OGH 1Ob144/10y

OGH1Ob144/10y20.10.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Hofrätin Dr. Fichtenau als Vorsitzende sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Pflegschaftssache der am 30. Dezember 1920 geborenen Anna D*****, vertreten durch Dr. Stefan Gloß, Rechtsanwalt in St. Pölten, über den Revisionsrekurs der Pflegebefohlenen gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 7. Juli 2010, GZ 23 R 234/10z-40, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Lilienfeld vom 2. Juni 2010, GZ 1 P 97/08z-35, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Akten werden dem Rekursgericht zurückgestellt.

Text

Begründung

Das Erstgericht wies den Antrag der (durch ihren Sachwalter vertretenen) Pflegebefohlenen, eine in Aussicht genommene Klage über 9.264,27 EUR sA gegen zwei Vertragspartner aus einem Übergabsvertrag pflegschaftsgerichtlich zu genehmigen, ab. Gleichzeitig bestellte es von Amts wegen eine Kollisionskuratorin mit dem Auftrag, allfällige Ansprüche der "Betroffenen“ aus dem Übergabsvertrag gegen die beiden präsumtiven Beklagten sowie aus einem Übergabsvertrag auf den Todesfall gegen ihren Sachwalter und dessen Ehegattin zu prüfen und gegebenenfalls die erforderlichen Schritte zu ihrer Geltendmachung in die Wege zu leiten.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig. Es traf keinen Bewertungsausspruch.

Die Pflegebefohlene bekämpft nun mit einem als "außerordentlichen Revisionsrekurs“ bezeichneten Rechtsmittel, das von einem von ihrem Sachwalter bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht wurde, die Entscheidung des Rekursgerichts und beantragt, die beabsichtigte Klageführung pflegschaftsgerichtlich zu bewilligen und die weitere Anordnung im Beschluss des Erstgerichts ersatzlos zu beheben.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 62 Abs 3 AußStrG ist der Revisionsrekurs - außer im Fall des § 63 Abs 3 - im Falle eines vermögensrechtlichen Entscheidungsgegenstands jedenfalls unzulässig, wenn dieser an Geld oder Geldeswert insgesamt 30.000 EUR (RIS-Justiz RS0125732) nicht übersteigt. In einem solchen Fall kann nur eine Zulassungsvorstellung gemäß § 63 Abs 1 AußStrG an das Rekursgericht erhoben werden.

Im vorliegenden Fall sind die Entscheidungsgegenstände ausschließlich vermögensrechtlicher Natur, geht es doch einerseits um die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung einer (in Entwurfsform bereits vollständig ausformulierten) Klage (RIS-Justiz RS0109789, RS0109788) und andererseits um die vom Erstgericht angeordnete Prüfung (und Betreibung) von geldwerten Ansprüchen der Pflegebefohlenen, wofür ein Kollisionskurator bestellt wurde. Auch dabei handelt es sich um eine rein vermögensrechtliche Angelegenheit im Rahmen des Pflegschaftsverfahrens, nachdem keine Entscheidung vorliegt, die unmittelbar die Person eines Verfahrensbeteiligten betrifft, was in ständiger Judikatur (vgl nur RIS-Justiz RS0007215) als Abgrenzungskriterium herangezogen wird.

So wurde etwa ausgesprochen, dass auch (verfahrensrechtliche) Entscheidungen, wie zur Frage, ob ein Zustellkurator für den Vater zu bestellen ist bzw ob im Falle der Bestellung eines Zustellkurators der Antrag auf Gewährung eines Unterhaltsvorschusses durch den Minderjährigen der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung bedürfe, schon wegen ihres Einflusses auf die Entscheidung in der Hauptsache als solche vermögensrechtlicher Natur anzusehen sind, sofern die Hauptsache selbst vermögensrechtlicher Natur ist (10 Ob 37/04w; vgl weiters RIS-Justiz RS0010054). Eine Entscheidung, mit der für Minderjährige im Zusammenhang mit der Errichtung einer Privatstiftung ein Kollisionskurator mit dem Auftrag bestellt wurde, die Vorteilhaftigkeit der Stiftung für die Minderjährigen zu überprüfen und gegebenenfalls die Stiftungsurkunde in deren Namen zu unterfertigen, wurde als solche rein vermögensrechtlicher Natur, nämlich als Ausfluss der Vermögenspflegschaft, qualifiziert (1 Ob 56/99p).

Entscheidend für die Qualifikation als Gegenstand rein vermögensrechtlicher Natur ist somit stets der im betreffenden Verfahren zu beurteilende Hauptgegenstand, wogegen es nicht darauf ankommt, ob im Zusammenhang damit auch (verfahrensrechtliche) Nebenentscheidungen, wie etwa die Bestellung eines Kurators zur Durchsetzung der vermögensrechtlichen Interessen, erforderlich ist bzw vom Gericht für erforderlich gehalten wurde. Die Entscheidung, von wem die Pflegebefohlene bei der Verfolgung bestimmter Vermögensinteressen vertreten wird, ist somit nicht entscheidend, sondern tritt gegenüber dem eigentlichen Gegenstand des Verfahrens als bloßes "Vehikel“ zur Verfolgung von Vermögensinteressen in den Hintergrund. Die Kuratorbestellung betrifft damit auch nicht unmittelbar die Person der Pflegebefohlenen, sondern vielmehr deren Vermögenssphäre.

Entgegen § 59 Abs 2 AußStrG hat nun das Rekursgericht - obwohl Entscheidungsgegenstände rein vermögensrechtlicher Natur vorliegen - einen Ausspruch darüber unterlassen, ob der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt 30.000 EUR übersteigt oder nicht. Ein solcher Ausspruch war aber nur hinsichtlich des ersten Entscheidungsgegenstands entbehrlich, für den sich die Bewertung ohne weiteres aus jenem Kapitalsbetrag ergibt, auf den die pflegschaftsgerichtlich zu genehmigende Klage gerichtet sein sollte; er übersteigt den Betrag von 30.000 EUR nicht.

Anderes gilt für den an eine gleichzeitig bestellte Kollisionskuratorin gerichteten Auftrag, allfällige Ansprüche gegen insgesamt vier Personen aus zwei unterschiedlichen Vertragsverhältnissen zu prüfen und gegebenenfalls einbringlich zu machen. Insoweit wird das Rekursgericht den unterlassenen Bewertungsausspruch nach § 59 Abs 2 AußStrG nachzuholen haben. Da es sich um zwei voneinander unabhängige Entscheidungsgegenstände handelt, - einmal eine Entscheidung über einen Antrag, das andere Mal eine von Amts wegen getroffene Entscheidung, die nur "zufällig“ durch den Antrag ausgelöst wurde - hat eine Zusammenrechnung gemäß § 55 Abs 1 JN iVm § 59 Abs 3 AußStrG nicht stattzufinden, sodass sich der Bewertungsausspruch allein auf den zweiten Entscheidungsgegenstand zu erstrecken hat.

Sollte eine Bewertung mit einem 30.000 EUR nicht übersteigenden Betrag erfolgen, wird zu prüfen sein, ob das vorliegende Rechtsmittel als (mit einem ordentlichen Revisionsrekurs verbundene) Zulassungsvorstellung gemäß § 63 Abs 1 AußStrG zu qualifizieren ist; gegebenenfalls wird ein entsprechender Verbesserungsauftrag zu erlassen sein (vgl nur RIS-Justiz RS0109623). Im Falle einer Bewertung mit mehr als 30.000 EUR wird nur hinsichtlich des ersten Entscheidungsgegenstands (Klagsgenehmigung) in der aufgezeigten Weise vorzugehen sein; im Übrigen läge ein außerordentlicher Revisionsrekurs gemäß § 62 Abs 5 AußStrG vor.

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