Normen
Bundesstraßengesetz 1971, §20
Bundesstraßengesetz 1971, §20
Spruch:
Die Anrufung des ordentlichen Gerichtes vernichtet den Bescheid der Verwaltungsbehörde über die Höhe der Enteignungsentschädigung zur Gänze; das Gericht hat die Höhe der Entschädigung ohne Rücksicht auf die Vorentscheidung der Verwaltungsbehörde neu festzusetzen
OGH 11. Juli 1973, 1 Ob 126/73 (KG Wels R 29/73. BG Vöcklabruck 1 Nc 154/71)
Text
Mit dem im Juni 1970 rechtskräftig gewordenen Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 25. Mai 1970 wurde die Liegenschaft EZ 423 KG W, die im Eigentum der Antragstellerin stand und aus zwei Grundstücken mit einer Gesamtfläche von 274 m2 besteht, enteignet. Die Entschädigung für die Antragstellerin wurde mit 250 S je m2 Grundfläche, 1000 S für einen Baum und 405.000 S für das Haus samt Nebenanlagen und Wertzuschlägen, insgesamt mit 474.500 S, bestimmt. In dem am 26. April 1971 an das Erstgericht gestellten Antrag erachtete die Antragstellerin die Bewertung der Grundfläche mit 250 S je m2 für unangemessen und hielt die Zahlung eines Betrages von 500 S je m2 für berechtigt; sie beantragte, der Antragsgegnerin, der Republik Österreich, noch die Leistung des zu ermittelnden Unterschiedsbetrages für den Grundwert aufzuerlegen. Nach Erstattung eines Gutachtens erklärte die Antragstellerin, den Antrag auf gerichtliche Festsetzung des Grundwertes zurückzuziehen; die Antragsgegnerin, die schon zuvor die Auffassung vertreten hatte, daß auch für die Baulichkeiten die Entschädigung neu festzusetzen sei, verweigerte jedoch die Zustimmung.
Das Erstgericht setzte die Gesamtentschädigung neu mit 226.125 S fest.
Das Rekursgericht hob den Beschluß des Erstgerichtes auf und trug ihm Verfahrensergänzung und neuerliche Entscheidung auf. Nicht richtig sei die Auffassung des Rekurses der Antragstellerin, das Verfahren sei lediglich auf die Festsetzung einer Entschädigung für die Grundfläche zu beschränken gewesen. Mit der fristgerechten Anrufung des Gerichtes in der Entschädigungsfrage sei vielmehr die Entscheidung der Verwaltungsbehörde über die Höhe der Entschädigung zur Gänze außer Kraft getreten. Das Gericht habe die Höhe der Entschädigungsfrage sei vielmehr die Entscheidung der Verwaltungsbehörde über die Höhe der Entschädigung vollig unabhängig von der Bestimmung im Verwaltungsverfahren und ohne Rücksicht darauf festzusetzen, ob dem Antragsteller Teile der verwaltungsbehördlichen Entschädigungsfestsetzung genehm sind oder nicht. Die besonderen Verhältnisse des Falles erforderten jedoch die Beiziehung eines zweiten Sachverständigen.
Der Oberste Gerichtshof hielt den Revisionsrekurs der Antragstellerin, da nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes die Anfechtung eines Aufhebungsbeschlusses der zweiten Instanz in Enteignungsfällen, in denen nach dem Eisenbahnenteignungsgesetz zu verfahren ist, also auch im Enteignungsverfahren nach dem Bundesstraßengesetz (§ 15 Abs. 5 BStG 1948; § 20 Abs. 5 BStG 1971), offen steht (6 Ob 60/73; 5 Ob 210/71; 5 Ob 98/68; SZ 33/73; SZ 31/18 u. a.) für zulässig, gab ihm jedoch nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Nach § 20 Abs. 3 BStG 1971 steht es beiden Teilen des Enteignungsverfahrens frei, binnen einem Jahr nach Rechtskraft des vom Landeshauptmann erlassenen Enteignungsbescheides die Entscheidung über die Höhe der Entschädigung bei jenem Bezirksgericht zu begehren, in dessen Sprengel sich der Gegenstand der Enteignung befindet. Mit Anrufung des Gerichtes tritt die verwaltungsbehördliche Entscheidung über die Höhe der Entschädigung außer Kraft. Bei der Beurteilung, welche Bedeutung der letztzitierte Satz hat, ist auf Art. 94 B-VG Bedacht zu nehmen, wonach die Justiz von der Verwaltung in allen Instanzen getrennt ist. Art. 94 B-VG verbietet es, die ordentlichen Gerichte durch einfaches Gesetz als Kontrollinstanzen zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Entscheidungen von Verwaltungsbehörden zu berufen; der Grundsatz der Trennung der Justiz von der Verwaltung bedeutet auch, daß nicht über ein und dieselbe Frage sowohl Gerichte als auch Verwaltungsbehörden, sei es im gemeinsamen Zusammenwirken, sei es im instanzenmäßig gegliederten Nacheinander, entscheiden dürfen (VfGH VfSlg. 4359/1963; VfSlg. 3507/1959; VfSlg. 3121/1956 u. a.). Hingegen wird die Schaffung sukzessiver Zuständigkeiten von Verwaltungsbehörden und Gerichten, wenn diese Vollziehungsbehörden nicht durch eine instanzenmäßige Gliederung verbunden sind, durch Art. 94 B-VG nicht verwehrt; die Bestimmungen der §§ 36, 37 MietG (VfGH, VfSlg. 3236/1957) und der §§ 370 bis 407 ASVG (VfGH, VfSlg. 3424/1958) sind daher ebensowenig verfassungswidrig wie es die dem § 20 Abs. 3 BStG 1971 entsprechenden Bestimmungen des Salzburger Landesstraßengesetzes 1955 es waren (VfGH, VfSlg. 4359/1963). Der Verfassungsgerichtshof verstand nämlich die entsprechenden Bestimmungen des Salzburger Landesstraßengesetzes dahin, daß durch die Anrufung des ordentlichen Gerichtes der Bescheid der Verwaltungsbehörde über die Höhe der Entschädigung mit dem Zeitpunkt der Anrufung des Gerichtes vernichtet wird und das ordentliche Gericht ein von Grund auf vollkommen neues Verfahren durchzuführen und vollkommen neu zu entscheiden hat; (nur) infolgedessen sind die ordentlichen Gerichte keine Instanz über die Verwaltungsbehörde. Gesetze sind nun im Zweifel verfassungskonform auszulegen (EvBl. 1967/232 und die ständige Judikatur des Verfassungsgerichtshofes). Auch das Bundesstraßengesetz ist daher, wollte man schon Zweifel über die Bedeutung des ohnehin recht klaren Wortlautes des Gesetzes haben, im Sinne der dargestellten Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zu verstehen. Der Auffassung der Untergerichte folgend kann § 20 Abs. 3 Satz 4 BStG 1971 also nur bedeuten, daß mit der Anrufung des Gerichtes die verwaltungsbehördliche Entscheidung über die Höhe der Entschädigung zur Gänze außer Kraft tritt. Da die einzelnen Komponenten, aus denen sich ein Entschädigungsbetrag zusammensetzt, vielfach nicht völlig klar zu trennen sind, wäre anders auch ein Ineinandergreifen von verwaltungsbehördlicher und gerichtlicher Entscheidung kaum vermeidbar.
Im dargestellten Sinne hat der Oberste Gerichtshof auch bereits ausgesprochen, daß das Außerkrafttreten der verwaltungsbehördlichen Entscheidung über die Festsetzung der Entschädigung für beide Parteien gilt, so daß es nicht erforderlich ist, daß beide Teile die Entscheidung des Gerichtes beantragen, wenn sie mit der Entscheidung des Landeshauptmannes nicht einverstanden sind (5 Ob 110/67). Schon allein aus diesem Gründe ist auch die Auffassung der Antragstellerin, die Antragsgegnerin hätte ihren Antrag, auch für die Baulichkeiten die Entschädigung neu festzusetzen, verspätet gestellt, unhaltbar. Der Oberste Gerichtshof hat aber auch bereits mehrfach dargelegt, daß das Gericht die Verpflichtung trifft, die Höhe der Entschädigung ohne Rücksicht auf die Vorentscheidung der Verwaltungsbehörde und auch ohne Bezugnahme auf diese festzusetzen (5 Ob 193-195/71; 5 Ob 202/70, 5 Ob 101/67). Sache des Gerichtes ist es also, bei der Bemessung der Entschädigung selbständig die einzelnen dem Enteigneten verursachten Vermögensnachteile zu berücksichtigen; die Entschädigung darf nur insgesamt nicht höher als der vom Enteigneten begehrte Betrag sein (5 Ob 193-195/71). Zumindest dann, wenn es sich, wie im vorliegenden Falle, nur um eine einzige Liegenschaft handelt, hatte die Antragstellerin also nicht die Möglichkeit, nur eine Berechnungskomponente der von der Verwaltungsbehörde zuerkannten Enteignungsentschädigung zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens zu machen. Sie hatte vielmehr nur die Wahl, den Bescheid der Verwaltungsbehörde über die Höhe der Entschädigung vollinhaltlich anzunehmen oder anschließend an das Verwaltungsverfahren ein völlig selbständiges gerichtliches Verfahren zu beantragen und damit das Risiko zu verbinden, daß sie vom Gericht unter Umständen weniger zugesprochen erhält als ihr im Verwaltungsverfahren zuerkannt worden war. Daß der Gesetzgeber ein solches Ergebnis durchaus im Auge hatte, ergibt sich aus der Gesetzesbestimmung, daß der Enteignete nicht mehr die Möglichkeit hat, den Antrag auf gerichtliche Festsetzung der Entschädigung ohne Zustimmung des Antragsgegners zurückzunehmen; darin kommt aber auch die Vernichtung des die Höhe der Entschädigung betreffenden Teiles des Erkenntnisses der Verwaltungsbehörde neuerlich zum Ausdruck. Es wäre auch unverständlich, wenn der Gesetzgeber dem Enteigneten die Möglichkeit eingeräumt hatte, eine für ihn zu günstigen Teil eines Entschädigungsbetrages anzunehmen und allein einen Teil die für ihn nachteilig berechnet worden war, zu bekämpfen vom Gericht neu zu prüfen und festzusetzen ist vielmehr nur die Gesamtsumme der Entschädigung. Weil der Enteignungsbescheid in seinen Bestimmungen über die Höhe der Entschädigung unwiderruflich und zur Gänze außer Kraft tritt, sieht das Bundesstraßengesetz 1971 im § 20 Abs. 3 letzter Satz auch vor, daß bei Zurücknahme des Antrags der im Enteignungsbescheid bestimmte Entschädigungsbetrag nunmehr als (im gerichtlichen Verfahren) vereinbart gilt.
Der Rechtsauffassung des Rekursgerichtes, daß ohne Rücksicht auf den Inhalt des Antrages der Antragstellerin die gesamte Entschädigung vom Gericht neu festzusetzen ist, ist also beizupflichten. Auch aus § 37 Abs. 1 EisbEG ist für die Revisionsrekurswerberin nichts zu gewinnen, da diese Bestimmung nach ihrem Wortlaut nur den Enteignungsbescheid des Landeshauptmanns betrifft; sie ist daher bei Bedachtnahme auf § 20 Abs. 5 BStG 1971 im gerichtlichen Verfahren nicht anwendbar. § 37 Abs. 2 EisbEG besagt zudem noch ausdrücklich, daß der Enteignete von der Möglichkeit des Abs. 1, auch eine nur teilweise Aufhebung des Enteignungsbescheides zu begehren, nicht mehr Gebrauch machen kann, wenn er bereits um die gerichtliche Feststellung der Entschädigung angesucht hat.
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