkasten einzulegen sind (Schaginger - Trpin Postgesetz und Postordnung, 378) und damit selbst dann, wenn sie ein Postbediensteter übernimmt, so behandelt werden können, als wären sie nur in einen Briefkasten eingelegt worden. Wird eine Postsendung in den Briefkasten eingelegt, besteht dann aber kein Zweifel, daß die Entwertung der Marken durch einen Poststempelabdruck erst später, also nach Aushebung und nach sonstigen internen Vorschriften, erfolgen wird. Die Regel des § 27 PostO, Briefmarken bei der Aufgabe mit dem Stempelabdruck zu entwerten, gilt daher bei nicht bescheinigten Postsendungen nicht bzw. es ist davon auszugehen, daß die Aufgabe erst mit der späteren Abstempelung als erfolgt gilt. Es besteht also kein Unterschied, ob ein nicht bescheinigter Brief in einen Straßenpostkasten oder in einen Postkasten beim Postamt eingelegt oder aber von einem Postbediensteten zur späteren Abstempelung in einen solchen Briefkasten eingelegt wird, weil ihm der Brief persönlich übergeben wurde.
Um trotz des späten Ankommens beim Postamt 1010 Wien gewährleisten zu können, daß der Postenlauf noch innerhalb der Berufungsfrist beginnt, hätte die Angestellte des Klagevertreters durch Aufgabe des die Berufung enthaltenden Briefes als eingeschriebene Postsendung bzw. Überwachung, daß die Stempelung des Aufgabedatums noch am 18. Dezember 1972 erfolgte, dafür Sorge tragen müssen, daß der Postenlauf noch rechtzeitig beginnt. Rechtlich gleichgültig ist es aber, aus welchen Gründen die Abstempelung erst nach Ablauf der Frist geschah. Es soll dabei durchaus nicht übersehen werden, daß es nur ein Versehen der Angestellten des Klagevertreters gewesen sein dürfte, daß der die Berufung enthaltende Brief, der ausreichend für eine eingeschriebene Sendung frankiert war, dann doch nicht als bescheinigte Postsendung behandelt und nicht sofort mit dem Aufgabestempel 18. Dezember 1972 versehen wurde. Daß der Brief nicht als eingeschriebene Sendung behandelt wurde, war dabei allerdings für die Angestellte des Klagevertreters erkennbar, weil ihr auch keine postamtliche Bestätigung der Aufgabe einer bescheinigten Postsendung ausgehändigt wurde. Das Versehen der Angestellten des Klagevertreters wird als ein für den Kläger unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis angesehen werden können und daher wohl eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 146 ZPO, wie sie subsidiär beantragt wurde, rechtfertigen ein Beweis, daß die erst nach Ablauf der Berufungsfrist mit einem Postaufgabestempel versehene Eingabe mit der Berufung des Klägers tatsächlich doch noch am letzten Tag der Frist zu einem Postamt gebracht und dort ohne die für die eingeschriebene Postsendung vorgesehene Weise von einem Postbediensteten übernommen wurde, ist hingegen rechtlich bedeutungslos, da sie den erst mit der Abstempelung beginnenden Postenlauf nicht vorverlegen kann.
Das Ergebnis, daß ein für das Gericht bei Prüfung der Rechtzeitigkeit eines Rechtsmittels nicht feststellbarer Mangel bei der Postaufgabe nicht in einem späteren Rechtsmittelverfahren geprüft und beachtet werden kann, entspricht allein auch den Grundsätzen, die für alle Rechtsmittel gelten. Das Wesen des Rechtsmittels, worunter nur Berufung, Revision und Rekurs verstanden werden (Fasching IV, 6; Neumann[4] 1249; Wolff Grundriß des österreichischen Zivilprozeßrechtes[2] 344; Petschek - Stagel Zivilprozeß, 361; Holzhammer Österreichisches Zivilprozeßrecht, Erkenntnisverfahren, 255), besteht nämlich darin, dagegen Abhilfe zu schaffen, wenn ein Richter nicht im Einklang mit dem Gesetz vorgegangen ist; es ist also zu prüfen, ob er dem Gesetz gemäß verfahren habe, ob er aus dem Verfahren den wahren Sachverhalt habe und ob er die festgestellten Tatbestände richtig unter richtige Rechtssätze unterstellt habe (Sperl Lehrbuch, 581); nur Mängel aus der Fehlerhaftigkeit der menschlichen Erkenntnis und der menschlichen Erkenntnisfähigkeit, die die Unrichtigkeit einer Entscheidung eines Rechtsprechungsorganes zur Folge haben, sollen Gegenstand von Rechtsmitteln sein (Fasching IV, 8; vgl. auch Wolff Grundriß, 206, 343). Nur Fehler des Gerichtes, nicht aber Fehler im Parteienbereich können also Gegenstand von Rechtsmitteln sein. Den Fehlern des Gerichtes können allerdings auch Mängel im Postbereich zugeordnet werden, soweit ein Postorgan Fehler bei einer Tätigkeit beging, die in Vollziehung einer gerichtlichen Anordnung geschahen; insbesondere Fehler bei der Zustellung gerichtlicher Ladungen oder anderer Schriftstücke können daher, vor allem dann, wenn dadurch einer Partei die Möglichkeit, vor Gericht zu verhandeln, entzogen wurde (§ 477 Abs. 1 Z. 4 ZPO), mit Rechtsmitteln bekämpft werden; dann hatte ja auch der Fehler des Postorganes einen Mangel des gerichtlichen Verfahrens und damit einen Fehler der gerichtlichen Entscheidung zur Folge.
Unter diesen, aber nur unter diesen Voraussetzungen haben dann auch die Gerichte im Rechtsmittelverfahren noch zu prüfen, ob die geltend gemachte Nichtigkeit tatsächlich vorlag. Mängel hingegen, die ausschließlich im Parteienbereich lagen, können über ein Rechtsmittel nicht behoben werden. Der Grund, warum im vorliegenden Fall der Postenlauf erst nach Ablauf der Berufungsfrist begann, liegt aber eindeutig im Bereich des Klägers und nicht in dem des Gerichtes, dies auch dann, wenn man annehmen wollte, daß die spätere Abstempelung des die Berufung enthaltenden Briefes auf eine Nachlässigkeit des Postbediensteten (vgl. Fasching II, 672) zurückzufuhren gewesen wäre. Auch durch die Übernahme des Schriftstückes wurde der Postbedienstete keineswegs Vollzieher eines gerichtlichen Auftrages. Wenn der Kläger also die Mängel bei der Aufgabe seines Berufungsschriftsatzes mittels eines Rechtsmittels geltend machte, hat er sich des unrichtigen Rechtsbehelfes bedient. Der einzige der Partei für solche Fälle zur Verfügung stehende Rechtsbehelf ist der der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das entspricht auch dem Grundsatz der österreichischen Verfahrensvorschriften, daß eine Konkurrenz mehrerer Rechtsbehelfe nicht bestehen soll (s. dazu Sprung Konkurrenz von Rechtsbehelfen im zivilgerichtlichen Verfahren, 38; vgl. zu den Ausnahmen 106).
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