European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00178.22S.1122.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Bestandrecht
Spruch:
Beide außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Der Antrag der Klägerin auf Zuspruch der Kosten ihrer Revisionsbeantwortung wird gemäß § 508a Abs 2 Satz 2 ZPO abgewiesen.
Begründung:
[1] Die Klägerin hatte der Beklagten eine Schutzhütte verpachtet und erhebt nun Pachtzins- und Räumungsklage. Die Vorinstanzen wiesen einen Großteil des Zahlungsbegehrens ab, weil die Schutzhütte während des Lockdowns vom 3. 11. 2020 bis 18. 5. 2021 zur Gänze unbrauchbar gewesen sei (§ 1104 ABGB). Da dennoch ein Pachtzinsrückstand vorlag, gaben sie dem diesbezüglichen Zahlungs- und dem Räumungsbegehren statt.
Rechtliche Beurteilung
[2] Die außerordentlichen Revisionen beider Parteien sind mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig.
1. Zur außerordentlichen Revision der Klägerin:
[3] 1.1. Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung ist die COVID‑19-Pandemie als „Seuche“ iSd § 1104 ABGB zu werten (RS0133812). Führen aufgrund dieser Pandemie durch Gesetz oder Verordnung angeordnete Betretungsverbote für Geschäftsräume in Bestandobjekten zu deren gänzlicher Unbenutzbarkeit, ist sowohl auf Miet- als auch auf Pachtverträgen § 1104 ABGB anzuwenden; bloß teilweise Unbenutzbarkeit führt hingegen zur Anwendung des zwischen Miet- und Pachtverträgen differenzierenden § 1105 ABGB (9 Ob 31/22g). Ob gänzliche oder nur teilweise Unbrauchbarkeit vorliegt, ist – ausgehend vom vereinbarten Geschäftszweck – anhand eines objektiven Maßstabs zu beurteilen, wobei die Beweispflicht für die mangelnde Brauchbarkeit den Bestandnehmer trifft (8 Ob 131/21d; 4 Ob 218/21v). Bei der Beurteilung der Brauchbarkeit kommt es stets auf die Umstände des Einzelfalls an (RS0021054 [T5]).
1.2. Im vorliegenden Fall überschreitet die Annahme gänzlicher Unbrauchbarkeit nicht den Beurteilungsspielraum des Berufungsgerichts:
[4] Nach der ausdrücklichen Regelung in § 8 Abs 2 der 2. bis 4. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung galten Schutzhütten als Beherbergungsbetriebe, deren Betreten nach § 8 Abs 1 dieser Verordnungen zum Zweck der Inanspruchnahme von Dienstleistungen untersagt war. Das Betretungsverbot war zwar nach § 8 Abs 3 Z 4 der Verordnungen „zu Ausbildungszwecken gesetzlich anerkannter Einrichtungen“ durchbrochen. Dass die Beklagte eine solche Einrichtung wäre, behauptet aber nicht einmal die Klägerin.
[5] Zwar kann die objektiv bestehende Möglichkeit, ein Liefer- oder Abholservice anzubieten, eine zumindest teilweise Brauchbarkeit begründen. Das trifft aber dann nicht zu, wenn – etwa aufgrund des fehlenden Kundenkreises – ein nachhaltiges Verlustgeschäft zu erwarten gewesen wäre (8 Ob 131/21d = RS0021044 [T4]). Dass dies hier nach Annahme der Vorinstanzen der Fall war, ist im Hinblick auf die exponierte Lage und die fehlende Verkehrsanbindung der Schutzhütte jedenfalls vertretbar. Das bloße Belassen des Inventars in den Räumen ist keine „Nutzung“des Bestandobjekts zum vertraglich vereinbarten (Geschäfts‑)Zweck (3 Ob 78/21y). Nichts anderes kann für das Belassen von eingelagerten Lebensmitteln gelten, die zur Zubereitung und Verköstigung künftiger Gäste des Betriebs bestimmt waren, dann aber wegen der Betretungsverbote nicht in diesem Sinn verwendet werden konnten. Daraus konnte die Beklagte ebenso wenig einen dem Geschäftszweck zuzuordnenden Gebrauchsnutzen ziehen wie aus der bloßen Erhaltung und Verwaltung des Pachtobjekts. Auf Fragen der Beweislast kommt es in diesem Zusammenhang wegen der ohnehin getroffenen Feststellungen nicht an.
[6] 1.3. Die Reichweite eines vertraglichen Gewährleistungsverzichts ist durch Auslegung zu ermitteln (RS0018564 [T13]). Ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, begründet nur dann eine erhebliche Rechtsfrage, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RS0042936). Ein solches zeigt die Klägerin nicht auf:
[7] Das Berufungsgericht hat die Klausel imPachtvertrag, wonach die Verpächterin keine Gewähr für einen bestimmten Ertrag oder einen bestimmten Zustand des Pachtobjekts leistet, nicht auf außerordentliche Zufälle iSd § 1104 ABGB bezogen, weil es dabei nicht um die Einhaltung einer Parteienvereinbarung über einen bestimmten Zustand des Bestandobjekts gehe. Dem setzt die Klägerin bloß ihre Ansicht entgegen, dass auch § 1104 ABGB unter den Gewährleistungsausschluss falle, weil danach keine Gewähr für einen bestimmten Ertrag geleistet werde. Daraus allein kann aber nicht (zwingend) abgeleitet werden, dass die Parteien auch die Gefahrtragungsregel des § 1104 ABGB abbedingen wollten.
[8] 1.4. Ob § 1108 ABGB auch auf die Unternehmenspacht anzuwenden ist (dafür Höllwerth in GeKo Wohnrecht I § 1108 ABGB Rz 2; dagegen Riss in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.02 § 1108 Rz 2; Pesek in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 1108 Rz 4) kann dahin gestellt bleiben. Denn die Klägerin bekämpft nicht die selbständig tragfähige Alternativbegründung des Berufungsgerichts (RS0118709 [T7]), dass eine Anzeige des schädigenden Ereignisses durch die Beklagte schon deshalb unterbleiben durfte, weil eine Verhinderung der Gebrauchsbeeinträchtigung durch die Klägerin gar nicht möglich gewesen wäre.
2. Zur außerordentlichen Revision der Beklagten:
[9] 2.1. Die Vorinstanzen konnten nicht feststellen, dass es im Mai 2021 (nur dieser Monat ist hier strittig) zu Wassereintritten wegen des undichten Daches kam. Damit kommt es auf die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte habe durch vorbehaltlose Zinszahlung konkludent auf ein Zinsminderungsrecht verzichtet, nicht an. Zudem bekämpft die Beklagte nicht die Alternativbegründung des Berufungsgerichts, dass eine Zinsminderung schon wegen des Gewährleistungsverzichts ausgeschlossen sei.
[10] 2.2. Wieso die Unbrauchbarkeit iSv § 1104 ABGB erst mit der Aufnahme des Gondelbahnbetriebs zu Pfingsten und nicht schon mit dem Ende des „Lockdowns“ fünf Tage zuvor weggefallen sein soll, legt die Beklagte nicht nachvollziehbar dar. Der Nichtbetrieb beruhte in dieser Zeit nicht (mehr) auf einer pandemiebedingten Maßnahme, sondern ausschließlich darauf, dass die Bahn wie jedes Jahr zwischen Ostern und Pfingsten stillgelegt war.
[11] 2.3. Ob in Bezug auf jenen Teil des Zinsbegehrens, der sich aus der Wertsicherungsklausel ergibt, eine gehörige Mahnung iSv § 1118 ABGB vorlag, kann dahinstehen. Denn die Beklagte war auch ohne Berücksichtigung der Wertsicherung mit einer Zinszahlung von über 300 EUR im Verzug. Darin liegt kein – allenfalls die die Auflösung des Vertrags nicht rechtfertigender – bloßer „Bagatellbetrag“ (worunter geringe Centbeträge zu verstehen sein könnten; vgl Lovrek in Rummel/Lukas, ABGB4 § 1118 Rz 81).
[12] 2.4. Rechtsmissbrauch ist nur über Einwand wahrzunehmen, wobei das Unterbreiten des erforderlichen sachlichen Substrates genügt (RS0016519). Insofern hat schon das Berufungsgericht zutreffend darauf verwiesen, dass das diesbezügliche Rechtsmittelvorbringen gegen das Neuerungsverbot verstieß. Davon abgesehen liegt Rechtsmissbrauch nach ständiger Rechtsprechung nur vor, wenn das unlautere Motiv einer Rechtsausübung das lautere Motiv eindeutig überwiegt. Der Schädigungszweck muss so augenscheinlich im Vordergrund stehen, dass andere Ziele der Rechtsausübung völlig in den Hintergrund treten (RS0026265 [T8, T14]). Dazu erstattet die Beklagte auch in dritter Instanz kein konkretes Vorbringen.
[13] 2.5. Für die nicht freigestellte und daher zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung nicht notwendige Revisionsbeantwortung der Klägerin gebührt kein Kostenersatz (RS0043690 [T6, T7]).
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