OGH 1Ob113/06h

OGH1Ob113/06h20.6.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei ÖR Friedrich S*****, vertreten durch Holter-Wildfellner Rechtsanwälte GmbH in Grieskirchen, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, *****, vertreten durch Dr. Erich Kaltenbrunner, Rechtsanwalt in Linz, wegen EUR 19.848,56 sA und Feststellung (Streitwert EUR 5.000), infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 31. März 2006, GZ 4 R 2/06a-15, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Der Antrag auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung wird gemäß § 508a Abs 2 Satz 2 ZPO abgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. In Rechtsprechung und Lehre sind allgemeine Verhaltenspflichten des Sozialversicherungsträgers gegenüber dem Versicherten anerkannt. Vor allem aus dem sozialversicherungsrechtlichen Schuldverhältnis lassen sich eine Reihe von Auskunfts-, Aufklärungs-, Informations- und Beratungspflichten der Versicherungsträger begründen, deren Verletzung zur Amtshaftung führen kann (RIS-Justiz RS0111538; SZ 2002/106 ua). Darüber hinaus bestimmt § 1 Abs 1 AuskunftspflichtG (BGBl 287/1987), dass die Organe des Bundes sowie die Organe der durch die Bundesgesetzgebung zu regelnden Selbstverwaltung über Angelegenheiten ihres Wirkungsbereichs Auskünfte zu erteilen haben, wobei eine Verletzung der Auskunftspflicht Amtshaftungsansprüche nach sich ziehen kann (RIS-Justiz RS0113363, RS0113716; SZ 73/34 ua). Auch wenn ein Auskunftsbegehren erst im Zuge einer Rückfrage des Sozialversicherungsträgers gestellt wird, fällt dieser Vorgang unter die Hoheits- bzw Selbstverwaltung, sodass entgegen der Auffassung der Revisionswerberin nicht davon gesprochen werden kann, es handle sich bei einer daraufhin erteilten Auskunft um eine - amtshaftungsrechtlich irrelevante - „Serviceleistung".

2. Wie ein Auskunftsersuchen zu verstehen ist und welchen Umfang bzw welche Genauigkeit eine darüber zu erteilende Auskunft haben muss, ist stets von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhängig, sodass insoweit eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht vorliegt. Eine krasse Fehlbeurteilung, die vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit oder der Einzelfallgerechtigkeit korrigiert werden müsste, ist dem Berufungsgericht nicht unterlaufen. Der Kläger hat die Mitarbeiterin der Beklagten um Aufklärung darüber ersucht, welche der beiden in Betracht kommenden Pensionsarten (vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit bzw Erwerbsunfähigkeitspension) sie ihm empfehlen würde. Er äußerte bei diesem Gespräch auch, dass er nach seiner Pensionierung in seinem Hauptberuf mehr Zeit für sein Bürgermeisteramt haben und sich darin intensiver betätigen werde, wobei er die Frage einer allfälligen Wiederwahl nach Ablauf seiner Funktionsperiode nicht ansprach. Wenn das Berufungsgericht die Auffassung vertrat, die Mitarbeiterin der Beklagten hätte die Möglichkeit einer weiteren Funktionsperiode als Bürgermeister in Betracht ziehen und ihre Auskunft auch auf die damit verbundenen pensionsrechtlichen Nachteile erstrecken müssen, kann dies nicht als bedenkliche Fehlbeurteilung angesehen werden, zumal das Berufungsgericht auch auf die bereits langjährige Tätigkeit des Klägers als Bürgermeister und die in ländlichen Gemeinden häufig stabilen politischen Verhältnisse, die eine Wiederwahl durchaus wahrscheinlich machten, hinwies. Auch wenn es zweifellos zutrifft, dass sich die Auskunfts- bzw Beratungspflicht des Versicherungsträgers nicht auf alle hypothetisch denkbaren zukünftigen Sachverhaltskonstellationen erstreckt, ist damit für die Revisionswerberin nichts gewonnen, weil auch das Berufungsgericht eine solche überschießende Beratung nicht forderte. Die Rechtsansicht, das Absolvieren einer weiteren Funktionsperiode als Bürgermeister wäre eine unter den gegebenen Umständen durchaus nahe gelegene Sachverhaltsvariante gewesen, auf die bei der erteilten Auskunft hätte Bedacht genommen werden müssen, bedeutet keineswegs eine (erhebliche) Fehlbeurteilung. Die Ansicht der Revisionswerberin, die Abgabe einer „Rechtsmeinung" könne nicht Gegenstand der Auskunftspflicht sein, ist in dieser Allgemeinheit unzutreffend. Auch und gerade die Auswirkung von Nebeneinkünften auf den Pensionsanspruch gehört zu den „Angelegenheiten ihres Wirkungsbereiches" iSd § 1 Abs 1 AuskunftspflichtG. Soweit die Beklagte ins Treffen führt, ihre Mitarbeiterin habe lediglich die Funktion einer Sachbearbeiterin ausgeübt und nicht über das Spezialwissen verfügt, um alle Vor- und Nachteile der in Betracht kommenden Pensionsarten zu beurteilen, ist damit für sie nichts gewonnen. In einem solchen Fall ist ein Versicherungsmitarbeiter gehalten, den anfragenden Versicherten an eine kompetentere Stelle zu verweisen bzw zumindest deutlich zu machen, dass eine umfassende Auskunft nicht erteilt werden könne. Dass sich die Anfrage des Klägers ausschließlich auf die Differenz zwischen den in Betracht kommenden Pensionsarten bei regulärem Pensionsbezug bezogen hätte, ist schon deshalb nicht richtig, weil der Kläger ganz allgemein fragte, welche Pensionsart in seinem Fall „zu empfehlen" wäre, was auch die Berücksichtigung allfälliger Nachteile durch Ruhensbestimmungen einschließt.

3. Der Vorwurf der Aktenwidrigkeit geht schon deshalb ins Leere, weil Schlussfolgerungen des Gerichts den Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit nicht bilden können (RIS-Justiz RS0043256). Die Revisionswerberin bezeichnet die Annahme des Berufungsgerichts, die Mitarbeiterin der Beklagten hätte von einer weiteren Bürgermeistertätigkeit auszugehen gehabt, selbst als „Schlussfolgerung". Diese ist der rechtlichen Beurteilung und nicht dem Tatsachenbereich zuzuordnen.

4. Der Umstand, dass das Berufungsgericht in feststellenden Teil seines Urteils die ausgesprochene Haftung der Beklagten mit den Worten „aus der mangelhaften Aufklärung" umschrieben hat, stellt keinen Verstoß gegen § 405 ZPO dar, auch wenn sich im Urteilsbegehren die Wendung „mangels Aufklärung" findet. Die Revisionswerberin übersieht vor allem, dass eine Bezugnahme auf den genaueren Haftungsgrund im Urteilsspruch gar nicht erforderlich ist. Weder die im Urteilsbegehren noch die im Feststellungsausspruch enthaltene Wortfolge hat Einfluss auf die Reichweite und die Folgen des Feststellungsausspruchs. Entscheidend ist allein die Feststellung, dass die Beklagte dem Kläger für alle künftigen Schäden haftet, die daraus resultieren, dass er anstelle der Erwerbsunfähigkeitspension die vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit beantragt hat. Damit hat das Berufungsgericht dem Kläger in der Sache nichts anderes zugesprochen als er begehrte. Dieser hat sein Begehren auch nicht ausschließlich auf gänzlich unterlassene Aufklärung gestützt, was eine Stattgebung wegen unvollständiger oder unrichtiger Auskunft ausschließen könnte.

5. Warum es am Feststellungsinteresse fehlen sollte, ist den Revisionsausführungen nicht zu entnehmen. Indem das Berufungsgericht eine unzureichende Information durch die Beklagte festgestellt hat, kann dem Kläger ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Haftung für daraus in Zukunft erwachsende Schäden nicht abgesprochen werden.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO), zumal die Entscheidung über das Leistungsbegehren der Höhe nach nicht bekämpft wird.

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