OGH 1Ob244/50

OGH1Ob244/5010.5.1950

SZ 23/144

Normen

ABGB §762
ABGB §765
ABGB §783
ABGB §785
ABGB §786
ABGB §951
ABGB §762
ABGB §765
ABGB §783
ABGB §785
ABGB §786
ABGB §951

 

Spruch:

Hat der Erblasser zu Lebzeiten durch Übergabsvertrag über sein ganzes Vermögen verfügt, so kann der übergangene Pflichtteilsberechtigte vom Übernehmer den Pflichtteil verlangen.

Entscheidung vom 10. Mai 1950, 1 Ob 244/50.

I. Instanz: Bezirksgericht Jennersdorf; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Die 90jährige gemeinsame Großmutter der Streitteile hat zwei Tage vor ihrem Tod ihr Vermögen durch Übergabsvertrag den beiden Beklagten übertragen. Kläger begehrt von ihnen den Pflichtteil; das Erstgericht wies ab, das Berufungsgericht hob auf.

Der Oberste Gerichtshof bestätigte den Aufhebungsbeschluß.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Aktivlegitimation des Klägers ist gegeben. Der Noterbe hat im Sinne des österreichischen Erbrechtes als solcher die Stellung eines Nachlaßgläubigers, nicht die eines Erben; er hat als solcher ein Klagerecht, das keineswegs durch Eintritt in das Verlassenschaftsverfahren etwa durch Abgabe einer Erbserklärung bedingt ist.

Ebensowenig besteht für den Kläger zur Verfolgung seines Pflichtteilsanspruches die Notwendigkeit, zunächst die Aufhebung oder Nichtigkeitserklärung des gegenständlichen Übergabsvertrages zu begehren.

Richtiger Kläger ist der Pflichtteilsberechtigte, dem der Klagsgrund der Verletzung des Pflichtteils, sei es durch unbegrundete Enterbung oder ungenügende Hinterlassung des Pflichtteils, zur Seite steht.

Dies ist hier hinsichtlich des Klägers der Fall.

Gemäß § 783 ABGB. müssen in allen Fällen, wo einem Noterben der gebührende Erb- oder Pflichtteil gar nicht oder nicht vollständig ausgemessen worden ist, sowohl die eingesetzten Erben als auch die Legatare verhältnismäßig zur vollständigen Entrichtung beitragen.

Die rechtliche Bedeutung der in dem Übergabsvertrag liegenden Vermögensentäußerung - und als solche stellt sie sich ihrem Inhalte nach dar - liegt, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, darin, daß Aloisia B. das ganze Vermögen, das sie besaß und an Erben überantworten konnte, an die beiden Beklagten bei Lebzeiten verteilt hat, während sie den Kläger leer ausgehen ließ.

Da aber die Bestimmungen des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches über den Pflichtteil der Noterben (§§ 951, 762, 765, 783, 786) von dem Grundsatze beherrscht sind, daß der Pflichtteil weder durch Schenkungen unter Lebenden noch durch letztwillige Verfügungen geschmälert werden soll, somit derjenige, welcher pflichtteilsberechtigte Abstämmlinge hat, nur über jenen Teil seines Vermögens durch Freigebigkeit verfügen kann, welcher nach dem Pflichtteil übrig bleibt, nach dem Ableben der Aloisia B. aber tatsächlich laut Abhandlungsakt A 213/48 des Bezirksgerichtes Jennersdorf kein Vermögen mehr vorhanden war, aus welchem der Pflichtteil hätte berichtigt werden können, so sind die Beklagten als diejenigen, welche das ganze Vermögen der Aloisia B. schon bei deren Lebzeiten für Rechnung ihrer Erbschaft erhalten haben, nach § 783 ABGB. verpflichtet, zur vollständigen Entrichtung des Pflichtteils des Klägers verhältnismäßig beizutragen, und ist die Verpflichtung - entgegen der Anschauung des Erstgerichtes - nicht dadurch erloschen, daß Aloisia B. bei ihrem Tode ein Vermögen nicht hinterlassen hat.

Der Oberste Gerichtshof findet daher keinen Anlaß, von den Grundsätzen, welche in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 17. Juli 1890, GlU. 13346, zum Ausdruck gelangt sind, abzugehen.

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