OGH 1Ob156/97s

OGH1Ob156/97s15.7.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Charlotte B*****, vertreten durch Dr.Brigitte Birnbaum und Dr.Rainer Toperczer, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Univ.Prof.Dr.Kurt B*****, vertreten durch Dr.Heinz Wille, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalts (Streitwert S 306.000,-- sA) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 12.Februar 1997, GZ 45 R 856/96g-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Döbling vom 27.Mai 1996, GZ 10 C 113/95a-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die 88jährige Klägerin ist die Mutter zweier Söhne; einer von diesen ist der Beklagte. Sie bezieht eine Witwenpension zuzüglich von Pflegegeld im Betrag von durchschnittlich monatlich netto S 15.221,- -. Die Klägerin wohnt in einer Seniorenwohnanlage; für Beherbergung und Verpflegung hat sie unter Berücksichtigung eines ihr von der öffentlichen Hand geleisteten Zuschusses monatlich S 14.478,-- zu bezahlen. Für eine von ihr abgeschlossene Zusatzkrankenversicherung, die ihr im Falle eines Spitalaufenthalts Anspruch auf Unterbringung in der Sonderklasse sichert, hat sie monatlich S 3.057,60 zu zahlen. Über all diese Auslagen hinaus erwachsen ihr - naturgemäß - noch Kosten für die Anschaffung von Kleidung und Körperpflege. Vor dem 25.2.1994 wohnte die Klägerin beim Beklagten in einer eigenen Wohneinheit. Sie ist nicht bereit, weiterhin dort zu wohnen, obwohl ihr diese Möglichkeit angeboten wurde. Für die Aufgabe der Mietrechte an einer Wohnung, die sie früher bewohnte, erhielt sie eine Ablöse von S 250.000,- -, zahlbar in fünf (gleichen) Raten, fällig im Dezember 1992 bzw jeweils in den Jännermonaten 1993 bis 1996. Von diesem Betrag sind ihr zumindest S 137.000,-- zugeflossen.

Die Klägerin begehrte vom Beklagten einen monatlichen Unterhaltsbetrag von S 8.500,- -, rückwirkend ab 1.3.1994. Die Klägerin brachte vor, aufgrund erhöhter altersbedingter Pflegebedürftigkeit gezwungen zu sein, in einer Seniorenwohnanlage zu leben. Sie verfüge über keinerlei Vermögen. Der Bruder des Beklagten beziehe ein monatliches Pensionseinkommen von S 23.740,27 und leiste ihr freiwillig eine monatliche Unterstützung von S 7.000,- -. Der Beklagte habe ein Monatseinkommen von „mehreren S 100.000,- -“, erbringe aber keine Unterhaltsleistungen an sie.

Der Beklagte gestand zwar zu, in der Lage zu sein, den geforderten Betrag ohne Beeinträchtigung seines eigenen Unterhalts und ohne Gefahr für die Unterhaltsansprüche der gegenüber ihm Unterhaltsberechtigten zu leisten wendete aber ein, daß die Klägerin über genügend Einkommen und Vermögen verfüge, um ihren Unterhalt daraus zu decken. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, daß der Bruder des Beklagten monatlich S 7.000,-- leiste, sodaß diesem allenfalls Regreßforderungen gegen den Beklagten zustünden; weitere Unterhaltsforderungen der Klägerin seien nicht berechtigt. Diese müsse nicht im Seniorenheim wohnen, zumal der Beklagte bereit sei, ihr wie zuvor eine Wohnmöglichkeit einschließlich individueller Betreuung im erforderlichen Ausmaß zur Verfügung zu stellen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Klägerin stünde nur der notwendige und nicht der angemessene Unterhalt zu, da Eltern keinen Anteil an allenfalls überdurchschnittlichen Lebensverhältnissen eines unterhaltsverpflichteten Kindes hätten. Die Höhe des „notwendigen Unterhalts“ sei nicht nach den individuellen Lebensverhältnissen der Klägerin zu beurteilen, sondern unter Bedachtnahme auf den sich aus § 293 ASVG ergebenden Richtsatz, der derzeit S 7.710,-- betrage, also unter dem Einkommen der Klägerin liege. Sie sei demnach selbsterhaltungsfähig.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Eine Unterhaltspflicht des Beklagten gegenüber seiner Mutter bestünde nur dann, wenn diese nicht imstande wäre, sich selbst zu erhalten, wobei das Vorhandensein von Vermögen noch nicht schlechthin bedeute, daß ihre Selbsterhaltungsfähigkeit gegeben sei. Die Ansicht des Erstgerichts, § 293 ASVG sei als Richtschnur zur Überprüfung der Frage der Selbsterhaltungsfähigkeit heranzuziehen, werde zwar nicht „in dieser Schärfe“ vertreten, doch liege bei einem monatlichen durchschnittlichen Nettoeinkommen von S 15.221,-- jedenfalls Selbsterhaltungsfähigkeit eines Elternteils vor. Die Klägerin sei weder in eine Notlage geraten, noch einkommenslos; sie müsse - auch beim Bezug eines privaten Seniorenheims - mit diesem Monatseinkommen das Auslangen finden können.

Die Revision der Klägerin ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Unterhaltspflicht von Kindern gegenüber ihren Eltern stellt eher den Ausnahmefall dar (ÖA 1996, 199). Voraussetzung für das Bestehen einer solchen Pflicht ist, daß die Eltern oder der Elternteil nicht imstande sind bzw ist, sich selbst zu erhalten (2 Ob 12/91; EFSlg 57.027; VwGH in RdW 1987, 247; Pichler in Rummel, ABGB2, Rz 1 zu § 143; Schwimann in Schwimann, ABGB2, Rz 1 zu § 143). Es ist daher primär festzustellen, ob Selbsterhaltungsfähigkeit gegeben ist. Selbsterhaltungsfähigkeit im Sinne des § 143 ABGB liegt dann vor, wenn der Vorfahre in der Lage ist, die seinen Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse zu befriedigen. Daß dem Vorfahren der sogenannte „angemessene“ und nicht nur der „notwendige“ Unterhalt geschuldet wird, ergibt sich aus dem Zusammenhang des Gesetzes (V.Steiniger in Ostheim, Schwerpunkte der Familienrechtsreform, 46; vgl Pichler aaO Rz 2 zu § 143; Schwimann aaO Rz 2 zu § 143). Es wäre nicht verständlich, dem Deszendenten stets den angemessenen, dem Aszendenten aber nur den notwendigen Unterhalt zuzubilligen. Die Frage der Selbsterhaltungsfähigkeit ist in jedem einzelnen Fall zu prüfen; die Unterhaltsberechtigung wird nicht schon durch den Bezug eines über der Höhe der Ausgleichszulage liegenden Einkommens ausgeschlossen (EFSlg 66.353; Schwimann aaO Rz 7 zu § 143). Die Höhe des zu leistenden Unterhalts richtet sich sowohl nach den Lebensverhältnissen des Kindes wie auch jenen des Vorfahren (EFSlg 66.353; Kohler in RdW 1987, 247; Schwimann aaO Rz 3 und 7 zu § 143).

Die nicht auf den konkreten Fall bezogene Darlegung des Gerichts zweiter Instanz, bei einem bestimmten Einkommen sei jedenfalls Selbsterhaltungsfähigkeit gegeben, reicht nicht aus, um den Unterhaltsanspruch der Klägerin abschließend beurteilen zu können. Nicht imstande, sich selbst zu erhalten, ist der Aszendent etwa auch bei unzureichender Altersversorgung oder Pflegebedürftigkeit (Schwimann aaO Rz 1 zu § 143). Dazu hat die Klägerin in erster Instanz Behauptungen aufgestellt, die Vorinstanzen haben aber keine Feststellung dahin getroffen, ob der Aufenthalt in einem Seniorenwohnheim nötig ist, wenngleich eine solche Annahme schon aufgrund des hohen Alters der Klägerin nahe liegt. Notwendig wäre der Aufenthalt im Heim wohl nur dann nicht, wenn die Klägerin in der Lage wäre, völlig auf sich allein gestellt in einer anderen Unterkunft zu wohnen; dabei ist aber zu beachten, daß der unterhaltspflichtige Beklagte seiner Mutter Naturalunterhalt dadurch, daß er sie anstelle der Heimunterbringung in seinen Haushalt aufnimmt, nicht aufdrängen darf (Pichler aaO, Rz 6 zu § 143; Schwimann aaO Rz 4 zu § 143; vgl SZ 23/166). Es mangelt aber auch an Feststellungen über die Vermögensverhältnisse der Klägerin, weil bei Zumutbarkeit der Heranziehung eines allfälligen Vermögens der Unterhaltsanspruch gemindert wird (Pichler aaO Rz 4 zu § 143; Schwimann aaO Rz 1 und 8 zu § 143; Klang, Erg.Band, 50). Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind demnach schon deshalb aufzuheben, weil es an den nötigen Feststellungen mangelt, um die Frage der Selbsterhaltungsfähigkeit der Klägerin einwandfrei beurteilen zu können.

Für den Fall, daß die Selbsterhaltungsfähigkeit der Klägerin verneint werden sollte, wird zu beachten sein, daß mehrere Nachkommen den Unterhalt anteilig nach Kräften schulden (Pichler aaO Rz 7 zu § 144; Schwimann aaO Rz 5 zu § 143). Dann wären die Leistungsfähigkeit des Beklagten und jene seines Bruders für die Unterhaltsbemessung von Bedeutung; es müßten Feststellungen über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie die Sorgepflichten beide Söhne der Klägerin getroffen werden. Schließlich wäre auch noch zu beachten, daß der Bruder des Beklagten nach dem Vorbringen der Klägerin bereits Leistungen an diese erbracht hat, um deren Bedürfnisse zu sichern. Es mangelt aber an Feststellungen über die Höhe und die Zweckwidmung dieser Leistungen: Die Mutter behauptet jedenfalls, daß ihr dieser Sohn die Geldbeträge bloß vorschußweise ausgefolgt habe.

In diesem Umfang wird das Erstgericht das Verfahren zu ergänzen haben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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