OGH 1Ob138/04g

OGH1Ob138/04g25.6.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ottokar P*****, vertreten durch Dr. Johann Etienne Korab, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen 74.889,37 EUR sA infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 72.600 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 9. März 2004, GZ 14 R 247/03a-37, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Das Landesgericht für Strafsachen Wien stellte mit Beschluss vom 19. 3. 2001 fest, dass dem Kläger für die vermögensrechtlichen Nachteile, die durch seine Verwahrungs- und Untersuchungshaft vom 30. 11. 1994 bis 21. 12. 1994 im Zuge des gegen ihn geführten Strafverfahrens verursacht wurden, ein Ersatzanspruch nach dem Strafrechtlichen Entschädigungsgesetz (StEG) zustehe. Bereits zuvor war der Kläger von allen wider ihn erhobenen Vorwürfen gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen worden.

Der Kläger begehrte - gestützt auf das Amtshaftungsgesetz (AHG) und das StEG - unter Abzug des von der beklagten Partei bereits vor Klageeinbringung anerkannten Betrags - den Zuspruch von 85.423,94 EUR sA.

Nachdem mittels Teilurteils bereits ein Betrag von 10.534,57 EUR sA des Klagebegehrens rechtskräftig abgewiesen worden war, erkannte das Erstgericht dem Kläger letztlich 4.000 EUR sA "als Haftentschädigung im Sinne des Art 5 Abs 5 MRK" zu und wies das - nicht schon durch das erwähnte Teilurteil erledigte - Klagemehrbegehren von 70.889,37 EUR sA ab.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil dahin ab, dass es das Klagebegehren insgesamt abwies. Es sprach ferner aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision ist unzulässig.

1. Zunächst ist festzuhalten, dass ein immaterieller Schaden nicht unter die gemäß § 1 StEG ersatzfähigen Vermögensnachteile fällt (so zuletzt 1 Ob 233/02z; siehe ferner RIS-Justiz RS0087530). Demnach findet ein Anspruch gemäß Art 5 Abs 5 EMRK auf Leistung immateriellen Schadenersatzes in § 1 StEG keine tragfähige Stütze. Somit kann die in der Revision erörterte Bindungswirkung gemäß § 6 Abs 7 StEG nicht den Anspruch auf Leistung immateriellen Schadenersatzes nach Art 5 Abs 5 EMRK erfassen. Das erkennt auch der Kläger unter Anführung der Entscheidung 1 Ob 88/00y (= SZ 73/103). Er meint indes, wegen der Bindungswirkung gemäß § 6 Abs 7 StEG jedenfalls Anspruch auf Ersatz des eingeklagten Vermögensschadens zu haben.

2. Der Kläger war - trotz einer Aufforderung durch das Erstgericht (ON 24 S. 5) - nicht in der Lage, einen haftkausalen Verdienstentgang schlüssig zu behaupten. Er verschließt sich nunmehr der zutreffenden Ansicht des Berufungsgerichts, das Klagebegehren müsse, soweit es Verdienstentgang zum Gegenstand habe, bereits am Mangel zureichender Klagebehauptungen scheitern. Entsprechende Behauptungen waren - entgegen der Meinung des Klägers - trotz des Beschlusses des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 19. 3. 2001 nicht entbehrlich. Der erkennende Senat sprach bereits in der Entscheidung 1 Ob 14/85 (= SZ 58/142) aus, dass ein Beschluss des Strafgerichts nach § 6 Abs 2 StEG keine Entscheidung über den Grund des Anspruchs im Sinne des § 393 Abs 1 ZPO - damals idF vor der WGN 1989 BGBl 343 - ist, weil das Strafgericht nicht zu prüfen hat, ob ein Schaden überhaupt entstanden ist; demnach könne das Klagebegehren selbst bei Bejahung der Anspruchsvoraussetzungen nach dem StEG (durch das Strafgericht) immer noch zur Gänze abgewiesen werden. An dieser Rechtslage zur Rechtsnatur eines Beschlusses des Strafgerichts, mit dem das Bestehen eines Ersatzanspruchs nach dem StEG wegen einer im Zuge eines Strafverfahrens erlittenen Verwahrungs- und Untersuchungshaft festgestellt wurde, hat sich nichts geändert. Angesichts dessen verkennt der Kläger die Reichweite der Bindungswirkung gemäß § 6 Abs 7 StEG, indem er - im Ergebnis - meint, das Zivilgericht müsse ihm selbst dann, wenn er außerstande sei, einen bestimmten haftkausalen Vermögensschaden schlüssig zu behaupten, einen - gemäß § 273 ZPO "nach freier Überzeugung" auszumessenden - Ersatzbetrag zuerkennen.

3. Richtig ist, dass gemäß § 1 StEG auf Grund des rechtskräftigen Beschlusses des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 19. 3. 2001 an sich auch Vertretungskosten ersatzfähig wären, die der Kläger zur Bekämpfung der über ihn verhängten Haft zweckmäßig aufwendete (vgl 1 Ob 27, 28/90 = SZ 63/223). Allerdings verwiesen bereits die Vorinstanzen zutreffend darauf, dass der Kläger auch die geltend gemachten Vertretungskosten nicht dahin aufgliederte, inwieweit sie der Bekämpfung der Haft zuzuordnen sind. Dagegen führt der Kläger - außer der verfehlten Berufung auf § 273 ZPO - nichts ins Treffen.

4. Der Kläger wendet sich im Grundsätzlichen nicht gegen die vom Berufungsgericht auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) gestützte Ansicht, dass eine bloß ex post unberechtigte, jedoch nicht (auch) ex ante rechtswidrige Untersuchungshaft einen Ersatzanspruch gemäß § 7 PersFrG iVm Art 5 Abs 5 EMRK nicht rechtfertigt. Ein hinreichender Verdacht iSd Art 5 Abs 1 lit c EMRK setzt Fakten oder Informationen voraus, die einen objektiven Beobachter überzeugen würden, dass der vom Verdacht Betroffene eine strafbare Handlung begangen haben könnte. Ist ein solcher Verdacht zu bejahen, so stellt sich die Frage nach einer Entschädigung gemäß Art 5 Abs 5 EMRK nicht (EGMR 12. 1. 1994 ÖJZ 1994, 597).

Nach den getroffenen Feststellungen ist nicht zu erkennen, dass die Ansicht des Berufungsgerichts, die Annahme eines den Kläger belastenden Tatverdachts sei - nach den erörterten Gründen - "durchaus berechtigt" gewesen, auf einer gravierenden Fehlbeurteilung der maßgebenden Umstände dieses Falls als Voraussetzung der Zulässigkeit der Revision beruhen könnte. War aber die Verhängung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft des Klägers - infolge der durch das Berufungsgericht zumindest nicht gravierend unrichtig beurteilten seinerzeitigen Sachlage - rechtmäßig, so besteht kein Ersatzanspruch gemäß § 7 PersFrG iVm Art 5 Abs 5 EMRK.

5. Entsprechend der die Beurteilung durch das Erstgericht billigenden Ansicht des Berufungsgerichts bestand im Übrigen "genug Anlass" für "ein rechtsstaatliches Strafverfahren", ohne dass es nach den getroffenen Feststellungen Anhaltspunkte dafür gäbe, "zu welchem Zeitpunkt das Strafverfahren nur noch auf unvertretbaren Annahmen beruht" habe "und seine Fortsetzung bis zum Freispruch daher nicht mehr vertretbar" gewesen sei. Dass diese Beurteilung einer Vertretbarkeitsfrage als Voraussetzung der Zulässigkeit der Revision geradezu unvertretbar sei (1 Ob 9/03k; 1 Ob 103/02g), ist nicht zu erkennen. Infolgedessen kann dem Klagebegehren in dritter Instanz, insoweit es auf das AHG gestützt wurde, gleichfalls kein Erfolg beschieden sein.

6. Die außerordentliche Revision ist nach allen bisherigen Erwägungen zurückzuweisen, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage abhängt

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