European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E133336
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.503,75 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die im Jahr 2017 verstorbene Mutter des Klägers hinterließ drei Söhne. Zum Erben ist aufgrund ihres Testaments vom Jänner 2015 einer der beiden Brüder des Klägers berufen. Der Kläger und der andere Bruder – der wegen Drogenschmuggels zu einer Freiheitsstrafe von zwanzig Jahren verurteilt und schon seit zehn Jahren in Kenia inhaftiert war – wurden auf den Pflichtteil gesetzt. Die Verstorbene verfügte im Testament, sie erwarte von diesem (in Kenia inhaftierten) Sohn, dass er sich des Pflichtteils entschlage, andernfalls seien sämtliche zu Lebzeiten erbrachte Zuwendungen an ihn auf seinen Pflichtteil anzurechnen.
[2] Der Kläger macht im Wege der Amtshaftung den Ersatz eines Schadens von 28.507,64 EUR als Differenz zwischen dem (als Pflichtteil) erhaltenen Geldbetrag und dem sich unter Zugrundelegung einer anderen Quote für diesen errechneten Betrag geltend. Er wirft dem Gerichtskommissär vor, den Pflichtteil fälschlich mit einem Sechstel statt mit einem Viertel berechnet und ihn hinsichtlich des (danach abgeschlossenen) Pflichtteilsübereinkommens unrichtig beraten zu haben. Wegen der von seinem in Kenia inhaftierten Bruder verübten Straftaten sei dieser erbunwürdig, es liege ein Anwendungsfall des § 760 Abs 2 ABGB vor.
[3] Die Vorinstanzen verneinten dies und wiesen die Klage mangels rechtswidrigen Verhaltens des Gerichtskommissärs ab.
Rechtliche Beurteilung
[4] Die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts, das dabei auf die Vertretbarkeit der Gesetzesauslegung durch den Gerichtskommissär nicht eingegangen ist, nicht zulässig, was nur einer kurzen Begründung bedarf (§ 510 Abs 3 ZPO):
[5] 1. Der Kläger zweifelt im Revisionsverfahren nicht (mehr) an, dass im vorliegenden Fall keiner der im Gesetz normierten Gründe für eine Erbunwürdigkeit (§§ 539 ff ABGB) vorliegt. Ebensowenig behauptete er, dass Vortod, Enterbung (nach den §§ 770 ff ABGB) oder Pflichtteilsminderung (nach § 776 ABGB) vorgelegen hätte. Dabei ist besonders von Bedeutung, dass das Gesetz einem Erblasser in § 770 ABGB das Recht einräumt, einen Pflichtteilsberechtigten (ua) dann zu enterben, wenn er wegen einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener strafbarer Handlungen zu einer lebenslangen oder zwanzigjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist (Z 6), wovon die Verstorbene aber nicht Gebrauch gemacht hat.
[6] 2. In der Revision steht der Kläger (bloß) auf dem Standpunkt, Vortod, Erbunwürdigkeit, Enterbung und Pflichtteilsminderung seien nicht die einzigen „anderen Gründe“ iSd § 760 Abs 2 ABGB. Deren Aufzählung in den Gesetzesmaterialien sei bloß beispielhaft, es genüge für das Vorliegen solcher „anderer Gründe“, dass objektive Umstände für den Entfall eines Pflichtteilsberechtigten vorlägen. Dazu vermisst er „gesicherte Rechtsprechung“ und im konkreten Fall die Beurteilung, ob sich aus den „gegenständlichen Feststellungen“ „andere Gründe“ iSd § 760 Abs 2 ABGB „ergeben können“.
[7] 3. Für seine Ansicht bezieht er sich auf die Gesetzesmaterialien. Diese führen zu Abs 2 leg cit aus, der Zuwachs an die übrigen Pflichtteilsberechtigten nach den Grundsätzen der §§ 733 und 734 ABGB des Entwurfs sei „dagegen“ [Anmerkung: anders als im Fall des Abs 1 leg cit] „sachlich gerechtfertigt“, „wenn der Entfall eines Pflichtteils‑berechtigten auf objektive Umstände wie Vortod, Erbunfähigkeit oder Enterbung bzw Pflichtteilsminderung zurückzuführen ist (Abs 2)“ (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 25). Gestützt auf die Verwendung des Wortes „wie“ fasst der Kläger diese Aufzählung als bloß beispielhaft auf. Dabei betrachtet er aber diese Ausführungen zu Abs 2 singulär, ohne den Zusammenhang der beiden Absätze des § 760 ABGB zu beachten und räumt dem Wort „wie“ eine dem Kontext von Gesetzestext und Gesetzesmaterialien schwerlich zu entnehmende Bedeutung ein. Die in § 760 Abs 2 ABGB gebrauchte Wendung „aus anderen Gründen“ bezieht sich zweifelsohne auf Abs 1 leg cit („Wenn einer der in § 757 angeführten Personen infolge Pflichtteilsverzichtes oder Ausschlagung der Erbschaft kein Pflichtteil zusteht, erhöht dies im Zweifel die Pflichtteile der anderen Pflichtteilsberechtigten nicht“). Dort wird geregelt, dass sich (im Zweifel) die Testierfreiheit des Erblassers durch einen vom Willen des Pflichtteilsberechtigten abhängigen Verzicht oder die Ausschlagung der Erbschaft vergrößert (ErläutRV aaO). Verzicht oder Ausschlagung führen nämlich nicht dazu, dass sich die Pflichtteile der anderen Pflichtteilsberechtigten erhöhen. Im Gegensatz dazu soll es nach § 760 Abs 2 ABGB (s ErläutRV aaO: „dagegen“) bei den Gründen, die zur [Anm: vom Willen des Pflichtteilsberechtigten unabhängigen] Reduktion des Pflichtteils oder seines Ausschlusses führen, nicht zu einer Erweiterung der Testierfreiheit kommen (ErläutRV aaO), weshalb sich in solchen Fällen der Pflichtteil der anderen Pflichtteilsberechtigten anteilig erhöht („Wenn aber einer der in § 757 angeführten Personen aus anderen Gründen kein oder nur ein geminderter Pflichtteil zusteht und an ihrer Stelle auch keine Nachkommen den Pflichtteil erhalten, erhöhen sich die Pflichtteile der anderen Pflichtteilsberechtigten anteilig; die §§ 733 und 734 sind anzuwenden“). Dass der Gesetzgeber mit der Formulierung „aus anderen Gründen“ an dieser Stelle weitere, nicht näher umschriebene und ansonsten nicht im Gesetz genannte Gründe („als gleichwertige Gründe“) für eine Pflichtteilsminderung oder dessen Entfall – und zwar nur im Hinblick auf die Vergrößerung der Quote der anderen Pflichtteilsberechtigten – einführen wollte, erschließt sich dem Rechtsanwender nicht, und zwar weder aus dem Gesetzestext noch den dazu erteilten Erläuterungen. Auch in der Lehre werden die beiden Absätze als Gegenüberstellung von den auf dem Willen des Pflichtteilsberechtigten beruhenden Gründen und jenen objektiver Natur unter Aufzählung lediglich von Erbunwürdigkeit, Enterbung und Pflichtteilsminderung (zuweilen auch Vortod), also den im Gesetz normierten Gründen, verstanden (vgl Welser, Erbrechtskommentar § 760 ABGB Rz 4; Bittner/Hawel in Kletečka/Schauer, ABGBON1.05 § 760 Rz 3; Nemeth in Schwimann/Neumayr, ABGB Ta‑Komm5 § 760 ABGB Rz 2; Musger inKBB6 § 760 Rz 2; letztererverweistin Rz 3 darauf, dass die Aufzählung des Vorversterbens in den Gesetzesmaterialien gar nicht erforderlich gewesen wäre und nur klarstellende Bedeutung hat).
[8] 4. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts und des Revisionswerbers liegt im Amtshaftungsrecht nicht schon deshalb eine erhebliche Rechtsfrage vor, weil zu einer bestimmten Norm, deren unrichtige Auslegung der Kläger behauptet, noch keine höchstgerichtliche Judikatur besteht. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Auslegung als vertretbar (dazu insb RS0049951) anzusehen ist (vgl nur 1 Ob 79/19b mwN). Das Berufungsgericht hat die Auslegung des Gerichtskommissärs als richtig angesehen und damit jedenfalls auch ihre Vertretbarkeit bejaht. Eine erhebliche Rechtsfrage läge nur vor, wenn der Revisionswerber aufzeigen könnte, dass insoweit eine klare Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht vorliegt (RS0110837 [T2]), was er aber nicht einmal ernsthaft versucht.
[9] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen, weshalb ihr Schriftsatz als zweckentsprechende Rechtsverteidigungsmaßnahme anzu‑sehen ist.
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