European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2010:0010OB00137.10V.0914.000
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.751,04 EUR (darin 291,84 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung
Die Klägerin begehrte von der Beklagten die Zahlung des Klagsbetrags für mehrere Fleischwarenlieferungen. Die (internationale) Zuständigkeit des angerufenen Erstgerichts ergebe sich daraus, dass Bad Leonfelden Erfüllungsort für die Warenlieferung gewesen und auch als solcher vereinbart worden sei.
Die Beklagte bestritt die internationale Zuständigkeit. Es sei weder ein österreichischer Erfüllungsort noch ein österreichischer Gerichtsstand vereinbart worden. Die Ware sei vertragsgemäß von der Klägerin an die Beklagte „frei Haus“ geliefert worden. Der Erfüllungsort liege somit in den Niederlanden.
Die Vorinstanzen wiesen die Klage mangels internationaler Zuständigkeit des angerufenen Erstgerichts zurück; das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig. Eine Vereinbarung über einen Gerichtsstand nach Art 23 EuGVVO sei nicht zustande gekommen, ebenso wenig eine den Formerfordernissen des Art 23 EuGVVO entsprechende (abstrakte) Erfüllungsortvereinbarung. Die internationale Zuständigkeit für die geltend gemachte Kaufpreisforderung bestimme sich nach Art 5 Nr 1 lit b EuGVVO. Danach sei primär der Ort der tatsächlichen Erfüllung maßgeblich, und zwar auch dann, wenn der Vertrag dem UN‑Kaufrecht unterliege. Nach den Feststellungen sei die Lieferung nach dem Vertrag frei zum Sitz der Beklagten in den Niederlanden erfolgt, womit der tatsächliche Erfüllungsort in den Niederlanden gelegen sei. Damit stelle sich auch die Frage, inwieweit die Vereinbarung einer Lieferung „frei Haus“ nur eine Regelung über Liefermodalitäten, die Kosten‑ und Gefahrtragung, nicht aber eine solche des Erfüllungsorts bzw des Gerichtsstands ist, nicht.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen erhobene Revisionsrekurs der Klägerin erweist sich als unzulässig, weil keine iSd § 528 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage zu lösen ist.
1. Soweit die Revisionsrekurswerberin Erörterungen über eine allenfalls vorliegende Gerichtsstandsvereinbarung iSd Art 23 EuGVVO anstellt, ist nicht ersichtlich, woraus die von der Verordnung geforderte Vereinbarung, „dass ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftig aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen“, abgeleitet werden sollte. Die festgestellte Klausel aus den AGB der Klägerin „Erfüllungsort ist 4190 Bad Leonfelden. Es gilt österreichisches Recht.“ bezieht sich in keiner Weise auf in der Zukunft gerichtlich auszutragende Rechtsstreitigkeiten.
2. Unbedenklich ist auch die Auffassung der Vorinstanzen, dass eine Vereinbarung eines im Sprengel des angerufenen Erstgerichts liegenden Erfüllungsorts zwischen den Parteien nicht zustande gekommen ist, zumal die Frage, was mangels ausdrücklicher Vereinbarung im Einzelnen Vertragsbestandteil geworden ist, regelmäßig von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhängt und sich einer generellen Beurteilung entzieht. Im vorliegenden Fall steht fest, dass die AGB der Klägerin der Beklagten niemals übermittelt wurden; sie waren lediglich deren Geschäftsführer deshalb bekannt, weil er diese kurz zuvor als Geschäftsführer einer anderen Gesellschaft erhalten hatte, mit der die Klägerin eine Geschäftsbeziehung beginnen wollte. Weder in der Korrespondenz zwischen den Streitteilen noch anlässlich der telefonischen Bestellungen wurden die AGB gegenüber der Beklagten jemals erwähnt. Auch in einer Besprechung zu Beginn der Geschäftsbeziehung zwischen den Streitteilen, in denen grundsätzliche Vereinbarungen über das Zahlungsziel für die einzelnen Lieferungen und die Bestellmodalitäten besprochen und schriftlich fixiert wurden, wurde auf die AGB der Klägerin nicht Bezug genommen.
Wenn die Vorinstanzen unter diesen Umständen nun die Auffassung vertreten haben, die im Rahmen eines anderen Unternehmens erlangte Kenntnis des Geschäftsführers der Beklagten über den Inhalt der AGB der Klägerin reiche nicht aus, um diese ‑ jedenfalls im Hinblick auf die Erfüllungsortklausel ‑ zum Inhalt des Vertrags mit der Beklagten zu machen, wenn dieser gegenüber die Absicht, die AGB in das Vertragsverhältnis einzubeziehen, nie geäußert wurde, so erscheint dies nicht weiter bedenklich. Will jemand vom dispositiven Recht abweichende Bestimmungen in ein Vertragsverhältnis einführen, so liegt es grundsätzlich an ihm, dafür Sorge zu tragen, dass dieser Wunsch dem (zukünftigen) Vertragspartner unmissverständlich zur Kenntnis gebracht wird. Dies wäre im vorliegenden Fall ohne weiteres möglich gewesen, nachdem die Klägerin erkannte, dass ein Vertragsverhältnis mit der ursprünglich ins Auge gefassten Gesellschaft, an die ein die AGB enthaltendes Angebot übersandt worden war, nicht zustande kommt. Hat sie dennoch eine Übermittlung ihrer AGB an den späteren Vertragspartner, die Beklagte, unterlassen, stellt es keinesfalls eine krasse Fehlbeurteilung dar, wenn angenommen wird, dass die AGB ‑ die darüber hinaus auch bei der Grundsatzvereinbarung über wesentliche Vertragspunkte nicht erwähnt wurden ‑ nicht Vertragsinhalt geworden sind.
3. Im Einklang mit der herrschenden Rechtsprechung ist das Rekursgericht davon ausgegangen, dass die an den Ort der Warenlieferung anknüpfende Zuständigkeitsbestimmung des Art 5 Nr 1 lit b EuGVVO auch für Warenlieferungen gilt, auf die das UN‑Kaufrecht anzuwenden ist. Dazu kann auf die Ausführungen in der Rekursentscheidung verwiesen werden (§ 510 Abs 3 iVm § 528a ZPO). Das Rekursgericht hat auch zutreffend darauf hingewiesen, dass gemäß Art 5 Nr 1 lit c EuGVVO die Regelung nach lit b ‑ also für Kauf‑ und Dienstleistungsverträge ‑ vorgeht, wogegen lit a nur für die übrigen Fälle gilt. Maßgeblich ist somit nicht der Erfüllungsort für die Kaufpreiszahlung, sondern jener für die Warenlieferung.
4. Unstrittig ist, dass sich die Klägerin verpflichtet hat, die Waren „frei Haus“ zu liefern und dass diese auch am Sitz der Beklagten angekommen sind und von dieser übernommen wurden. Damit lag der tatsächliche Erfüllungsort (Ablieferungsort), auf den die Vorinstanzen für die Zuständigkeitsfrage zu Recht abgestellt haben (vgl nur die Nachweise bei Simotta in Fasching/Konecny 2 V/1 Art 5 EuGVVO Rz 183‑187), in den Niederlanden. Dass die Waren etwa durch eine von der Beklagten beauftragte Hilfsperson in Österreich abgeholt worden wären, behauptet die Klägerin selbst nicht.
5. Nach zutreffender Auffassung besteht auch kein Anlass, danach zu differenzieren, ob die Waren vom Verkäufer selbst bzw durch eigene Mitarbeiter oder aber im Rahmen eines sogenannten Versendungskaufs ‑ etwa durch einen Frachtführer ‑ zum Käufer gebracht wurden. Dies entspricht auch überwiegender Ansicht in Lehre (vgl etwa die Nachweise bei Simotta aaO Rz 184) und Rechtsprechung. Dem europäischen Verordnungsgeber kann auch nicht unterstellt werden, sich der Tatsache, dass im internationalen Warenhandel Waren in aller Regel im Wege des Versendungskaufs übermittelt werden, nicht bewusst gewesen zu sein. Auch beim Versendungskauf ist regelmäßig der Ort der Entgegennahme der Ware durch den Empfänger jener Ort, an dem die Sache „nach dem Vertrag geliefert worden“ ist.
Schließlich hat der EuGH jüngst (C‑381/08) die Auslegungsfrage nach dem Erfüllungsort beim Versendungskauf wie folgt beantwortet:
„Art 5 Nr 1 Buchst b erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 44/2001 ist dahin auszulegen, dass bei Versendungskäufen der Ort, an dem die beweglichen Sachen nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen, auf der Grundlage der Bestimmungen dieses Vertrags zu bestimmen ist. Lässt sich der Lieferort auf dieser Grundlage ohne Bezugnahme auf das auf den Vertrag anwendbare materielle Recht nicht bestimmen, ist dieser Ort derjenige der körperlichen Übergabe der Waren, durch die der Käufer am endgültigen Bestimmungsort des Verkaufsvorgangs die tatsächliche Verfügungsgewalt über diese Ware erlangt hat oder hätte erlangen müssen.“
Da im vorliegenden Fall nach der unbedenklichen Rechtsansicht der Vorinstanzen ‑ selbst unter der Annahme der Einbeziehung der AGB der Klägerin ‑ ein vom tatsächlichen Ablieferungsort abweichender „echter“ Erfüllungsort für die Warenlieferung nicht vereinbart wurde, ist der Sitz der Beklagten als jener Ort zuständigkeitsbegründend, an dem die Käuferin am endgültigen Bestimmungsort die tatsächliche Verfügungsgewalt über die gelieferten Waren erlangt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 40 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.
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