European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E129287
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die außerordentlichen Revisionsrekurse werden mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
Die Obsorge für die mittlerweile 12jährige Tochter steht dem Vater und der Mutter gemeinsam zu, wobei die hauptsächliche Betreuung im Haushalt der Mutter festgelegt wurde.
Das Erstgericht regelte umfangreich das laufende Kontaktrecht sowie die Ferienkontakte des Vaters zu seiner Tochter und wies seinen Antrag auf Neuregelung der Obsorge durch Übertragung des hauptsächlichen Aufenthalts an ihn ab.
Das Rekursgericht gab den Rekursen der Mutter und des Vaters nicht Folge und sprach aus, der ordentliche Revisionsrekurs werde jeweils nicht zugelassen, weil Aspekte des Einzelfalls im Vordergrund stünden.
Rechtliche Beurteilung
In den dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekursen der Mutter und des Vaters wird keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG aufgezeigt.
Revisionsrekurs der Mutter:
1. Das Rechtsmittel der Mutter richtet sich erkennbar gegen die Regelung der laufenden Kontakte und auch der Ferienkontakte.
2.1. Grundsätzlich kann ein vom Rekursgericht verneinter (einfacher) Mangel des außerstreitigen Verfahrens erster Instanz keinen Revisionsrekursgrund bilden (RIS‑Justiz RS0030748; RS0043919; RS0050037). Die Voraussetzungen für die Durchbrechung dieses Grundsatzes aus Gründen des Kindeswohls (RS0050037 [T4]; RS0030748 [T2]) liegen hier nicht vor und werden von der Mutter auch nicht aufgezeigt.
2.2. Das Rekursgericht verneinte den von der Mutter behaupteten Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens der unterlassenen Beiziehung eines Kinderbeistands nach § 104a AußStrG unter Bezugnahme auf die dazu getätigten Ausführungen der beigezogenen gerichtlichen Sachverständigen. Die Tochter werde von einer bestimmten Person psychologisch begleitet (was auch die Mutter zugesteht), besuche mehrmals in der Woche zusätzlich zum Schulunterricht noch diverse Kurse und habe – vor allem während der Woche – sehr wenig Zeit, um zu lernen; ein weiterer wöchentlicher Termin zu Gesprächen mit einem Kinderbeistand wäre im konkreten Fall nicht kindeswohlfördernd und bringe nach der Ansicht der Sachverständigen „keine weiteren Erfolgsaussichten“ mit sich. Mit dem Argument, dass die als Besuchsmittlerin eingesetzte Familiengerichtshilfe die Bestellung eines Kinderbeistands befürwortet habe, zeigt die Mutter nicht auf, dass aus Gründen des Kindeswohls die Durchbrechung des zu 2.1. dargelegten Grundsatzes im Anlassfall geboten wäre; vor allem vermag sie die Relevanz der Beiziehung eines Kinderbeistands für die Entscheidung nicht darzulegen.
2.3. Gemäß § 105 Abs 1 AußStrG hat das Gericht Minderjährige in Verfahren über Pflege und Erziehung oder die persönlichen Kontakte persönlich zu hören. Der Minderjährige kann auch durch den Kinder‑ und Jugendhilfeträger, die Familiengerichtshilfe, durch Einrichtungen der Jugendgerichtshilfe oder in anderer geeigneter Weise, etwa durch Sachverständige, gehört werden, wenn er das 10. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, wenn dies seine Entwicklung oder sein Gesundheitszustand erfordert oder wenn sonst eine Äußerung der ernsthaften und unbeeinflussten Meinung des Minderjährigen nicht zu erwarten ist. Die Befragung hat gemäß § 105 Abs 2 AußStrG zu unterbleiben, soweit durch sie oder einen damit verbundenen Aufschub der Verfügung das Wohl des Minderjährigen gefährdet wäre oder im Hinblick auf die Verständnisfähigkeit des Minderjährigen offenbar eine überlegte Äußerung zum Verfahrensgegenstand nicht zu erwarten ist.
Die Auffassung des Rekursgerichts, das rechtliche Gehör der Minderjährigen sei in mehrfacher Hinsicht gewahrt worden, weil sie in der Verhandlung vom Mai 2019 von der Erstrichterin einvernommen, überdies mehrfach auch von den gerichtlichen Sachverständigen befragt worden sei und sie darüber hinaus auch mehrere Briefe an die Erstrichterin geschrieben habe, sodass der behauptete erstinstanzliche Verfahrenmangel nicht vorliege, bedarf keiner Korrektur im Einzelfall. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass es einer weiteren Befragung der unmündigen Minderjährigen nicht bedarf, ist nicht zu beanstanden. Auch in diesem Zusammenhang vermag die Mutter die Relevanz einer neuerlichen Einvernahme der Tochter, die der Erstrichterin in Briefen laufend ihre Ansichten mitteilt, für die Entscheidung nicht darzulegen.
Revisionsrekurs des Vaters:
3. Das Rechtsmittel des Vaters richtet sich inhaltlich nur gegen die Abweisung seines Antrags auf Neuregelung der Obsorge durch Übertragung des hauptsächlichen Aufenthalts seiner Tochter an ihn.
4. Soweit sich der Vater über die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen hinwegsetzt, ist ihm entgegenzuhalten, dass der Oberste Gerichtshof auch im Außerstreitverfahren nicht Tatsacheninstanz ist (RS0007236). Fragen der Beweiswürdigung sind nicht „revisibel“ (RS0043125 [T12]; vgl RS0043414 [T19]). Der Revisionsrekursgrund der Aktenwidrigkeit kann nicht als Ersatz für eine im Revisionsrekursverfahren unzulässige Beweisrüge herangezogen werden (vgl RS0117019).
Die Entscheidung des Rekursgerichts über eine Beweisrüge ist mangelfrei, wenn es sich mit dieser befasst, die Beweiswürdigung des Erstgerichts überprüft und nachvollziehbare Überlegungen über die Beweiswürdigung anstellt und in seinem Beschluss festhält (vgl RS0043150; RS0040165 [T2]). Es muss sich dabei nicht mit jedem einzelnen Beweisergebnis auseinandersetzen (RS0040165 [T3]). Die Ansicht des Vaters, das Rekursgericht habe sich mit seiner Beweisrüge so mangelhaft auseinandergesetzt, dass keine nachvollziehbaren Überlegungen über die Beweiswürdigung in der Rekursentscheidung enthalten seien, trifft nicht zu; es hat sich mit der Beweisrüge des Vaters ausreichend auseinandergesetzt, die wesentlichen Gründe für seine Beweiswürdigung dargelegt und die Berechtigung seiner Beweisrüge verneint.
5. Nach den vom Rekursgericht übernommenen erstinstanzlichen Feststellungen konnte eine Gefährdung der Tochter durch den hauptsächlichen Aufenthalt bei der Mutter oder durch deren Erziehung, nämlich dadurch, dass sie sich über die Rechte und Bedürfnisse des Kindes hinwegsetze und ihre eigenen Ängste in den Vordergrund stelle sowie den Kontakt zum Vater möglichst einschränke, gerade nicht verifiziert werden. Die Tochter lehnt eine Verlegung des Hauptaufenthalts zum Vater ab. Eine Einschränkung der Erziehungsfähigkeit der Mutter besteht nicht. Konkrete Anhaltspunkte für eine Bindungsintoleranz der Mutter gibt es nicht.
Wenn der Vater in diesem Zusammenhang als sekundäre Feststellungsmängel davon abweichende Feststellungen begehrt, stehen diesen die dazu getroffenen Tatsachenfeststellungen entgegen (siehe RS0043320 [T16, T18]; RS0053317 [T1]).
Ausgehend von den getroffenen Feststellungen vermag er nicht aufzuzeigen, dass ein – typischerweise einzelfallbezogener (RS0115719 [T14]; RS0130918 [T3]) – Wechsel der hauptsächlichen Betreuung seiner Tochter insbesondere auch unter Berücksichtigung der Aspekte der Stabilität und Kontinuität ihrer Entwicklung dem Kindeswohl entsprechen würde.
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