OGH 1Ob234/07d

OGH1Ob234/07d29.11.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Univ.-Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Hakan G*****, sowie 2. mj. Handan G***** und 3. mj. Güllü G*****, alle vertreten durch Dr. Helene Klaar Mag. Norbert Marschall Rechtsanwälte OEG in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen je EUR 25.363,81 sA und Feststellung (Streitwert je EUR 1.000), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. August 2007, GZ 14 R 69/07f-39, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Bereits das Berufungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die für die Verhängung der Untersuchungshaft erforderliche Prognoseentscheidung, ob auf Grund bestimmter Tatsachen die (konkrete) Gefahr besteht, ein Beschuldigter werde auf freiem Fuß ungeachtet des gegen ihn geführten Strafverfahrens eine gegen dasselbe Rechtsgut gerichtete strafbare Handlung mit schweren Folgen begehen, von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls abhängt. Wenn das Berufungsgericht zum Ergebnis gelangt ist, im vorliegenden Fall könne den Strafverfolgungsbehörden nicht der Vorwurf einer unvertretbaren Rechtsansicht gemacht werden, wenn sie es unterlassen haben, auf eine Verhaftung des Vaters der Kläger hinzuwirken, so kann darin keine bedenkliche Fehlbeurteilung erblickt werden, die vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit oder der Einzelfallgerechtigkeit korrigiert werden müsste. Insoweit liegt daher auch eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht vor.

2. Soweit die Revisionswerber auf die Konvention der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau sowie die Deklaration der Vereinten Nationen gegen Gewalt an Frauen hinweisen und die Auffassung vertreten, die genannte Konvention wäre „im Rahmen einer verfassungs- bzw völkerrechtlichen Interpretation" heranzuziehen gewesen, ist nicht ersichtlich, welche Normen der österreichischen Rechtsordnung in diesem Sinne interpretiert werden sollten. Schon auf Grund des Gebots der Gleichbehandlung von Mann und Frau verbietet es sich jedenfalls, die Regelungen der StPO über die Haftgründe je nachdem unterschiedlich auszulegen, ob ein Mann oder eine Frau möglicherweise das Opfer einer zukünftigen Straftat sein könnte. In beiden Fällen ist die Frage, ob in Zukunft mit einer weiteren Straftat zu rechnen ist, unter Berücksichtigung der maßgeblichen Kriterien (Anlasstat, Persönlichkeit des Beschuldigten, ua) im einzelnen Fall gleichermaßen sorgfältig zu prüfen. Das in der Revision dargelegte Gutachten des Komitees der Vereinten Nationen für die Beseitigung der Diskriminierung von Frauen vom 6. August 2007 und die darin enthaltene Empfehlung sind für die Entscheidung nicht beachtlich. Die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts und dessen rechtliche Beurteilung ist allein Sache der österreichischen Gerichte.

Schließlich unterlassen es die Revisionswerber auch, sich mit dem Schutzzweck der genannten Konvention auseinander zu setzen, was insbesondere deshalb angezeigt erschiene, weil die Konvention ersichtlich die Verhinderung von Gewalt gegen Frauen zum Ziel hat, sodass erst begründet werden müsste, warum auch (ideelle) Beeinträchtigungen der Kinder einer betroffenen Frau in den Schutzbereich fallen sollten.

3. Konkret gehen die Kläger in ihrer Revision nur auf zwei Vorfälle ein, aus denen sie (weiterhin) Amtshaftungsansprüche ableiten wollen. Soweit sie im Zusammenhang mit dem Verhalten des Notrufbeamten der Bundespolizeidirektion in der Nacht vor der Tötung ein Organisationsverschulden geltend machen wollen, wird nicht näher dargelegt, worin dies gelegen sein sollte. Der bloße Verweis, auf das „Gutachten des Komitees, wonach bei richtiger Beurteilung des Sachverhalts sehr wohl von einem kausalen, schuldhaften und rechtswidrigen Verhalten der Organe auszugehen" sei, kann eine konkrete Auseinandersetzung mit der maßgeblichen Rechtsfrage nicht ersetzen. Ebensowenig erörtern die Revisionswerber, was denn der Notrufbeamte - auch bei einer optimalen Organisation und raschem Zugriff auf die bei anderen Behörden bzw Dienststellen vorhandenen Informationen - ihrer Ansicht nach richtigerweise hätte tun sollen, um die Tat zu verhindern. Die von der Mutter der Kläger erteilte Information, sie streite immer wieder mit ihrem Mann, hätte auch unter Berücksichtigung der „Vorgeschichte" freiheitsbeschränkende Maßnahmen keinesfalls gerechtfertigt, zumal sie noch während des Telefongesprächs erklärte, ihr Mann habe mittlerweile die Wohnung verlassen.

Weiters beziehen sich die Revisionswerber auf den Vorfall vom 8. 10. 2002 und verweisen darauf, dass ihre Mutter die damalige Drohung ernst genommen habe. Auch mit ihrem Vorwurf, das Berufungsgericht habe insbesondere die Frage der Qualifikation der ausgesprochenen Morddrohung als mögliche Anlasstat „im Lichte des Gutachtens" falsch qualifiziert und ein solches „Herunterspielen von angedrohter und geübter Gewalt an Frauen widerspreche gleichfalls dem oben zitierten Gutachten des Komitees der Vereinten Nationen", unterlassen sie eine konkrete Auseinandersetzung mit der maßgeblichen Frage, aus welchen Erwägungen die Strafverfolgungsbehörden mit einer künftigen Tat mit schweren Folgen, etwa gar einer Tötung der Mutter, hätten rechnen müssen. Auch wenn es zutrifft, dass in der Vergangenheit mehrmals Gewalthandlungen stattgefunden hatten - auf die mit Anzeigen und Wegweisungen reagiert worden war -, legen die Revisionswerber nicht dar, aus welchen konkreten Tatsachen der Schluss hätte gezogen werden müssen, es seien in der Zukunft erheblich gravierendere Verletzungen oder gar die Ausführung der verbal angedrohten Tötung zu erwarten gewesen. Es wird auch nicht erörtert, warum die mit dem Fall befassten Organe damit rechnen hätten müssen, dass die Mutter der Kläger den Vater ungeachtet des verhängten Betretungsverbots regelmäßig in die Wohnung einlassen werde.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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