Normen
ABGB §961
ABGB §964
ABGB §970
ABGB §1313a
Code Civil Art. 1953
ABGB §961
ABGB §964
ABGB §970
ABGB §1313a
Code Civil Art. 1953
Spruch:
Die Haftung des Garagierungsunternehmers nach § 970 ABGB. erstreckt sich auch auf den Schaden, den der Einsteller dadurch erleidet, daß ein Fremder durch List den Zutritt zu dem in der Garage eingestellten Auto erreichte und dieses wegschaffte.
Entscheidung vom 12. Mai 1948, 1 Ob 112/48.
I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Der Kläger begehrt in der Klage Ersatz des ihm durch den Verlust eines Kraftwagens, der in der Garage der beklagten Partei eingestellt war und von einem Unbekannten auf Grund einer gefälschten Ausfolgebestätigung weggebracht wurde, entstandenen Schaden.
Das Erstgericht hat mit Zwischenurteil den Klagsanspruch als dem Gründe nach zu Recht bestehend erklärt, da es die Haftung nach § 970 ABGB. auch für solche Fälle annahm, in denen fremde, im Haus aus- und eingehende Personen eingebrachte Sachen durch Betrug an sich bringen.
Das Berufungsgericht hat mit dem angefochtenen Beschluß unter Rechtskraftvorbehalt der gegen das erstgerichtliche Urteil erhobenen Berufung der beklagten Partei Folge gegeben, das Zwischenurteil des Erstgerichtes aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. In der Begründung seines Beschlusses führt das Berufungsgericht aus, daß zwar die Bestimmungen der §§ 970 ff. ABGB. grundsätzlich auch für Garagenbetriebe gelten, daß die Anwendung dieser Vorschriften jedoch auf jene Fälle beschränkt bleiben müsse, in denen einerseits der Eintritt des Schadens durch die aus der Art des Betriebes sich ergebenden Schwierigkeiten einer entsprechenden Sicherung der eingebrachten Sachen gegen ein Abhandenkommen erleichtert und anderseits dem Geschädigten ein Beweis für ein schuldhaftes Verhalten des Verwahrers wesentlich erschwert oder gar unmöglich gemacht wird, in denen also die sogenannten Gefahren des offenen Hauses in Frage kommen. Dazu gehören wohl auch die von fremden Personen ausgeführten Diebstähle, wenn diese sich ohne zureichenden Grund im Betrieb aufhalten, sich dort einschleichen, um rechtswidrige Handlungen an den dort eingebrachten Sachen zu begehen, nicht aber Einbruchsdiebstähle. Im vorliegenden Falle handle es sich nun um keine eigenmächtige Wegnahme des Kraftwagens durch den Unbekannten, sondern darum, daß dieser den Garagenmeister der Beklagten durch Vorweisung der gefälschten, angeblich von der klagenden Partei stammenden Ausfolgebestätigung zur Herausgabe des Autos an ihn veranlaßt habe. Die Voraussetzungen zur Verübung dieses Betruges seien nun nicht durch die besonderen Verhältnisse des Garagenbetriebes geschaffen worden, sondern hätte eine solche betrügerischer Herauslockung des Kraftwagens auch bei einer anderweitigen Aufbewahrung des Autos verübt werden können. Das Berufungsgericht hat daher eine Haftpflicht der beklagten Partei nach § 970, Abs. 2 ABGB. verneint und hält eine solche nur bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Haftpflicht des Verwahrers nach den allgemeinen Bestimmungen der §§ 961 ff. ABGB. für gegeben, worüber jedoch die erforderlichen Feststellungen im angefochtenen Urteile fehlen.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der klagenden Partei Folge, hob den Beschluß des Berufungsgerichtes auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung auf.
Rechtliche Beurteilung
Begründung
Die Frage, ob die Vorschriften der §§ 970 ff. ABGB. sich auch auf Garagierungsunternehmer erstrecken, haben die Untergerichte zutreffend bejaht. Die beklagte Partei haftet daher gemäß § 970 ABGB. als Verwahrerin für den vom Kläger in ihrer Garage eingestellten Kraftwagen, sofern sie nicht beweist, daß der Schaden durch Verlust weder durch sie oder einen ihrer Leute verschuldet noch durch fremde, in dem Hause, hier der Garage, aus- und eingehende Personen verursacht ist. Um sich von dieser Haftung zu befreien, muß die Beklagte daher sowohl das Fehlen eines Verschuldens auf ihrer Seite und auf Seite ihrer Leute als auch den Umstand nachweisen, daß fremde, in der Garage ein- und ausgehende Personen den Schaden nicht verursacht haben. Durch Erbringung des Beweises für den letztgenannten Umstand allein würde daher im Gegensatz zur anscheinenden Meinung des Berufungsgerichtes keineswegs die Anwendbarkeit des § 970 ABGB. schon ausgeschlossen. Die Bestimmungen der §§ 970 ff. ABGB. wären vielmehr nur dann nicht anwendbar, wenn die beklagte Partei kein Unternehmen von der im § 970 ff. ABGB. bezeichneten Art betreiben würde. Die beklagte Partei müßte demnach dann, wenn der Umstand, daß der Schaden nicht von fremden, in der Garage aus- und eingehenden Personen verursacht wurde, feststehen würde, noch nachweisen, daß der Schaden weder von ihr noch von einem ihrer Leute verursacht wurde.
Der Oberste Gerichtshof kann aber auch nicht der Ansicht des Berufungsgerichtes bestimmen, daß der erstgenannte Haftausschließungsgrund im vorliegenden Fall gegeben ist. Wie sich aus dem Berichte der Kommission für Justizgegenstände des Herrenhauses ergibt, trifft nach der Neuregelung der besonderen Haftung der Gastwirte und der ihnen gleichgestellten Unternehmer diese die Verschuldenshaftung nach den für Verwahrer geltenden Grundsätzen, auch wenn kein entsprechender Vertrag vorliegt, überdies die Haftung für ihre Leute, selbst wenn die Voraussetzungen nach § 1313a ABGB. nicht gegeben sind, wobei den Unternehmern die Beweislast für den Mangel eines solchen Verschuldens ihrerseits und auf Seite ihrer Leute obliegt, und haben sie außerdem die spezifischen Gefahren ihres Betriebes, die sogenannte Gefahr des offenen Hauses, zu tragen. Die Gefahr des offenen Hauses besteht darin, daß nicht bloß der Unternehmer und sein Personal, für dessen Verschulden er wie für sein eigenes einsteht, sondern auch Fremde sich im Hause bewegen, seien es Reisende oder Personen, die mit diesen zu verkehren haben, oder Unberufene, denen der Eintritt praktisch nicht verwehrt werden kann, wodurch die Möglichkeit nicht bloß von rechtswidrigen Verletzungen, sondern auch von Zufällen, durch die Sachen der eigenen Gäste beschädigt werden, erhöht wird. Die Fassung, daß der Schaden auch nicht durch fremde, in dem Haus ein- und ausgehende Personen verursacht sein darf, wurde dem Art. 1953 Code civ. nachgebildet; damit sollte auch ausgedrückt werden, daß der Unternehmer nicht nur für Beschädigungen durch andere Gäste, sondern auch für Diebstähle von "Einschleichern", die sich das "Aus- und Eingehen Fremder" im Hause zunutze zu machen, zu haften hat (vgl. III. Teilnov. mit Materialien, S. 299, 300).
Unter fremden, im Haus ein- und ausgehenden Personen sind alle Personen zu verstehen, die auch dem Bestohlenen, dem Beschädigten, fremd sind und die dem Betrieb dienenden Räumlichkeiten betreten und verlassen, ohne hiezu ein Hindernis körperlich (z. B. durch Einbruch, Gewaltanwendung) überwinden zu müssen. Ob sie zum Betreten oder Verlassen der Lokalitäten befugt waren oder nicht, ist ebenso wie der Zweck des Aus- und Eingehens nach dem Gesetzeswortlaut und nach dem sich aus dem zitierten Kommissionsbericht ergebenden Sinn des Gesetzes bedeutungslos. Es kann sich daher auch um "Einschleicher", nicht aber um Personen handeln, die durch einen Einbruch in das Haus gelangen oder sich den Eintritt durch Gewalt erzwingen, weil es sich hier nicht mehr um ein bloßes Aus- und Eingehen handelt (vgl. Ehrenzweig System II/1, S. 389, Klang - Swoboda, Komm. II/2, S. 689, Swoboda, Das österr. allgem. bürgerl. Gesetzbuch, S. 208). Es gehören daher nicht nur Personen dazu, die heimlich, also ungesehen, das Haus betreten und verlassen, sondern auch solche, die die Zulassung ihres Eintretens durch eine bewußte Irreführung des Unternehmers oder seiner Leute, insbesondere der von ersteren bestellten Aufsichtspersonen erreichen, z. B. unter dem falschen Vorwand, einen Hotelgast zu besuchen. Ein Unterschied in der Richtung, ob eine solche Person mehr oder weniger raffiniert vorgegangen ist, kann mangels einer Differenzierung im Gesetz nicht gemacht werden. Die gegenteilige Auslegung würde aber auch nicht dem Sinn und Zweck des Gesetzes und der Absicht des Gesetzgebers entsprechen. Würden unter den aus- und eingehenden Fremden nicht aus Unbefugte verstanden werden, die nicht ungesehen, sondern nur durch eine List ins Haus gelangt sind, so bestunde die Haftung der Unternehmer für rechtswidrige Handlungen solcher Personen praktisch eigentlich bloß dann, wenn dem Unternehmer oder einem seiner Leute ein Verschulden zur Last fällt, während die Unternehmerhaftung für Personen, die heimlich, ungesehen, das Haus betreten haben, auch ohne ein solches Verschulden gegeben wäre, also sich in dieser Hinsicht auf Zufall erstreckt. Dies würde die Unternehmer zu besonderen Vorkehrungen gegen heimliche Einschleicher, insbesondere durch die Bestellung von Aufsichtspersonen nötigen, um die Zufallshaftung möglichst zu mindern, und damit zu einer Schlechtstellung der Klein- und Mittelbetriebe, für die die Kosten solcher Maßnahmen nicht tragbar sind, führen, was der Gesetzgeber aber vermeiden wollte (vgl. III. Teilnovelle, S. 300). Die Gefahr der offenen Tür spielt aber auch bei Personen, die durch List ins Haus gelangen, eine Rolle, da einerseits z. B. ein förmlicher Legitimationszwang für alle eintretenden Fremden in Hotels aus wirtschaftlichen und betriebstechnischen Gründen wohl nicht eingeführt werden könnte und anderseits der Unternehmer und seine Leute zumeist über die für eine entsprechende Kontrolle erforderlichen genauen Kenntnisse der persönlichen Verhältnisse der Gäste nicht verfügen und dadurch ein betrügerisches Vorgehen wesentlich leichter ist, als dies bei Versuchen, den Zutritt zu Privatwohnungen durch List zu erreichen, der Fall ist. Für Garagierungsunternehmer würde eine Ausnehmung jener Fremden, die durch List den Zutritt erreichen, bedeuten, daß die Haftung sich praktisch nur auf den Ersatz für Beschädigungen der Kraftwagen beschränkt und hinsichtlich der auf und in den Wagen befindlichen Gegenständen auch auf den Ersatz für Verlust jedoch nur dann erstreckt, wenn die Sachen von solcher Beschaffenheit sind, daß sie verborgen aus der Garage weggeschafft werden können; denn bei offenen Garagen muß für eine entsprechende Aufsicht gesorgt werden, da den Unternehmer auf Grund des Garagierungsvertrages, auch wenn es sich nicht um einen Dauervertrag handelt, die Beaufsichtigungspflicht trifft. Durch die Einstellung eines Kraftwagens in eine Garage soll dieser vor äußeren Einflüssen aller Art, sei es durch menschliche Handlungen, seien es Witterungseinflüsse oder andere äußere Einwirkungen geschützt werden. Bei offenen Garagen hat der Einsteller gar nicht die Möglichkeit, selbst oder durch Stellvertreter das Auto zu beaufsichtigen, da ein Recht zu ständigem Aufenthalt in der Garage oder zu deren Verschließung nicht besteht und ein solches mit der Art des Betriebes auch gar nicht vereinbar wäre. Der Zweck der Garagierung kann daher nur durch eine Beaufsichtigungspflicht des Unternehmers - die pflichtgemäße Obsorge im Sinne des § 964 ABGB. - erreicht werden (vgl. Koritschan, Der Garagierungsvertrag, JBl. 1934, S. 247 ff.). Ein Wegschaffen eines eingestellten Kraftwagens aus einer Garage durch einen Unbefugten, sei es einen anderen Einsteller oder dessen Personal, sei es durch einen "Einschleicher", kann daher ohne Irrführung der Aufsichtsperson praktisch überhaupt nicht in Frage kommen, sofern nicht eine Verletzung der Beaufsichtigungspflicht und damit schon die Verschuldenshaftung gegeben ist. Für die Annahme einer so weitgehenden Einschränkung der Haftung von Garagierungsunternehmern kann nicht ins Treffen geführt werden, daß die Möglichkeit der Irrführung der Aufsichtsperson bei Garagierungsbetrieben nicht größer ist als bei
iner anderweitigen Verwahrung des Kraftwagens. Denn bei der Unterbringung in einer Privatgarage hat eben der Einsteller selbst die Möglichkeit der Verschließung oder der ständigen Beaufsichtigung durch ihn selbst oder eine mit seinen näheren Verhältnissen vertraute Person, so daß ein betrügerisches Vorgehen hier in der Regel viel schwerer zum Ziele führen wird als bei der Einstellung in der offenen Garage eines Garagierungsbetriebes, dessen Aufsichtsperson in der Regel, insbesondere wenn es sich nicht nur um Dauergaragierungsverträge handelt, eine entsprechend genaue Kenntnis der persönlichen Verhältnisse der Einsteller fehlen muß. Die dadurch vergrößerte Täuschungsmöglichkeit gehört aber auch zu den spezifischen Gefahren des Betriebes. Die Haftung des Garagierungsunternehmers nach § 970 ABGB. erstreckt sich daher auch auf den Schaden des Einstellers durch Verlust des Kraftwagens, wenn der Fremde durch eine listige Irrführung der Aufsichtsperson über seine Befugnis zum Wegschaffen des Fahrzeuges den Zutritt zu dem in der Garage eingestellten Wagen und die Wegbringung des Autos erreichte, ohne daß dem Unternehmer oder einem seiner Leute ein Verschulden anzulasten ist.
Nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Streitteile hat im vorliegenden Falle der Unbekannte dadurch, daß er dem Garagenmeister der beklagten Partei eine gefälschte, angeblich vom Kläger stammende Ausfolgungsbestätigung vorwies, erreicht, daß er den Wagen wegbringen konnte. Der Schaden des Klägers durch Verlust seines in der Garage der beklagten Partei eingestellten Kraftwagens wurde demnach durch einen Fremden verursacht, der die Garage betreten und dann mit dem Kraftwagen verlassen hat und haftet daher die beklagte Partei gemäß § 970 ABGB. für diesen Schaden. Da somit Feststellungen über die Verschuldensfrage nicht erforderlich sind, ist die Aufhebung des erstrichterlichen Zwischenurteiles durch das Berufungsgericht wegen des Mangels solcher Feststellungen nicht gerechtfertigt. Dem begrundeten Rekurs des Klägers - ein Revisionsrekurs liegt nicht vor, da die erstgerichtliche Entscheidung mit Rekurs nicht anfechtbar war und auch nicht angefochten wurde - war daher Folge zu geben. Eine Abänderung des Beschlusses des Berufungsgerichtes in der Richtung, daß das erstgerichtliche Urteil wieder hergestellt wird, ist jedoch schon deshalb nicht möglich, da eine Bestätigung eines Urteiles nur in Urteilsform ausgesprochen, im Rekursverfahren aber nur mit Beschluß entschieden werden kann. Es konnte daher bloß der angefochtene Beschluß des Berufungsgerichtes aufgehoben und diesem die neuerliche Entscheidung unter Bindung an die vom Obersten Gerichtshof ausgesprochene Rechtansicht aufgetragen werden.
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