OGH 1Ob201/13k

OGH1Ob201/13k21.11.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadtgemeinde Enns, vertreten durch Dr. Josef Weixelbaum, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 22.663,21 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 26. Juni 2013, GZ 4 R 87/13m‑16, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 14. März 2013, GZ 31 Cg 62/12x‑10, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0010OB00201.13K.1121.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.108,20 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung

1. Die Revision ist entgegen dem nach § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

2. Im Amtshaftungsverfahren ist nach der ständigen Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0050216 [T7]; RS0049955 [T2]; vgl RS0049951 [T4]) nicht wie im Rechtsmittelverfahren zu prüfen, ob die Entscheidung richtig ist, sondern ob sie auf einer vertretbaren Rechtsauffassung beruht. Diese Prüfung begründet nur im Fall einer auffallenden Fehlbeurteilung eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (RIS‑Justiz RS0049955 [T10]). Eine solche kann dem Berufungsgericht, das das Vorliegen einer unvertretbaren Rechtsauffassung verneint hat, nicht vorgeworfen werden.

3. Mit Bescheid vom 18. 5. 2007 wurde eine Teilfläche eines Grundstücks zu Gunsten der Amtshaftungsklägerin, einer Stadtgemeinde, enteignet. Die Enteignungsentschädigung wurde mit 11.875,50 EUR festgesetzt. Im gerichtlichen Entschädigungsverfahren wurde die Klägerin zu einer weiteren Entschädigung sowie zum Ersatz der Verfahrenskosten verpflichtet. Grundlage für die Festsetzung der Enteignungsentschädigung war ein gerichtliches Sachverständigengutachten, das das Grundstück als „Grünland mit Entwicklungspotential“ einstufte und auf diese Weise zu einem höheren Verkehrswert als dem von Grünland kam. Die Klägerin (Revisionswerberin) wirft den Gerichten des Anlassverfahrens eine willkürliche und rechtlich unvertretbare Einstufung des enteigneten Grundstücks in eine Kategorie vor, die in keiner Rechtsvorschrift anerkannt sei.

4. Dass für die Bewertung eines Grundstücks neben der bestehenden Widmung auch realistisch beurteilte künftige Verwendungsmöglichkeiten samt ihrer Auswirkung auf den Marktwert entscheidend sind, wenn sie im Zeitpunkt der Enteignung als wahrscheinlich vorausgesehen werden können, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RIS‑Justiz RS0058043; vgl RS0057981; vgl RS0053483; zuletzt 3 Ob 46/11b; 5 Ob 169/11f je mwN [krit zur Einstufung als Bauerwartungsland bei bloßer Möglichkeit der Umwidmung: Kerschner , Bauerwartungsland, ZLB 2013/38]).

5. Im vorliegenden Fall hat der Sachverständige im gerichtlichen Entschädigungsverfahren auf die festgestellten tatsächlichen Verhältnisse (Lage des enteigneten Objekts an der Grenze zu bebauten Grundstücken/Einfamilienhaussiedlungen, unmittelbar bzw in der Nähe vorhandene Infrastruktureinrichtungen sowohl technischer wie auch sozial‑kultureller Natur) sowie im Zusammenhang mit der tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeit einer Umwidmung auf das Ausmaß vorhandener Baulandreserven verwiesen und (auch) damit begründet, warum er trotz der bei der Enteignung bestehenden Widmung „Grünland“ von einem erhöhten Verkehrswert des Grundstücks, der aber noch unter jenem für Bauerwartungsland lag, ausging.

6. Ob eine Liegenschaft als landwirtschaftlich genutztes Grünland, als Bauerwartungsland oder als Bauland anzusehen und dementsprechend zu bewerten ist, betrifft nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RIS‑Justiz RS0007824) eine nicht vom Sachverständigen, sondern aufgrund der gesamten Verfahrensergebnisse vom Gericht zu beantwortende Rechtsfrage, wie die Revisionswerberin auch grundsätzlich zutreffend aufzeigt. Legen die Gerichte der Entscheidung über die Festsetzung der Enteignungsentschädigung aber die tatsächlichen Ausführungen des Sachverständigen zugrunde, beantworten sie Fragen auf der Tatsachenebene (3 Ob 46/11b). Die Übernahme derartiger Schlussfolgerungen eines gerichtlichen Sachverständigen (sofern sie nicht den Denkgesetzen widersprechen), kann schon aus diesem Grund nicht als unvertretbare rechtliche Beurteilung angesehen werden.

7. Die Übernahme des vom Sachverständigen verwendeten Begriffs „Grünland mit Entwicklungspotential“ wäre zwar der rechtlichen Beurteilung zuzuordnen. Mit der Kritik, man habe damit etwas erfunden, was in keiner Rechtsvorschrift existiere, übersieht die Revisionswerberin aber, dass dies genauso auf die Kategorie Bauerwartungsland (auch Bauhoffnungsland), deren Existenz sie ja selbst zugesteht, zutrifft ( Kerschner aaO; vgl RIS‑Justiz RS0099352). Zudem wurde eine Bewertung nach Zwischenstufen („mehr als Grünland, weniger als Bauerwartungsland“) in der Literatur bereits befürwortet ( Funk / Hattinger / Hubner/Stocker in Bienert/Funk , Immobilienbewertung Österreich 2 , 195 mit graphischer Darstellung [„höherwertiges Grünland“]). Da die Beurteilung der zukünftigen Wahrscheinlichkeit einer Umwidmung von Grünland in Bauland und der Reaktion des Marktes auf tatsächlich und rechtliche Möglichkeiten einer solchen Änderung der Flächenwidmung und auch die Bewertung betroffener Grundstücke immer einen gewissen spekulativen Charakter hat (vgl Rummel , Bewertung von Bauerwartungsland, Der Sachverständige 2002, 115) und keine gesetzlichen Vorgaben für die Bewertung einer Liegenschaft als Bauerwartungsland bestehen, ist den Vorinstanzen keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung vorzuwerfen, wenn sie die Festsetzung der Enteignungsentschädigung im Anlassverfahren als noch vertretbar angesehen haben.

8. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

9. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO. Die beklagte Partei hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen.

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