Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neuerliche Urteilsfällung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Der Kläger zog sich bei Holzfällerarbeiten durch einen umstürzenden Baum einen Sehnenriss zu. Bei der Untersuchung im Krankenhaus der Beklagten am 22. 1. 2004 wurde der Sehnenriss nicht erkannt. Die sofortige Diagnose einer Sehnenverletzung, die durch ein lokales Direkttrauma hervorgerufen wurde, ist in den meisten Fällen nicht möglich, weil die Diagnostik und klinische Untersuchung durch Prellung und Blutergussbildung der Weichteile erschwert ist. In der Mehrzahl der Fälle wird die endgültige Diagnose eines Sehnenabrisses erst mit einer zeitlichen Verzögerung von 1-2 Wochen gestellt. Aus medizinischer Sicht ist diese zeitliche Verzögerung unbedeutend; es sind damit keine gesundheitlichen Spätfolgen verbunden. Im vorliegenden Fall musste für den Arzt der Verdacht bestehen, dass es sich um einen Sehnenriss handelt. Dem Kläger wurde vom Ambulanzarzt der Beklagten (jedoch nur) gesagt, dass er für den Fall, dass sich etwas verschlechtern sollte, in zwei, drei Tagen wieder zur Kontrolle kommen solle. Auch in der Ambulanzkarte wurde darauf hingewiesen, dass man im Fall von Schmerzen, Blutungen, außergewöhnlicher Sekretion oder Fieber sofort und jederzeit das Krankenhaus aufsuchen möge. Nach einigen Tagen wurden die Schmerzen des Klägers stärker, er suchte aber das Krankenhaus der Beklagten nicht wieder auf. Letztlich wurde in einem anderen Krankenhaus erstmalig am 4. 2. 2004 der Abriss der Bizepssehne festgestellt und als Termin für eine operative Versorgung der 6. 2. 2004 vereinbart. Diesen Termin konnte der Kläger wegen eines grippalen Infekts mit Fieber nicht wahrnehmen. Am 16. 2. 2004 meldete er, dass er wieder gesund sei, und erhielt den Operationstermin (erst) am 23. 2. 2004. Der für 6. 2. 2004 vereinbarte Operationstermin wäre geeignet gewesen, noch eine Direktnaht der abgerissenen Sehne durchzuführen. Bei der späteren Operation war eine Mobilisierung der zurückgezogenen Sehne operationstechnisch nicht mehr möglich, sodass die Fixierung an den Muskelbauch einer daneben liegenden Sehne erfolgte. Dies stellt ein übliches alternatives Verfahren dar und führt zu funktionell guten Ergebnissen, wenn auch nicht im Ausmaß wie eine direkte Sehnenrefixierung. Durch die Art der Operation hatte der Kläger keine erweiterten Schmerzen zu erleiden. Die Bewegungseinschränkung bei einer mit Rekonstruktion der Sehne und Naht durchgeführten Operation in Relation zu der tatsächlich beim Kläger durchgeführten Operation lässt sich nicht bewerten; allenfalls ist von einer Differenz zwischen einem Zehntel des Armwerts bei ordnungsgemäß durchgeführter Operation und einem Sechstel bis einem Achtel des Armwerts beim Zustand des Klägers auszugehen.
Der Kläger begehrte von der Beklagten die Bezahlung von 8.000 EUR an Schmerzengeld und die Feststellung ihrer Haftung für sämtliche zukünftigen, derzeit nicht bekannten Schäden aus der Behandlung vom 22. 1. 2004. Das Unterlassen der therapeutischen Aufklärung stelle einen Behandlungsfehler dar.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Der Beklagten könne vorgeworfen werden, den Kläger nicht auf die Dringlichkeit einer allenfalls erforderlichen Operation hingewiesen zu haben. Dies sei für das weitere Geschehen jedoch nicht kausal, weil sich der Kläger innerhalb der notwendigen Frist von zwei bis drei Wochen ohnehin mit einem Facharzt in Verbindung gesetzt und mit diesem einen Behandlungsvertrag abgeschlossen habe. Nach diesem Zeitpunkt falle nichts mehr in den Verantwortungsbereich der Beklagten.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. Die durch die tatsächliche Operation größere funktionelle Beeinträchtigung des Klägers gegenüber dem Zustand nach einer direkt refixierten Sehne sei mangels Rechtswidrigkeitszusammenhangs mit dem der Beklagten anzulastenden Fehlverhalten nicht haftungsbegründend. Es sei der Beklagten zwar eine rechtswidrige und schuldhafte Verletzung der Aufklärungspflicht vorzuwerfen. Da der Kläger aber noch innerhalb der Zeitspanne, in der eine den Funktionsausfall vermindernde Operation möglich war, eine dazu geeignete Stelle, nämlich ein Unfallkrankenhaus, aufgesucht habe, und die in der Folge eingetretene Unmöglichkeit der genannten Operationsart nicht auf einen von der Beklagten zu verantwortenden Umstand, sondern auf das starke Fieber des Klägers zurückzuführen sei, hafte die Beklagte nicht für den nun vorliegenden größeren funktionellen Schaden des Klägers.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen erhobene Revision des Klägers ist zulässig und mit ihrem Aufhebungsantrag berechtigt.
Der Kläger argumentiert in seinem Rechtsmittel, dass er sich im Falle einer korrekten Aufklärung weitaus früher bei der Beklagten eingefunden hätte und dadurch „zweifellos ein früherer Operationstermin hätte fixiert werden können". Im Übrigen seien die Fieberschübe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nur deshalb aufgetreten, da die Sehne des Klägers nicht zeitgerecht behandelt wurde. Der (adäquate) Kausalzusammenhang zwischen der mangelhaften Aufklärung und den eingetretenen Schäden würde daher sehr wohl bestehen.
Dazu ist auszuführen:
Erste Voraussetzung einer Schadenszurechnung ist die Verursachung des Schadens durch den Schädiger, wobei die Kausalität entsprechend der Äquivalenztheorie mittels der conditio-sine-qua-non-Formel zu prüfen ist. Bei einer Schädigung durch Unterlassung ist zu prüfen, ob ein mögliches (pflichtgemäßes) Verhalten, das man sich hinzudenkt, den Schaden verhindert hätte (Karner in KBB2 § 1295 ABGB Rz 3).
Die von den Vorinstanzen - einzelfallbezogen (siehe RIS-Justiz RS0026529) - angenommene Verletzung der Aufklärungspflicht durch die Beklagte ist nicht zu beanstanden (siehe nur RIS-Justiz RS0026578). Wenn - wie hier - der in der Ambulanz der Beklagten tätige Arzt den Verdacht auf das Vorliegen eines Sehnenrisses haben musste, wäre er nicht nur zur Wiederbestellung des Klägers innerhalb etwa einer Woche verpflichtet gewesen - dies zieht die Beklagte in ihrer Revisionsbeantwortung auch nicht mehr in Zweifel -, sondern auch zur Aufklärung des Klägers über die möglichen Folgen, die die allfällige Missachtung des gebotenen Vorstellungstermins nach sich ziehen könnte.
Steht ein ärztlicher Behandlungsfehler fest und ist es unzweifelhaft, dass die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts durch den ärztlichen Kunstfehler nicht bloß unwesentlich erhöht wurde, hat der Belangte (Arzt oder Krankenanstaltenträger) zu beweisen, dass die ihm zuzurechnende Sorgfaltsverletzung „mit größter Wahrscheinlichkeit" nicht kausal für den Schaden des Patienten war. Es kehrt sich folglich die Beweislast für das (Nicht-)Vorliegen der Kausalität um (Juen, Arzthaftungsrecht2, 241). Dies hat auch hier zu gelten.
Festgestellt wurde, dass sich der Kläger innerhalb der für die Durchführung einer Folgeschäden vermeidenden Operation notwendigen Frist mit einem Facharzt in Verbindung setzte und auch ein noch rechtzeitiger Operationstermin fixiert wurde. Dass dieser nicht zustande kam, lag an einem grippalen Infekt mit Fieber, an welchem der Kläger erkrankte und daher den Operationstermin nicht wahrnehmen konnte. Die erstmals in der Revision erstatteten Ausführungen des Revisionswerbers, wonach die Fieberschübe durch die nicht zeitgerechte Behandlung des Sehnenrisses verursacht worden seien, widersprechen den Feststellungen der Tatsacheninstanzen und sind als Neuerung unbeachtlich.
Die verspätete Durchführung der erforderlichen Operation und somit die eingetretenen Schäden sind aber allenfalls doch auf die mangelhafte Vorgangsweise der Beklagten zurückzuführen. Dass sich der Kläger bei entsprechender Wiederbestellung und vollständiger Aufklärung durch die Beklagte nicht rechtzeitig - vor Einsetzen des Fiebers - der Operation unterzogen hätte bzw die Operation nicht schon vorher durchgeführt hätte werden können, muss - im Sinne der obigen Ausführungen - die Beklagte beweisen. Insoweit mangelt es an den nötigen Feststellungen; auch ein allfälliges Mitverschulden des Klägers lässt sich ohne entsprechende Feststellungen nicht beurteilen.
Das Erstgericht wird daher nach Verfahrensergänzung die nötigen Feststellungen zu treffen und neuerlich zu entscheiden haben.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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