OGH 1Ob250/02z

OGH1Ob250/02z26.11.2002

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Helmut Werner L*****, vertreten durch Dr. Rudolf Pototschnig, Rechtsanwalt in Villach, wider die beklagte Partei Kammer für Arbeiter und Angestellte für ***** vertreten durch Dr. Rudolf Denzel und Dr. Peter Patterer, Rechtsanwälte in Villach, wegen 7.960,74 EUR sA infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 27. Juni 2002, GZ 2 R 150/02i-35, womit das Urteil des Bezirksgerichts Villach vom 25. Februar 2002, GZ 8 C 1865/99g-29, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 665,66 EUR (darin 110,94 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu bezahlen.

Text

Begründung

Der Kläger, ein der beklagten Partei zugehöriger Arbeitnehmer, wurde am 14. 8. 1997 von seinem Dienstgeber, bei dem er seit 2. 1. 1994 beschäftigt war, mit der Begründung fristlos entlassen, dass er während seines Krankenstands gesundheitsschädigendes Verhalten an den Tag gelegt habe. Der Kläger war ab 13. 7. 1997 krank gemeldet gewesen. Auf Grund des ärztlichen Befunds war Bettruhe nicht indiziert, er durfte aber nicht schwer heben oder schwer tragen. Der Kläger war ausgehfähig. Am 13. 8. 1997 hielt er sich gegen 22 Uhr gemeinsam mit einem Arbeitskollegen in seiner Werkstätte auf. Ob er dort Arbeiten - in welcher Form immer - verrichtete, war nicht feststellbar. Fest steht lediglich, dass er schmutzige Hände hatte. Auf sein Dienstverhältnis fand der Kollektivvertrag für die eisen- und metallerzeugende und -verarbeitende Industrie Anwendung. Dieser sieht für die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen im Zusammenhang mit einer ungerechtfertigten Entlassung eine Verfallsfrist von vier Monaten vor. Der Kläger erklärte seinem Dienstgeber gegenüber mit Schreiben vom 19. 8. 1997, dass er gegen die fristlose Entlassung "Einspruch" erhebe. Einige Tage nach dem Erhalt des Entlassungsschreibens führte er ein Gespräch mit einem Angestellten der beklagten Partei, der ihm nach Schilderung des Sachverhalts zusagte, sich mit dem Dienstgeber in Verbindung zu setzen. In diesem Sinne richtete er ein Schreiben an den Dienstgeber, das am 22. 10. 1997 beantwortet wurde. In dieser Antwort teilte der Dienstgeber mit, der Kläger sei am 13. 8. 1997 "in eindeutiger Arbeitsverrichtung" angetroffen worden. Deshalb habe der Disziplinarausschuss des Dienstgebers einstimmig die fristlose Entlassung ausgesprochen. Der Angestellte der beklagten Partei übermittelte dem Kläger diese Sachverhaltsdarstellung mit Schreiben vom 4. 11. 1997. Er wies darauf hin, keine Möglichkeit zu sehen, Ansprüche des Klägers gegenüber dessen Dienstgeber durchzusetzen, sofern die Angaben des Dienstgebers den Tatsachen entsprächen. In einem kurz darauf zwischen dem Angestellten der beklagten Partei und dem Kläger geführten Gespräch wurde diesem mitgeteilt, die beklagte Partei werde ihn nicht vertreten und ihm keinen Rechtsschutz gewähren; sie sei nicht bereit, weitere Veranlassungen zu treffen. Der Kläger erwiderte, ohnehin eine Rechtsschutzversicherung zu haben und nunmehr einen Rechtsanwalt aufzusuchen, um seine Ansprüche gegen den Dienstgeber durchzusetzen. Der Angestellte der beklagten Partei nahm deshalb an, dass sich der Kläger in der Folge anwaltlich vertreten lassen werde. Letzterem wurden alle maßgeblichen Unterlagen ausgefolgt, ohne ihn aber darüber aufzuklären, dass er eine kollektivvertragliche Verfallsfrist zu beachten habe. Kurz darauf - also noch Anfang November 1997 - suchte der Kläger einen Rechtsanwalt auf, dem er den Sachverhalt schilderte und sämtliche Unterlagen übergab. Der Rechtsanwalt wurde vom Entlassungstermin in Kenntnis gesetzt. Er setzte sich mit dem Angestellten der beklagten Partei in Verbindung, um sich die Ansprüche des Klägers betragsmäßig ausrechnen zu lassen. Erst im Februar 1998 konnte der Kläger das entsprechende Berechnungsblatt beim Angestellten der beklagten Partei abholen. Der von ihm beauftragte Rechtsanwalt hatte ihn nicht darauf aufmerksam gemacht, dass für die Geltendmachung seiner Ansprüche eine kollektivvertragliche Verfallsfrist zu wahren sei. Vor Ablauf der viermonatigen Verfallsfrist wurde kein Anspruchsschreiben - auch nicht dem Grunde nach - an den Dienstgeber des Klägers gerichtet. Der Angestellte der beklagten Partei war davon ausgegangen, dass der vom Kläger gewählte Rechtsanwalt ein solches Forderungsschreiben (fristgerecht) an den Dienstgeber richten werde.

Der Kläger begehrte die Zahlung von 7.960,74 EUR. Er habe die beklagte Partei mit der Geltendmachung seiner dienstvertraglichen Ansprüche beauftragt. Diese habe ihn nicht über die kollektivvertragliche Verfallsfrist aufgeklärt. Erst mit Schreiben vom 23. 3. 1998 habe der vom Kläger gewählte Rechtsanwalt dessen Forderungen geltend gemacht. Der Dienstgeber habe den Verfall der Ansprüche eingewendet. Dadurch, dass die beklagte Partei die Ansprüche des Klägers nicht geltend gemacht bzw diesen über die kollektivvertraglichen Verfallsfristen nicht aufgeklärt habe, sei ein Schaden in Höhe seiner "arbeitsrechtlichen Ansprüche" entstanden, zumal die Entlassung durch den Dienstgeber rechtswidrig erfolgt sei.

Die beklagte Partei wendete ein, sie habe dem Kläger erklärt, kein Mandat zur Einklagung der Ansprüche zu übernehmen und keinen Rechtsschutz zu gewähren. Auf die kollektivvertragliche Verfallsfrist sei hingewiesen worden. Die Entlassung sei zu Recht erfolgt, sodass ein Anspruch gegen den Dienstgeber auch nicht zustehe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Haftung der beklagten Partei sei zu bejahen, weil sie den Kläger nicht darüber aufgeklärt habe, dass er eine kollektivvertragliche Verfallsfrist beachten müsse; daraus resultiere der Umstand, dass die Ansprüche des Klägers nicht rechtzeitig geltend gemacht worden seien. Es habe sich nicht feststellen lassen, dass der Kläger während der Dauer seines Krankenstands den Anweisungen behandelnder Ärzte zuwidergehandelt und dadurch seinen Genesungsprozess erschwert oder verzögert habe. Die auf § 27 Z 1 AngG gestützte Entlassung des Klägers sei demnach nicht gerechtfertigt gewesen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach letztlich aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Dass der vom Kläger beauftragte Rechtsanwalt - ebenso wie die beklagte Partei - die kollektivvertragliche Verfallsfrist übersehen habe, exkulpiere die beklagte Partei nicht. Das Verhalten des Klägers habe nicht als genesungsprozessverzögernd qualifiziert werden können, weshalb seine Entlassung zu Unrecht erfolgt sei. Für die ihm gegen den Dienstgeber auf Grund der ungerechtfertigten Entlassung zustehenden Beträge hafte die beklagte Partei, weil sie die Frage der Verfallsfrist in Kontakt mit dem Kläger überhaupt nicht angesprochen habe.

Die Revision der beklagten Partei ist unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, die beklagte Partei hätte den ihr zugehörigen Arbeitnehmer auf die kollektivvertragliche viermonatige Verfallsfrist hinweisen müssen, ist nicht zu beanstanden. Nach dem Rechtsschutzregulativ der beklagten Partei (Blg ./1) hat diese unter anderem den ihr zugehörigen Arbeitnehmern Rechtsberatung zu erteilen. Insbesondere im Zuge der Beantwortung von Fragen, die Ansprüche eines Arbeitnehmers auf Grund einer ungerechtfertigten Entlassung betreffen, ist die beklagte Partei als Sachverständige im Sinne des § 1299 ABGB anzusehen. Wenngleich sie eine Rechtsvertretung des Klägers und eine weitergehende Rechtshilfe eindeutig ablehnte, wäre es ihre Pflicht gewesen, den Kläger auf die viermonatige Verfallsfrist hinzuweisen, muss ihren dazu eingesetzten Mitarbeitern doch gerade in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten ein besonderer Sachverstand zugemutet werden. Die Ansicht der Vorinstanzen, trotz der Ankündigung des Klägers, dass er rechtsanwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen werde, wäre eine Aufklärung über die kollektivvertragliche viermonatige Verfallsfrist geboten gewesen wäre, ist frei von Rechtsirrtum, selbst wenn die beklagte Partei darauf vertrauen durfte, dass noch innerhalb der Verfallsfrist ein Rechtsanwalt einschreiten werde. Ein allfälliges Verschulden dieses Anwalts kann an der Haftung der beklagten Partei gegenüber dem ihr zugehörigen Arbeitnehmer, der auf die Sachkenntnis der beklagten Partei vertrauen durfte, nichts ändern.

Die Frage der Haftung gemäß § 1299 ABGB wurde im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gelöst, der hier zur Entscheidung anstehende Einzelfall wirft keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auf.

Gewiss ist ein im Krankenstand befindlicher Arbeitnehmer verpflichtet, den auf die Wiederherstellung seiner Gesundheit abzielenden Anordnungen eines Arztes nach Tunlichkeit nachzukommen und diesen nicht zuwider zu handeln; eine negative Beeinflussung und/oder Verzögerung des Krankheits- bzw Heilungsverlaufs ist unzulässig. Im vorliegenden Fall ließ sich aber nicht feststellen, dass der Kläger den Heilungsverlauf negativ beeinflusst hätte, weshalb die auf § 27 Z 1 AngG gestützte Entlassung tatsächlich als ungerechtfertigt zu beurteilen war, hätte doch den die Entlassung rechtfertigenden Sachverhalt der Dienstgeber und deshalb hier, da das Verfahrensergebnis hypothetisch nachzuvollziehen ist, die sich auf rechtmäßiges Alternativverhalten berufende klagende Partei beweisen müssen. Auch in diesem Punkte zeigt die beklagte Partei keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auf.

Die Revision ist zurückzuweisen. An den gegenteiligen Ausspruch des Berufungsgerichts ist der Oberste Gerichtshof gemäß § 508a ZPO nicht gebunden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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