Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.189,44 EUR (darin enthalten 198,24 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung zu ersetzen.
Text
Begründung
Die Klägerin erstattete im Jahr 1993 Anzeige gegen diverse Erzieher und Ordensleute wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs an ihrem damals unmündigen Sohn. Die Beklagte war damals die Untersuchungsrichterin, die das Strafverfahren vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien letztlich im Jahr 1996 eingestellt hat. Seit dem Jahr 2000 befindet sie sich im dauernden Ruhestand.
Am 7. 7. 2010 strahlte der ORF im Fernsehprogramm aus Anlass einer im Jahr 2010 durch die Kommission für Missbrauchsopfer eingebrachten Anzeige einen einschlägigen Beitrag aus. Einleitend wurde die bisherige Historie zum möglichen Missbrauchsfall des Sohnes der Klägerin Anfang der 90er‑Jahre kurz vorgestellt. Zu Beginn des folgenden Berichts wurde ein (geschnittenes) Interview mit der Beklagten eingeblendet, das folgendermaßen angekündigt wurde: „Sie kennt den Fall ganz genau und kann sich auch sehr gut daran erinnern: Die ehemalige *****‑Politikerin hat als Untersuchungsrichterin damals in den 90er‑Jahren auch den aktuellen Fall in Strebersdorf zu behandeln gehabt.“ Während des Interviews wurde die Beklagte mit dem Textinsert „*****, ehemalige U‑Richterin“ eingeblendet.
Das Interview mit der Beklagten hatte folgenden Inhalt:
Fragesteller: „Wundert es Sie, dass das jetzt genau wieder auftaucht?“
Beklagte: „Ich glaube, dass viele Leute versuchen, sich da eine gewisse Entschädigung in Geldform zu verschaffen, und glauben, dass sie jetzt entschädigt werden für verschiedene Dinge, egal wie sie passiert sind.“
Fragesteller: „***** hat den Fall nach einigem Hin und Her einstellen lassen. Sie steht noch heute dazu.“
Beklagte:
„Ich habe sehr genau geprüft, habe etliche Zeugen einvernommen und ich glaube, das kann ich sagen, ohne dass ich meiner Amtsverschwiegenheit widerspreche, dass die Mutter nach der Einvernahme Behauptungen aufgestellt hat, die ganz einfach nicht der Wahrheit entsprachen.“
Derartige Äußerungen waren auch zuvor bei einem telefonischen Kontakt mit dem späteren Interviewpartner gefallen. Die Beklagte hatte zugestimmt, diese Aussagen ein weiteres Mal vor der Kamera abzugeben.
Die Klägerin begehrt, die Beklagte zu verpflichten, die Verbreitung unwahrer und ehrenbeleidigender Behauptungen über die Klägerin im Zusammenhang mit Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs an ihrem Sohn zu unterlassen, sowie zum Widerruf dieser Behauptungen und dessen Veröffentlichung zu verurteilen.
Die Beklagte wendete insbesondere Unzulässigkeit des Rechtswegs ein. Sie sei Richterin im dauernden Ruhestand und habe die inkriminierten Äußerungen in ihrer Eigenschaft als für ein bestimmtes Verfahren zuständige Untersuchungsrichterin abgegeben.
Das Erstgericht wies die Klage zurück. Die Beklagte sei bei Abgabe der inkriminierten Äußerungen in einem Interview als Organ und als solches in Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben tätig geworden. Sie sei in ihrer Eigenschaft als in dem Verfahren zuständige Untersuchungsrichterin vom ORF zu den neuerlich erhobenen Vorwürfen und der damit im Zusammenhang stehenden Anzeige gegen einen Orden befragt worden. Von Äußerungen einer Privatperson oder einem rein privaten Handeln könne daher nicht gesprochen werden. Es spiele auch keine Rolle, dass sich die Beklagte zum Zeitpunkt der inkriminierten Behauptungen bereits in dauerndem Ruhestand befunden hätte. Sowohl die Organstellung als auch die Haftung eines Rechtsträgers für rechtswidriges Verhalten seiner Organe ende nicht mit dem Eintritt des Ruhestands.
Das Rekursgericht verwarf die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf. Es bewertete den Entscheidungsgegenstand mit einem 5.000, nicht aber 30.000 EUR übersteigenden Betrag und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu. In seiner rechtlichen Beurteilung führte es aus, dass ein zum Zeitpunkt seines Handelns ‑ hier sogar offengelegt ‑ längst in Ruhestand befindlicher vormaliger Organwalter keine Organfunktion mehr habe, in deren Rahmen er hoheitliche Akte setzen könnte. Nunmehrige Äußerungen über seinerzeit zur Kenntnis gelangte Umstände seien mangels aktuell wahrzunehmender Dienstpflichten rein privater Natur.
Der dagegen erhobene Rekurs der Beklagten ist zulässig, aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RIS‑Justiz RS0031951) kann eine Person, die in ihrem Erwerb oder Fortkommen durch Äußerungen eines Organs iSd § 1 AHG Schaden erleidet, die Haftung des Rechtsträgers ‑ Rechtswidrigkeit unterstellt ‑ nach diesem Gesetz in Anspruch nehmen. Unterlassungs-, Widerrufs- und Beseitigungsklage gegen das Organ sind dann unzulässig. Grundvoraussetzung ist somit, dass die Äußerungen von einem Organ iSd § 1 AHG stammen (1 Ob 208/10k = JBl 2011, 648 mwN).
2. Entscheidend für die Zulässigkeit des Rechtswegs ist demnach, ob die Beklagte, eine seit dem Jahr 2000 im (nach der Rechtslage vor der Dienstrechtsnovelle 2012 noch dauernden) Ruhestand befindliche Richterin, zum Zeitpunkt der Abgabe der inkriminierenden Äußerungen im Jahr 2010 als Organ des Bundes tätig war.
3. Nach § 1 Abs 2 AHG sind Organe im Sinne dieses Bundesgesetzes alle physischen Personen, wenn sie in Vollziehung der Gesetze (Gerichtsbarkeit oder Verwaltung) handeln, gleichviel, ob sie dauernd oder vorübergehend oder für den einzelnen Fall bestellt sind, ob sie gewählte, ernannte oder sonst wie bestellte Organe sind und ob ihr Verhältnis zum Rechtsträger nach öffentlichem oder privatem Recht zu beurteilen ist.
4. Organstellung wird nicht durch Ausübung einer bestimmten Tätigkeit, die ihrem Inhalt nach die Ausübung einer hoheitlichen Funktion darstellen könnte, erlangt. Sie setzt einen bestimmten formellen Akt des Rechtsträgers voraus, der eine Person mit der Erfüllung bestimmter hoheitlicher Aufgaben betraut oder sie dazu ermächtigt ( Schragel , AHG 3 Rz 25).
5. Ein Richter erhält nach § 25 Abs 1 Richter‑ und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz (RStDG), zuvor Richterdienstgesetz (RDG), BGBl 1961/305, seine erste und jede spätere Planstelle durch Ernennung. Nach § 77 Abs 1 RStDG kann ein Richter nur bei einem Gericht, für das er ernannt ist, verwendet werden, soweit in den Abs 2 bis 6 und 8 sowie in den §§ 65a, 78 und 78a nichts anderes bestimmt ist.
6. Das Dienstverhältnis des Richters wird nach § 100 Abs 1 RStDG unter anderem aufgelöst durch Austritt (Z 1), Begründung eines unbefristeten Dienstverhältnisses zu einem Land (zur Gemeinde Wien) als Mitglied eines unabhängigen Verwaltungssenats (Z 5) oder Eintritt der Unzulässigkeit der Zurückziehung eines Antrags auf Leistung eines besonderen Erstattungsbetrags an das Versorgungssystem der Europäischen Union nach § 2 Abs 2 des EU‑Beamten‑Sozialversicherungsgesetzes (EUB‑SVG) oder an die Pensionsversicherung für das Staatspersonal nach § 2 Abs 2 des Bundesgesetzes über die Leistung eines besonderen Erstattungsbetrages anlässlich der Aufnahme in ein Dienstverhältnis zum Fürstentum Liechtenstein als Richter oder Staatsanwalt (Z 6).
7. Nach § 100 Abs 4 Satz 1 RStDG sind diese Bestimmungen auch auf Richter des Ruhestands anzuwenden. Ansonsten wird das Dienstverhältnis als Richter des Ruhestands nur durch die Rechtskraft der Disziplinarstrafe nach § 159 lit c oder durch Verurteilung durch ein inländisches Gericht wegen einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener strafbarer Handlungen zu einer Freiheitsstrafe bei Vorliegen bestimmter, nicht näher zu erörternder Voraussetzungen aufgelöst (Satz 2 leg cit).
8. Auch im Ruhestand bleiben einige der im sechsten Abschnitt des ersten Teils des RStDG geregelten Pflichten des Richters aufrecht. So hat er nach § 57 Abs 4 RStDG das Standesansehen angemessen zu wahren und ist nach § 58 Abs 4 leg cit weiterhin zur Amtsverschwiegenheit verpflichtet. Sonst sieht das Gesetz weitere Aufgaben und Pflichten nicht vor. Im Ruhestand befindliche Richter unterliegen nach § 158 RStDG wegen eines im aktiven Dienstverhältnis begangenen Dienstvergehens oder grober Verletzung der ihnen nach diesem Bundesgesetz im Ruhestand obliegenden Verpflichtungen der disziplinären Verantwortlichkeit.
9. Dass die Versetzung in den (dauernden) Ruhestand das Dienstverhältnis von Richtern nach den zitierten Bestimmungen des RStDG nicht auflöst und diese auch danach gewissen Pflichten sowie der disziplinären Verantwortlichkeit unterliegen, bedeutet aber nicht die Fortdauer ihrer mit der Ernennung erlangten Stellung als Organ, das in Vollziehung der Gesetze hoheitlich handelt. Nach seiner Versetzung in den Ruhestand ist ein Richter nicht mehr befugt, weiterhin in seiner bisher ausgeübten hoheitlichen Funktion für die Justiz tätig zu werden.
Auch wenn das RStDG keine Regel über den Verlust der Planstelle mit Beginn des Ruhestands des Richters (als Gegenstück zu § 25 Abs 1 RStDG) enthält, liegt ihm ebenso wie dem BDG (vgl dessen § 207a Abs 3) das Konzept zugrunde, dass mit dem Ruhestand die Planstelle des Richters frei wird und damit dessen Amtsstellung endet. Wird beispielsweise anstatt des pensionierten Richters ein anderer Richter auf dessen frühere Planstelle ernannt, wäre es auch absurd anzunehmen, dass beide Richter nebeneinander Recht sprechen könnten. Erklärt ein Richter seinen Austritt aus dem Dienstverhältnis, kann er diese Erklärung nach § 100 Abs 3 Satz 2 RStDG jedenfalls nicht mehr widerrufen, wenn seine Planstelle bereits im Amtsblatt zur Wiener Zeitung zur Besetzung ausgeschrieben worden ist. Damit bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass hoheitliche Funktionen des früheren und des künftigen Richters nicht gleichzeitig bestehen können. Es geht daher im vorliegenden Fall nicht um eine Überschreitung der Kompetenzen eines Organs oder einen Missbrauch seiner Befugnisse, die nach der ständigen Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0103735; nur zum Missbrauch eines Amts: RS0050113) als hoheitliches Handeln anzusehen sind, sondern um die Beendigung der Organstellung iSd § 1 Abs 2 AHG durch Versetzung in den Ruhestand (vgl Loebenstein/Kaniak , AHG 33).
10. Gibt demnach ein Richter nach Versetzung oder Übertritt in den Ruhestand (hier noch dazu ein Jahrzehnt später) ein Interview, das sich auf seine richterliche Tätigkeit während des aktiven Diensts bezieht, so äußert er sich als Privatperson und nicht als Organ, wie schon das Rekursgericht zutreffend (§ 510 Abs 3 iVm § 528a ZPO) erkannt hat. Als solche kann er auf Unterlassung, Widerruf und Veröffentlichung des Widerrufs geklagt werden, der Schutz des § 9 Abs 5 AHG kommt ihm nicht zugute.
11. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 und § 50 Abs 1 ZPO.
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