OGH 1Ob189/48

OGH1Ob189/4830.6.1948

SZ 21/110

Normen

ZPO §492
ZPO §503 Z1
ZPO §492
ZPO §503 Z1

 

Spruch:

§ 492 ZPO.: Zum Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung.

Entscheidung vom 30. Juni 1948, 1 Ob 189/48.

I. Instanz: Landesgericht Salzburg; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Das Prozeßgericht hat über Klage und Widerklage die Ehe der Streitteile geschieden und hiebei das Verschulden beider Ehegatten bei Überwiegen des Verschuldens des beklagten Mannes festgestellt und außerdem diesen zur Zahlung eines Unterhaltsbetrages verurteilt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge.

Die Revision des Beklagten blieb ohne Erfolg.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Revision des Beklagten macht in erster Linie Nichtigkeit des Berufungsurteiles geltend, indem sie davon ausgeht, daß das Berufungsgericht es unterlassen habe, eine mündliche Berufungsverhandlung anzuberaumen. Das Berufungsgericht vertrat in seinem Urteil den Standpunkt, daß der Beklagte als Berufungswerber eine mündliche Berufungsverhandlung gemäß § 492 ZPO. nicht beantragt habe, und dies auch seitens der Klägerin nicht geschehen sei, die auch keine Berufungsmitteilung erstattet hat.

Die deshalb zunächst aus dem Gründe des § 503, Z. 1 ZPO. erhobene Revision ist nicht begrundet. Allerdings hat der Berufungswerber in der Berufungsschrift folgenden Antrag gestellt: "Ich beantrage die Wiederholung der sämtlichen vom erkennenden Richter durchgeführten Beweisanträge durch das Berufungsgericht, also eine Wiederholung des gesamten Beweisverfahrens, umsomehr als die unrichtige Würdigung der erhobenen Beweise auch noch zu falscher rechtlicher Beurteilung der Sache in bezug auf das Verschulden geführt hat". Im Berufungsantrag selbst hat der Berufungswerber noch folgendes beantragt: "Aufhebung des angefochtenen Urteiles und Wiederholung des Beweisverfahrens vom Berufungsgerichte und Entscheidung in der Sache selbst im Sinne des Begehrens meiner Widerklage".

Es handelt sich daher lediglich um die Frage, ob bei dem dargestellten Sachverhalte aus der Tatsache, daß ein ausdrücklicher Antrag auf Anordnung einer mündlichen Berufungsverhandlung fehlt, dennoch das Berufungsgericht verpflichtet gewesen wäre, eine mündliche Berufungsverhandlung anzuordnen. Der Streit in der Lehre, in welcher Form die mündliche Berufungsverhandlung verlangt werden soll,besteht seit der Einführung dieser Bestimmung durch die Fünfte Gerichtsentlastungsnovelle (Art. III, Punkt 14). So hält Neumann, 4. Auflage (zu § 492 ZPO.) für die Annahme eines Verzichtes nur eine einschränkende Auslegung für zulässig. Hellmer aber vertritt in GZtg. 1926, S. 140 den Standpunkt, daß z. B. der Ausdruck "ich werde bei der mündlichen Berufungsverhandlung beantragen ..." ohne daß die Anberaumung ausdrücklich begehrt werden müsse, nach § 492, Abs. 1 ZPO. genüge.

Der Oberste Gerichtshof ist jedoch der Meinung, daß in dem Falle, als der Berufungswerber die Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung wünsche, er dies ausdrücklich mit den Worten des Gesetzes, das im § 492, Abs. 1 ZPO. ein "Beantragen" verlangt, zum Ausdruck zu bringen habe. Auf die Auslegung von Erklärungen, aus denen ein solcher Antrag geschlossen werden könnte, wie "ich werde bei der mündlichen Verhandlung die Wiederholung der Beweise beantragen" oder "ich behalte mir für die mündliche Verhandlung ... vor" usw. einzugehen, ist der Oberste Gerichtshof nicht gehalten. Solche Redewendungen müssen unberücksichtigt bleiben. Der Oberste Gerichtshof hält daran fest, daß der Berufungswerber die mündliche Berufungsverhandlung ausdrücklich beantragen muß. (Siehe Entscheidungen in den Manz'schen Ausgabe der ZPO. aus 1934 zu § 492 unter Nr. 9). Aus dem Gebrauche des Wortes "ausdrücklich" in § 492, Abs. 1 ZPO., vor allem aber aus dem Motivenberichte zur Fünften Gerichtsentlastungsnovelle, welche dem § 492 ZPO. seine gegenwärtige Fassung gab, erhellt, daß dieses Verlangen nach einer eindeutigen Stellungnahme des Berufungswerbers zur Frage der mündlichen Berufungsverhandlung den Zweck verfolgt, den Berufungsgegner vor der Gefahr zu bewahren, in Unkenntnis der Rechtsübung betreffend die Annahme eines stillschweigenden Verzichtes auf die Anberaumung der mündlichen Berufungsverhandlung zu warten. Es zeigen auch die Motive, daß durch die Novellierung die Anberaumung der mündlichen Berufungsverhandlung, wenn diese von der Sache nicht erfordert wird, möglichst verhindert werden soll, und es entspricht daher der Absicht des Gesetzgebers, wenn im Zweifel ein Verzicht angenommen wird (ZBl. 1934, Nr. 374).

Diesen vom Gesetze geforderten Antrag hat aber der Berufungswerber im vorliegenden Falle nicht gestellt. Wohl wird nach vereinzelten Entscheidungen (SZ. VIII/176; ZBl. 1926, Nr. 250) eine stereotype Wendung für das Begehren um Anordnung einer Berufungsverhandlung vom Gesetze nicht gefordert (siehe auch die Bemerkungen Petschek's zu dieser letztgenannten Entscheidung). Die übrige Lehre, wie Sperl, Lehrbuch, S. 609 f., und Pollak, System, S. 743 f., ist sich darüber einig, daß die mündliche Berufungsverhandlung ausdrücklich beantragt werden muß, wobei der Antrag das Gericht ohne Rücksicht darauf bindet, ob er zweckmäßig ist oder nicht, welche Frage das Berufungsgericht nicht zu prüfen hat. Diesem den Parteien zuerkannten formellen Recht steht das Recht des Gerichtes gegenüber, eine mündliche Berufungsverhandlung selbst dann anzuordnen, wenn die Parteien auf eine solche verzichtet haben, falls das Berufungsgericht diese für notwendig erachtet. Aus dieser Gegenüberstellung der beiderseitigen Rechte erklärt sich am deutlichsten die Verpflichtung der Parteien, die Berufungsverhandlung ausdrücklich zu beantragen.

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