OGH 1Ob109/05v

OGH1Ob109/05v24.6.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** Assurances, *****, vertreten durch Dr. Günther Riess, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Anton G*****, vertreten durch Czernich, Hofstädter, Guggenberger & Partner, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen EUR 21.942,10 sA, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 22. März 2005, GZ 1 R 205/04p-31, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 23. Juli 2004, GZ 59 Cg 49/02k-27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Urteilsfällung - allenfalls nach Verfahrensergänzung - aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit (rechtskräftigem) Urteil des (französischen) Kreisgerichts Nizza wurden die Streitteile sowie eine weitere beklagte Partei (im Folgenden: Reiseveranstalter) zur ungeteilten Hand schuldig erkannt, der dortigen Klägerin, einer französischen Touristin, die sich am 5. 9. 1989 im Hotel des Beklagten verletzt hatte, FRF 125.974 Schadenersatz sowie FRF 10.000 Prozesskostenersatz zu zahlen; weiters wurde die solidarische Verpflichtung zur Zahlung von FRF 20.513,23 an eine Krankenkasse ausgesprochen, die sich dem Verfahren als Nebenintervenientin angeschlossen hatte. Darüber hinaus erkannte das französische Gericht die als "Société d'exploitation Hotel S*****" bezeichnete Partei (im Folgenden: Beklagter) schuldig, den Reiseveranstalter für die ausgesprochenen Verurteilungen schad- und klaglos zu halten ("Garantieurteil"). Die Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass den Hotelier das Verschulden an der Verletzung der dortigen Klägerin treffe, weil er durch die Vorverlegung eines Lichtbildervortrags in einem abgedunkelten Raum eine Gefahr für jene Personen herbeigeführt habe, die zum ursprünglich vorgesehenen Zeitpunkt den Saal betreten wollten und dabei eine Stufe übersehen konnten. Der Reiseveranstalter sei von Rechts wegen verantwortlich für alle Verpflichtungen, die von anderen Leistungsträgern erbracht würden. Die hier klagende Partei hafte solidarisch als (offenbar Haftpflicht-)Versicherer des Reiseveranstalters. Art 23 Abs 1 letzter Satz des Gesetzes vom 13. 7. 1992 ermögliche dem Reiseveranstalter, sich beim wahren Verantwortlichen des Unfalls zu regressieren, weshalb der erhobene Einwand der Garantiehaftung des "Hotel S*****" zulässig und berechtigt sei.

Die nunmehr klagende Partei leistete in der Folge die ihr urteilsmäßig auferlegten Zahlungen an die Geschädigte, und zwar in Teilbeträgen am 8. 4. 1999 und am 13. 9. 2000. Mit Schreiben vom 3. 5. 2000 forderte sie den Beklagten auf, ihr diese Beträge zu ersetzen.

Mit ihrer am 8. 2. 2002 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte die klagende Partei die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von EUR 21.942,10 samt Zinsen. Sie wies dabei auf das rechtskräftige Urteil des französischen Gerichts sowie darauf hin, dass ein Antrag auf dessen Vollstreckbarerklärung gegenüber dem Beklagten in Österreich abgewiesen worden sei. Das Verschulden am Unfall vom 5. 9. 1989 treffe allein den Beklagten, der das Hotel betrieben habe und weiterhin betreibe. Das Urteil entfalte auch für Österreich Rechtswirksamkeit und sei "gemäß Art 26 Abs 3 LGVÜ" in Österreich anzuerkennen. Der Beklagte habe sich rügelos in das französische Verfahren eingelassen und lediglich die Haftung dem Grunde nach wegen angeblich mangelnden Verschuldens bestritten. Mit dem Urteil des französischen Gerichts stehe die Solidarhaftung der Streitteile bindend fest. Der erhobene Zahlungsanspruch werde ausschließlich auf die Berechtigung der klagenden Partei gestützt, sich beim Beklagten zu regressieren, der den Unfall allein zu verantworten habe. Eine Verjährungsfrist habe erst mit der Zahlung der klagenden Partei zu laufen begonnen, sodass selbst eine nur dreijährige Verjährungsfrist durch die Klageerhebung unterbrochen worden wäre. Die klagende Partei mache nicht einen abgeleiteten (zedierten) Anspruch geltend, sondern ausschließlich einen Regressanspruch, der sich aus der solidarischen Haftungsverpflichtung und der Tatsache ergebe, dass die klagende Partei den Schaden vorerst allein zur Gänze getragen habe.

Nach Aufhebung der klagestattgebenden Entscheidungen durch den erkennenden Senat im ersten Rechtsgang berief sich die klagende Partei in einem am 9. 2. 2004 beim Erstgericht eingelangten Schriftsatz weiters darauf, dass der Versicherer im Umfang der für den Versicherungsnehmer geleisteten Zahlung in die Rechte des Versicherten eintrete. Die klagende Partei sei somit durch die für den Reiseveranstalter vorgenommene Urteilserfüllung in dessen Rechtsposition eingetreten, weshalb sie der Beklagte als Solidarschuldner im Sinne des zu Gunsten des Reiseveranstalters ergangenen Ausspruchs des Kreisgerichts Nizza schadlos zu halten und den Klagebetrag zu zahlen habe. Die allgemeine Verjährungsfrist des französischem Rechts betrage dreißig Jahre. Für Regressklagen gebe es keine besondere Bestimmung.

Im Revisionsverfahren ist nur mehr die Frage der Verjährung strittig. Dazu wandte der Beklagte ein, der erhobene Regressanspruch unterliege französischem Recht, das (auch) für den Regressanspruch des Versicherers gegen den Schädiger eine Verjährungsfrist von zwei Jahren vorsehe. Eine zuverlässige Ermittlung des auf den vorliegenden Fall anzuwendenden (französischen) Verjährungsrechts sei schon deshalb geboten, weil der richtigen Beurteilung der Verjährungsfrage streitentscheidende Bedeutung zukomme. Da die vom Bundesministerium für Justiz übermittelten Unterlagen zur abschließenden und sicheren Beurteilung der maßgeblichen Rechtsfrage nicht ausreichten, werde die Einholung einer Auskunft der französischen Behörden nach dem europäischen Rechtsauskunftsübereinkommen beantragt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Zur Beurteilung der Verjährungsfrage reichten die vom Bundesministerium für Justiz übermittelten Unterlagen aus. Die klagende Partei mache keinen Anspruch aus einem Versicherungsvertrag, sondern den Regressanspruch eines Solidarschuldners geltend, weshalb Art L 114-1 Code des Assurances nicht anzuwenden sei. Gemäß Art 2262 CC betrage die allgemeine Verjährungsfrist dreißig Jahre, weshalb die Ansprüche der klagenden Partei nicht verjährt seien.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. Unzureichende Bemühungen bei der Ermittlung fremden Rechts begründeten nach jüngerer Rechtsprechung zwar einen Verfahrensmangel besonderer Art, der auch mit Rechtsrüge geltend gemacht werden könne, doch liege es im Ermessen des Gerichts, wie es sich die notwendigen Kenntnisse des fremden Rechts verschaffe. Es treffe auch zu, dass fremdes Recht gemäß § 3 IPRG wie in seinem ursprünglichen Geltungsbereich anzuwenden sei, wobei sich der österreichische Richter die entsprechenden Kenntnisse von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens selbst verschaffen müsse. Als zulässige Hilfsmittel kämen neben der Mitwirkung der Beteiligten und Auskünften des Bundesministeriums für Justiz auch Anfragen an die nach dem europäischen Übereinkommen maßgeblichen Auskunftsstellen oder Sachverständigengutachten in Betracht. Der Beklagte werfe dem Erstgericht zwar die unrichtige Auslegung von Normen des französischen Verjährungsrechts vor, vermöge jedoch keinerlei konkreten Hinweise auf die Unrichtigkeit der vertretenen Rechtsansicht „zu belegen" und behaupte auch nicht, dass die (unterlassene) Frage an das französische Justizministerium ein anderes Ergebnis erbracht hätte. Damit liege die gerügte Mangelhaftigkeit des Verfahrens nicht vor. Nach dem klaren Wortlaut des Art L 114-1 des Code des Assurances seien hievon nur die gegenseitigen Ansprüche der Vertragspartner aus dem Versicherungsvertrag erfasst, was sich aus Abs 3 dieser Bestimmung ergebe, da dort der Beginn der Frist für die Klage des Versicherten gegen den Versicherer auf einen Rückgriffsanspruch eines Dritten gestützt werde. Im Übrigen übersehe der Berufungswerber, dass die klagende Partei eine Solidarschuld als Judikatschuld befriedigt habe und sich daher der Regress nach dem Innenverhältnis der solidarisch haftenden Mitschuldner richte; so stehe bei der Dritthaftung nach Art 1384 CC den in Anspruch genommenen Geschäftsherrn voller Regressanspruch gegen den schädigenden Angestellten zu, insbesondere aber gehe auf den leistenden Versicherer der Ersatzanspruch des Geschädigten (richtig: wohl Versicherten) gegen den Geschädigten kraft Gesetzes über. Nach dem bindenden Urteil des französischen Gerichts habe die klagende Partei kraft Gesetzes der geschädigten Reisenden neben dem Reiseveranstalter, der auf Grund des Vertrages gehaftet habe, und dem Beklagten, den eine deliktische Haftung getroffen habe, solidarisch für deren Forderung gehaftet. Wegen des besonderen Innenverhältnisses zwischen dem Haftpflichtversicherer und dem Versicherungsnehmer (Reiseveranstalter) scheide ein Rückgriff gegenüber dem Versicherten aus, nicht aber gegenüber dem deliktisch schädigenden Dritten. Die Regressforderung des Versicherers richte sich auch hier nach den besonderen Verhältnis zwischen dem Versicherungsnehmer (Reiseveranstalter) und dem Beklagten, wobei bindend feststehe, dass der Beklagte in diesem Innenverhältnis den Reiseveranstalter schad- und klaglos zu halten habe. Damit sei aber die klagende Partei auch berechtigt, diesen Schadenersatzanspruch gegenüber dem Beklagten im übergegangenen Umfang geltend zu machen. Dieser unterliege der allgemeinen Verjährungsfrist des Art 2262 CC, und zwar unabhängig von der nicht eindeutig geklärten Frage, ob die Grundlage des Rückgriffs des zahlenden Solidarschuldners gegenüber den anderen ein Forderungsübergang kraft Gesetzes nach Art 1251 Z 3 CC oder ein originärer Anspruch des Zahlenden analog Art 1214 CC sei, weil in beiden Fällen die allgemeine Verjährungsfrist zum Tragen komme. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil der zu lösenden Verjährungsfrage keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.

Die Revision des Beklagten ist zulässig und mit ihrem Aufhebungsantrag auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Zutreffend hat schon das Berufungsgericht dargelegt, dass fremdes Recht grundsätzlich von Amts wegen und wie in seinem ursprünglichen Geltungsbereich anzuwenden ist (§ 3 IPRG). Von ausschlaggebender Bedeutung ist somit die Auslegung und Anwendung der in Betracht kommenden Normen des fremden Sachrechts durch die Rechtsprechungsorgane, insbesondere das Höchstgericht des betreffenden Staates. Gerade bei rechtlich komplizierten Konstellationen kann regelmäßig mit dem bloßen Wortlaut der ausländischen Rechtsnormen bzw - allenfalls sogar nicht mehr aktuellen - übersichtsweisen Darstellungen nicht das Auslangen gefunden werden, insbesondere wenn es um keine „exotische" Rechtsordnung geht, sondern um Rechtsnormen eines europäischen Staates, deren Auslegung durch entsprechende Anfragen an die zuständigen Behörden dieses Staates üblicherweise in angemessener Frist und ohne unzumutbaren Aufwand erhoben werden kann. In diesem Sinne hat auch das Bundesministerium für Justiz in seiner Antwort auf die Anfrage des Erstgerichts (ON 25) angeregt, vom europäischen Rechtsauskunftsübereinkommen Gebrauch zu machen und ein an die französische Empfangsstelle gerichtetes Ersuchen zu übermitteln.

Der erkennende Senat teilt die Auffassung des Revisionswerbers, dass die von den Vorinstanzen herangezogenen Erkenntnisquellen nicht ausreichen, um verlässlich beantworten zu können, ob der erhobene Anspruch nach französischem Verjährungsrecht bereits verjährt ist oder nicht. Dies zeigt auch ein Vergleich mit den entsprechenden Rechtsnormen des österreichischen Zivilrechts, für das es alles andere als unstrittig ist, unter welchen Voraussetzungen und in welchen Fallgruppen Regressansprüche von Solidarschuldnern der allgemeinen 30-jährigen Verjährungsfrist oder - unter Berücksichtigung des jeweiligen Rechtsverhältnisses zwischen ihnen - einer kürzeren Verjährungsfrist unterliegen (vgl dazu nur die Darstellungen von Gamerith in Rummel I3 § 896 ABGB Rz 11 und M. Bydlinski in Rummel II/33 § 1478 ABGB Rz 5, § 1489 ABGB Rz 2a). Da sich im französischen Recht ganz ähnliche Sachfragen stellen und auch dort gewisse Differenzierungen durch die Rechtsprechung zu erwarten sind, die vom reinen Gesetzeswortlaut abweichen können, erscheint die Ermittlung der konkreten Rechtsanwendung in derartigen Konstellationen unerlässlich.

Das Erstgericht wird daher geeignete Schritte iSd § 4 Abs 1 IPRG zu setzen haben. Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass die klagende Partei ihren Anspruch letztlich - wenn auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten, was für die Verjährungsfrage von Bedeutung sein könnte - auf zwei voneinander abzugrenzende Rechtsgründe gestützt hat. Machte sie ursprünglich allein ihren eigenen Regressanspruch aus dem durch das Urteil des französischen Gerichts begründeten Solidarschuldverhältniss geltend, berief sie sich in der Folge weiters auf einen auf sie übergegangenen Regressanspruch des Reiseveranstalters gegen den Beklagten, wobei sie darauf verwies, dass der Beklagte auch schuldig erkannt worden sei, den Reiseveranstalter schadlos zu halten. Soweit sich der Revisionswerber auf einen Rechtssatz aus einer Entscheidung des französischen Höchstgerichts zu Art L 114-1 Code des Assurances beruft, wird zweckmäßigerweise zu ermitteln sein, ob dieser Entscheidung ein dem hier zu beurteilenden vergleichbarer Sachverhalt zugrunde lag. Sollte sich ergeben, dass dem Beklagten eine kürzere als die 30-jährige Verjährungsfrist zugute kommt, wird gegebenenfalls auch der Beginn der Verjährung von Bedeutung sein, wobei darauf hinzuweisen ist, dass die klagende Partei eine der beiden Teilzahlungen an die Geschädigte weniger als eineinhalb Jahre vor Klageerhebung geleistet hat.

Nach Ermittlung der maßgeblichen französischen Rechtsprechungspraxis wird das Erstgericht zu beurteilen haben, ob eine Erörterung mit den Parteien oder eine weitere Verfahrensergänzung erforderlich ist. Sollte das nicht der Fall sein, kommt auch eine Urteilsfällung ohne ergänzende Verhandlung in Betracht.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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