European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0010OB00156.14V.0918.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Die Mutter zeigt im außerordentlichen Revisionsrekurs gegen die Bestätigung der vom Erstgericht verfügten Betrauung beider Elternteile mit der Obsorge für ihre 11‑jährige Tochter keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG auf:
1. Der vom Rekursgericht gebilligte Ausspruch des Erstgerichts, dass die Obsorge von beiden Elternteilen „gemeinsam ausgeübt wird“, bringt nichts anderes zum Ausdruck, als dass „beide“ Eltern (so ua § 180 Abs 2 ABGB) mit der Obsorge betraut werden (vgl zum Wort „gemeinsam“ § 178 Abs 1 erster Satz ABGB). Dadurch wird weder das Einvernehmlichkeitsgebot nach § 137 Abs 2 letzter Satz ABGB angesprochen, noch eine von § 167 Abs 1 ABGB abweichende Anordnung getroffen.
2. Soweit sich die Mutter über die vom Erstgericht getroffenen Sachverhaltsfeststellungen hinwegsetzt, ist ihr entgegenzuhalten, dass der Oberste Gerichtshof auch im Außerstreitverfahren nicht Tatsacheninstanz ist (RIS‑Justiz RS0007236). Fragen der Beweiswürdigung sind nicht revisibel (RIS‑Justiz RS0043125; RS0043414 [T19]).
3. In allen Fällen des § 180 Abs 1 (und Abs 3) ABGB idF KindNamRÄG 2013 kann die Betrauung beider Elternteile mit der Obsorge, aber auch die Belassung einer solchen Obsorgeregelung auch gegen den Willen beider oder gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden (RIS‑Justiz RS0128810). Im Gegensatz zur Rechtslage vor dem KindNamRÄG 2013 soll nunmehr die Obsorge beider Elternteile (eher) die Regel sein (RIS‑Justiz RS0128811). Auch wenn das Gesetz keine näheren Kriterien dafür aufstellt, ob eine Alleinobsorge eines Elternteils oder eine Obsorge beider Elternteile anzuordnen ist, so kommt es doch darauf an, welche Form der Obsorge dem Wohl des Kindes besser entspricht. Eine sinnvolle Ausübung der Obsorge beider setzt dabei allerdings ein gewisses Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit beider Elternteile voraus. Um Entscheidungen gemeinsam im Sinn des Kindeswohls treffen zu können, ist es erforderlich, in entsprechend sachlicher Form Informationen auszutauschen und einen Entschluss zu fassen. Es ist also eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob bereits jetzt eine entsprechende Gesprächsbasis zwischen den Eltern vorhanden ist oder ob zumindest in absehbarer Zeit mit einer solchen gerechnet werden kann (RIS‑Justiz RS0128812). Bei der Entscheidung über die Obsorge ist ausschließlich das Wohl des Kindes maßgebend, wobei nicht nur von der momentanen Situation ausgegangen werden darf, sondern auch Zukunftsprognosen zu stellen sind (RIS‑Justiz RS0048632). Die Entscheidung hängt grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl RIS‑Justiz RS0115719).
4. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass ausgehend von den Feststellungen die gemeinsame Obsorge der Eltern dem Kindeswohl tendenziell besser entspricht, hält sich im Rahmen der Judikatur. Zwar resultiert aus einer Gefährdungsmeldung des Vaters im Jahr 2008 an das Jugendamt wegen eines „blauen Flecks“ des Kindes, die sich als unberechtigt herausstellte und die die Mutter nach wie vor kränkt, ein Konflikt, jedoch schaffen es beide Elternteile, Informationen über ihre Tochter in sachlicher Art und Weise auszutauschen und Einigung hinsichtlich der konkreten Kontaktrechtsausübung zu erzielen. Beide zeigten eine wertschätzende Haltung dem anderen gegenüber, was die Elternrolle betrifft. Der Vater akzeptiert die von der Mutter für die Tochter ab Herbst 2013 getroffene Schulwahl. Die Tochter, die eine Vorzugsschülerin ist, verbringt sowohl gerne Zeit mit der Mutter als auch mit dem Vater. Der Vater ist dazu bereit, mit der Mutter gemeinsam Lösungen zum Wohl der Tochter zu finden. Die Vorinstanzen gelangten zu einer positiven Prognose betreffend die für eine gemeinsame Obsorge erforderliche Kooperations‑ und Kommunikationsfähigkeit der Eltern. Deren Beurteilung, dass sich die gemeinsame Obsorge eher positiv auf die Entwicklung der Tochter und auf eine Reduzierung ihres Loyalitätskonflikts auswirken wird, ist hier im Einzelfall nicht zu beanstanden.
Ob beide Elternteile mit der Obsorge betraut werden sollen, hängt wesentlich davon ab, ob beide bereit und in der Lage sind, an der Erfüllung der mit der Obsorge verbundenen Aufgaben mitzuwirken ( Hopf in KBB 4 § 180 ABGB Rz 14). Das trifft nach den Feststellungen auf beide Eltern zu. Die Kommunikation der Eltern funktioniert. Die Befürchtung der Mutter, dass der Vater diese mit ihr auch wieder abbrechen könnte, ist dem Sachverhalt nicht zu entnehmen. Sollte sich in Hinkunft eine maßgebliche Änderung der Verhältnisse (zB im Verhalten des Vaters) ergeben, steht es der Mutter frei, gemäß § 180 Abs 3 ABGB idF KindNamRÄG 2013 eine Neuregelung der Obsorge zu beantragen. Der (nachvollziehbaren) Kränkung der Mutter durch den letztlich unberechtigten Gefährdungsvorwurf des Vaters kommt nach nunmehr sechs Jahren keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Die Mutter vermag nicht aufzuzeigen, inwiefern die Aufrechterhaltung ihrer alleinigen Obsorge dem Kindeswohl besser entspricht.
5. Die ‑ dem Ziel des KindNamRÄG 2013, die gemeinsame Obsorge der Eltern zu fördern, entsprechende ‑ Entscheidung der Vorinstanzen ist insgesamt vertretbar, sodass der außerordentliche Revisionsrekurs zurückzuweisen ist.
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