Normen
Verschollenheitsgesetz §4
Verschollenheitsgesetz §7
Verschollenheitsgesetz §4
Verschollenheitsgesetz §7
Spruch:
§ 4, Abs. 1 Verschollenheitsgesetz erstreckt sich nicht auf Kriegsgefangene, die erst während der Gefangenschaft vermißt wurden.
Entscheidung vom 15. Dezember 1948, 1 Ob 308/48.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Oberlandesgericht Graz.
Text
Die Antragstellerin beantragte die Todeserklärung des Pächters ihrer Bäckerei P., der Anfang Oktober 1944 in russische Kriegsgefangenschaft geraten ist und im Mai 1945 aus dem Gefangenenlager an einen unbekannten Ort weggebracht wurde.
Während das Erstgericht P. gemäß § 4, Abs. 1 Verschollenheitsgesetz unter Bestimmung des 31. Mai 1945 als jenes Tages, den er nicht überlebt hat, für tot erklärte, wies das Rekursgericht mit dem angefochtenen Beschluß in Abänderung des erstgerichtlichen Beschlusses den Antrag auf Todeserklärung mit der Begründung ab, daß P. nach den Erhebungen zumindest am 31. Mai 1945, wenn nicht noch Ende November 1945, also nach dem 8. Mai 1945, dem Zeitpunkt des tatsächlichen Kriegsendes, noch gelebt habe, er daher nicht während der Kriegszeit vermißt worden sei oder daß dann, falls die Kriegsgefangenschaft als besonderer Einsatz gewertet würde, dieser noch nicht beendet wäre und daher die Verschollenheitsfrist noch nicht begonnen hätte.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurse der Antragstellerin nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Todeserklärung nach § 4, Abs. 1 Verschollenheitsgesetz setzt voraus, daß die betreffende Person als Angehörige einer bewaffneten Macht an einem Kriege, einem kriegsähnlichen Unternehmen oder einem besonderen Einsatz teilgenommen hat, während dieser Zeit im Gefahrgebiet vermißt worden und seitdem verschollen ist. Diese Bestimmung kann sich daher auf Kriegsgefangene überhaupt nicht beziehen, da ein Kriegsgefangener vom Augenblick seiner Gefangennahme an regelmäßig als Kriegsteilnehmer ausscheidet, nämlich eine Tätigkeit zur Unterstützung oder Förderung der bewaffneten Macht, der er angehört, nicht mehr entfalten kann. Daß § 4 des Verschollenheitsgesetzes sich nicht auf Kriegsgefangene beziehen sollte, ergibt sich auch aus der amtlichen Begründung zum Verschollenheitsgesetz, wonach die besonderen Vorschriften über die Kriegsverschollenheit nur auf solche Personen angewendet werden können, die einem besonderen Kontrollsystem unterstehen, bei denen also die Voraussetzung des Vermißtseins einwandfrei festgestellt werden kann (Sabaditsch, Gesetzgebung über Verschollenheit, S. 19). Damit kann natürlich nur ein Kontrollsystem gemeint sein, das für die bewaffnete Macht besteht, der die Person angehört, nicht aber auch jenes des Kriegsgegners. Steht daher fest, daß ein Angehöriger einer bewaffneten Macht in die Kriegsgefangenschaft des Gegners geraten ist und während dieser noch am Leben war, so kommt eine Kriegsverschollenheit und daher eine Todeserklärung nach § 4 Verschollenheitsgesetz nicht in Frage. Übrigens müßte die Person ja nach § 4, Abs. 1 des Gesetzes im Gefahrgebiet vermißt worden sein. Es müßte daher, selbst wenn man § 4 auch auf Kriegsgefangene anwenden würde, feststehen, daß sich die Person zur Zeit der letzten Kenntnis davon, daß sie noch lebte, in einem Gefahrgebiet befunden hat, also zumindest in einem solchen Teil des Hinterlandes, das zu dieser Zeit unter der Einwirkung der gegnerischen Waffen im entsprechenden Ausmaße gestanden ist. Daß letzteres bei P. zutrifft, hat weder die Rechtsmittelwerberin behauptet, noch hat das erstgerichtliche Verfahren einen Anhaltspunkt in dieser Hinsicht ergeben. Das Gebiet um Leningrad kann wohl in den ersten Maitagen 1945 nicht einmal vermutet werden, daß P. anfangs Mai 1945 noch in ein Gefahrgebiet gebracht worden ist. Das Rekursgericht hat daher mit Recht eine Todeserklärung nach § 4 Verschollenheitsgesetz abgelehnt.
Was die Anwendung des § 7 Verschollenheitsgesetz anlangt, ist eine Todeserklärung nach dieser Bestimmung gar nicht möglich; denn die Kriegsgefangenschaft allein ohne Hinzutreten besonderer Umstände, wie z. B. Ausbruch einer Seuche und dergleichen, kann nicht als Lebensgefahr im Sinne des § 7 Verschollenheitsgesetz gewertet werden. Würde aber selbst die gegenteilige Ansicht der Rechtsmittelwerberin geteilt werden, so würde die Frist des § 7 erst mit dem Ende der Gefangenschaft beginnen.
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