OGH 1Ob147/17z

OGH1Ob147/17z30.8.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj I***** H*****, geboren ***** 2005, über den Revisionsrekurs der Mutter B***** H*****, vertreten durch Dr. Claudia Franzelin, Rechtsanwältin in Straßwalchen, gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 9. Juni 2017, GZ 21 R 98/17h‑100, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Neumarkt bei Salzburg vom 13. Jänner 2017, GZ 1 Ps 138/15m‑24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0010OB00147.17Z.0830.000

 

Spruch:

Die Revisionsrekursbeantwortung des Landes Salzburg wird zurückgewiesen.

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass Punkt 2. des erstgerichtlichen Beschlusses ersatzlos zu entfallen hat.

 

Begründung:

Neben der (unbekämpften) Abweisung des Antrags des Kinder‑ und Jugendwohlfahrtsträgers, den Eltern die Obsorge zu entziehen und ihm zu übertragen, trug das Erstgericht den Eltern auf, „weiterhin regelmäßige Betreuung durch ... und TAF wahrzunehmen“, wobei dieser Auftrag unbegründet blieb.

Das Rekursgericht bestätigte die erstgerichtliche Entscheidung in diesem Punkt und erklärte den Revisionsrekurs für zulässig. Es verwarf den Einwand der Mutter, die angeordnete Betreuung ginge über die in § 107 Abs 3 Z 1 AußStrG genannte Familien‑, Eltern‑ oder Erziehungsberatung hinaus. Vielmehr handle es sich bei der „TAF“ um eine die Eltern in ihrer Erziehungskompetenz unterstützende Maßnahme der öffentlichen Jugendwohlfahrt. Gerade um in die Elternrechte möglichst schonend einzugreifen und die „ultima ratio“ der Obsorgeentziehung tunlichst zu vermeiden, diene die TAF als unterstützende Maßnahme der Erziehungshilfe zwecks Förderung der Erziehungskraft der Familie, die den Minderjährigen in seiner Umgebung belasse und gegenüber der vollen Erziehung die gelindere Erziehungsmaßnahme darstelle. Dass die therapeutisch ambulante Familienbetreuung in der Aufzählung des § 107 Abs 3 AußStrG nicht ausdrücklich genannt sei, schade schon deshalb nicht, weil es sich um eine bloß demonstrative Aufzählung handle und das Gericht im Einzelfall auch andere, besser geeignete Maßnahmen anordnen könne. Nach der Aktenlage sei die vom Erstgericht angeordnete und seitens der Mutter bekämpfte Maßnahme, weiterhin regelmäßig die therapeutisch ambulante Familienbetreuung in Anspruch zu nehmen, nicht nur unbedenklich, sondern im Interesse des Kindeswohls geradezu geboten; sie diene im Übrigen auch im Interesse der Mutter dazu, dass die Minderjährige im Familienverband verbleiben könne. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil Rechtsprechung des Höchstgerichts zu der an Bedeutung über den Einzelfall hinausgehenden Frage fehle, ob die „Teilnahme an TAF“ im Rahmen des § 107 Abs 3 AußStrG angeordnet werden könne.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene Revisionsrekurs der Mutter ist berechtigt.

Hingegen ist die als „Stellungnahme“ bezeichnete Revisionsrekursbeantwortung des Kinder‑ und Jugendhilfeträgers als verspätet zurückgewiesen, weil sie außerhalb der 14‑Tages‑Frist des § 68 Abs 1 AußStrG erstattet wurde (Zustellung des Rechtsmittels am 11. 7. 2017 Einbringung am 26. 7. 2017).

Gemäß § 107 Abs 3 AußStrG hat das Gericht die zur Sicherung des Kindeswohls erforderlichen Maßnahmen anzuordnen, soweit dadurch nicht Interessen einer Partei, deren Schutz das Verfahren dient, gefährdet oder Belange der übrigen Parteien unzumutbar beeinträchtigt werden; in den Z 1 bis 5 werden demonstrativ bestimmte Maßnahmen aufgezählt, zu denen etwa der verpflichtende Besuch einer Familien‑, Eltern‑ oder Erziehungsberatung (Z 1) gehören.

Abgesehen davon, dass die Anordnung, „weiterhin regelmäßig Betreuung durch ... und TAF wahrzunehmen“, unbestimmt ist und offen lässt, welche konkreten Maßnahmen einer Erziehungsberatung oder ‑hilfe den Eltern hier auferlegt werden sollen, lassen die Entscheidungen der Vorinstanzen auch in keiner Weise erkennen, inwieweit eine solche „Betreuung“ im Sinne des § 107 Abs 3 AußStrG zur Sicherung des Wohls der Minderjährigen erforderlich sein sollte. Der erstgerichtliche Beschluss enthält dazu weder Tatsachenfeststellungen noch eine rechtliche Begründung. Das Rekursgericht verweist allein darauf, dass die vom Erstgericht angeordnete Maßnahme „nach der Aktenlage“ im Interesse des Kindeswohls geradezu geboten sei. Feststellungen dazu, warum eine Erziehungshilfe im weitesten Sinn überhaupt erforderlich sein sollte und welche Nachteile der Minderjährigen im Falle ihres Unterbleibens drohen könnten, finden sich in der angefochtenen Entscheidung nicht. Ebenso wenig wird erörtert, warum nach Ansicht des Rekursgerichts bei Unterbleiben der angeordneten Betreuung die Entziehung der Obsorge erfolgen müsste.

Schon mangels ausreichender Tatsachengrundlagen für Anordnungen gemäß § 107 Abs 3 AußStrG erweist sich damit die Rechtsansicht der Revisionswerberin, in deren Rechtssphäre der angefochtene Beschluss zweifellos eingreift, als zutreffend, es liege ein unbegründeter Eingriff in das verfassungsgesetzlich normierte Recht auf Achtung des Privat‑ und Familienlebens vor, zumal sich aus den getroffenen Feststellungen keine Kindeswohlgefährdung ergäbe.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen sind daher im Anfechtungsumfang aufzuheben.

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