OGH 1Ob228/02i

OGH1Ob228/02i25.10.2002

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Friedrich H*****, vertreten durch Dr. Hans Lehofer, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei E***** Gemeinnützige Wohn- und Siedlungsgenossenschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Franz Unterasinger, Rechtsanwalt in Graz, wegen EUR 1,045.711,06 sA infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 16. Mai 2002, GZ 4 R 71/02x-128, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 17. November 2001, GZ 18 Cg 427/93a-118, aufgehoben wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Rekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Die Parteien haben die Kosten ihrer im Rekursverfahren erstatteten Schriftsätze selbst zu tragen.

Text

Begründung

Entgegen der Auffassung der Rekurswerberin ist das Berufungsgericht bei der Beurteilung der Frage, ob die beklagte Partei, die das Zustandekommen eines Kaufvertrags mit dem Kläger im Vorverfahren (erfolglos) bestritten hatte, für den durch die Nichterfüllung ihrer Vertragspflichten verursachten Schaden haftet, von der höchstgerichtlichen Judikatur nicht abgegangen. Ob eine Partei bei gehöriger Aufmerksamkeit die Aussichtslosigkeit ihres Prozessstandpunkts hätte erkennen müssen, hängt regelmäßig von den Umständen des konkreten Einzelfalls ab, sodass sich insoweit eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht stellt. Es kann auch keine Rede davon sein, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts angesichts der konkret vorliegenden Umstände als krasse Fehlbeurteilung zu qualifizieren wäre, die einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte. Dies gilt auch für die vom Berufungsgericht zur Begründung der Rekurszulassung angesprochene Frage, ob im konkreten Fall ein vom Vertragsverfasser erteilter Rat, der dem in der Folge von der beklagten Partei eingenommenen Rechtsstandpunkt im Ergebnis entspricht, geeignet ist, die Partei von einem entsprechenden Verschuldensvorwurf zu entlasten. Auch darauf kann eine Antwort nicht abstrakt, sondern stets nur unter Berücksichtigung des jeweiligen Sachverhalts gegeben werden. Nach den Ergebnissen des Vorverfahrens steht fest, dass die beklagte Partei zur Zuhaltung des mit dem Kläger geschlossenen Kaufvertrags, insbesondere daher auch zur Zahlung des Kaufpreises verpflichtet war. Sie ist dieser Verpflichtung allerdings nicht nachgekommen, sondern vielmehr bereits dem Begehren des Klägers auf Unterfertigung einer den bereits bindend vereinbarten Vertragstext enthaltenden Urkunde mit der unzutreffenden Begründung entgegengetreten, eine Willenseinigung sei noch gar nicht erfolgt.

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht hat zutreffend die Auffassung vertreten, die Inanspruchnahme verfahrensrechtlicher Möglichkeiten bilde nicht schlechthin einen Rechtfertigungsgrund (SZ 67/10 ua) und das Verhalten desjenigen, der sich in einen Prozess eingelassen hat, obwohl er bei nötiger Aufmerksamkeit hätte erkennen müssen, dass der Prozess aussichtslos ist, verpflichte zum Schadenersatz (SZ 59/159; JBl 1999, 313; 1 Ob 198/99w uva). Ebenso wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass ein Verschulden insbesondere dann vorliegt, wenn es nicht auf (vertretbare) Rechtsansichten, sondern in erster Linie auf strittige Tatfragen ankommt, die entgegen den (somit wahrheitswidrigen) Prozessbehauptungen der betreffenden Partei entschieden werden (JBl 1993, 394; 6 Ob 167/98x; Lovrek in WoBl 2000, 283 ua).

Die beklagte Partei hat ihre Verpflichtung zur Zuhaltung des Kaufvertrags im Vorverfahren mit der Begründung bestritten, bei zwei Vertragspunkten sei es zu keiner Willenseinigung gekommen, weil sie nur bereit gewesen sei, Kreditzinsen bis zu S 710.000 zu übernehmen und weil eine festgelegte Bedingung nicht eingetreten sei. Beides hat sich als unzutreffend erwiesen.

Soweit sie ins Treffen führt, ihr sei ungeachtet dessen deshalb kein Verschulden vorzuwerfen, weil ihr der vertragserrichtende Notar auf ihre Anfrage den Rat gegeben habe, den schriftlichen Kaufvertrag nicht zu unterzeichnen, weil der Vertrag nicht zustande gekommen oder die vereinbarte Bedingung nicht eingetreten sei, ist ihr entgegenzuhalten, dass sich im Vorverfahren gerade ergeben hat, dass weder eine Bedingung vereinbart wurde noch die Willenseinigung der Streitteile fehlte. Eine allenfalls gegenteilige Auskunft des Vertragserrichters musste für die Organe der beklagten Partei - im Falle wahrheitsgemäßer Information durch den vertragsabschließenden Prokuristen - ohne weiteres als unrichtig erkennbar sein. Das Berufungsgericht hat auch zutreffend dargelegt, zwar stehe der genaue Inhalt der Auskunft des Vertragsverfassers nicht fest, aber auch bei Zugrundelegung des Prozessvorbringens der beklagten Partei wäre die Aussichtslosigkeit ihres Prozessstandpunkts leicht erkennbar gewesen. Nach der Darstellung der beklagten Partei hat der Notar ihre Verpflichtung zur Vertragszuhaltung mit der Begründung verneint, die Bedingungen des Vertrags seien nicht eingehalten worden bzw die Geschäftsgrundlage sei weggefallen. Dass der Vertrag nicht unter einer besonderen Bedingung abgeschlossen wurde, steht fest. Für die im Vorprozess auch rechtsfreundlich vertretene beklagte Partei musste darüber hinaus klar sein, dass ein allfälliger Wegfall der Geschäftsgrundlage den Vertrag nicht schon an sich unwirksam macht, sondern bloß einen Anfechtungsgrund darstellen kann. Die beklagte Partei hat den Vertrag aber deshalb nicht angefochten, und zwar weder durch außergerichtliche Erklärung noch durch Prozesseinwendung. Soweit sie in ihrer Revision nun behauptet, sie hätte sich im Vorverfahren auch auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen, entspricht dies nicht den Tatsachen. An der von ihr angegebenen Stelle des Verhandlungsprotokolls hat sie zwar ihre Ansicht bekundet, die Widmung des Grundstücks sei Geschäftsgrundlage für den Kaufvertrag gewesen, dies allerdings nur im Zusammenhang mit dem Zustandekommen des Vertrags und nicht etwa mit einem nachträglichen Wegfall der Geschäftsgrundlage; die Klärung der Frage der Widmung sei für die Beurteilung des "endgültigen Zustandekommens des Vertrages wesentlich". Ob die beklagte Partei bei sorgfältiger Beurteilung zumindest mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit damit habe rechnen dürfen, dass sie den Vertrag durch Anfechtung unter Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage zur Auflösung bringen könne, kann schon deshalb dahingestellt bleiben, weil sie eine solche Anfechtung gar nicht versuchte. Schon deshalb hatte sie keine Veranlassung, einen Prozesserfolg für möglich zu halten.

Es begegnet daher keinen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der beklagten Partei wegen verschuldeter Nichterfüllung ihrer Pflichten aus dem Kaufvertrag annahm. Die im Rekurs darüber hinaus aufgeworfenen Fragen nach einem Mitverschulden des Klägers bzw einer Verletzung der Schadensminderungspflicht sowie der Schadenshöhe werden im fortgesetzten Verfahren zu klären sein.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 528a ZPO iVm § 510 Abs 3 ZPO).

Die beklagte Partei hat die Kosten ihres unzulässigen Rechtsmittels (gemäß den §§ 50, 40 ZPO) selbst zu tragen. Gleiches gilt für den Kläger, dessen Rekursbeantwortung sich deshalb als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht erforderlich erweist, weil er darin auf die Unzulässigkeit des Rekurses nicht hingewiesen hat.

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