OGH 1Ob102/68

OGH1Ob102/682.5.1968

SZ 41/55

Normen

ABGB §492
ABGB §495
ABGB §1380
ZPO §204
ABGB §492
ABGB §495
ABGB §1380
ZPO §204

 

Spruch:

Umfang des Fahrrechtes.

Im Zweifel ist die Benützung eines Fahrweges durch dritte Personen zuzulassen, sofern damit den haus- oder landwirtschaftlichen Betriebserfordernissen des herrschenden Gutes entsprochen wird.

Gerichtlicher Vergleich ist nicht bloß Prozeßhandlung, sondern auch Vertrag.

Entscheidung vom 2. Mai 1968, 1 Ob 102/68.

I. Instanz: Bezirksgericht Hartberg; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.

Text

Mit dem Vertrag vom 15. Jänner 1953 verkauften die Ehegatten Karl und Emilia N. als Miteigentümer je zur Hälfte der Liegenschaft EZ. 329 KG. S. den Ehegatten Anton und Cäcilia R. die Parzelle 1431/3 und räumten dabei für sich und ihre Rechtsnachfolger im Eigentum des Grundstückes 1431/2 zugunsten des veräußerten Grundstückes für immerwährende Zeiten das unentgeltliche Gehrecht, während der Monate November bis einschließlich April auch das unentgeltliche Fahrrecht über das Grundstück 1431/2 ein. Diese Dienstbarkeit ist im Grundbuch eingetragen.

Die Beklagten haben am 31. Oktober 1960 von den Ehegatten R. die Liegenschaft EZ. 355 KG, S., bestehend aus den Grundstücken 304 und 1431/3, mit allen Rechten und Lasten käuflich erworben.

Am 9. Juli 1964 haben die Kläger als Rechtsnachfolger der Ehegatten N. mit den Beklagten vor dem Bezirksgericht H. einen prozeßbeendenden Vergleich nachstehenden Inhalts geschlossen:

"1. Die Beklagten als gleichteilige Eigentümer der Liegenschaft EZ. 355 KG. S. mit dem Grundstück 1431/3 verpflichten sich, in Ausübung des ihnen mit Kaufvertrag vom 15. Jänner 1953 verschriebenen Wegrechtes über die Parzelle 1431/2 der EZ. 329 KG. S. im Eigentum der Kläger in den Monaten Mai bis einschließlich Oktober nur jenen in der Natur sichtbaren Pfad auf der Parzelle 1431/2 zu benützen, der vom öffentlichen Weg ausgehend unmittelbar neben dem Wohn- und Wirtschaftsgebäude der Kläger unter den Obstbäumen hindurch unmittelbar zur Parzelle 1431/2 bis zum Wohnhaus der Beklagten führt. Dieser Weg muß von den Klägern freigehalten werden.

2. Die Beklagten verpflichten sich demgemäß, das Gehen entlang des westlichen Grundstreifens der Parzeile 1431/2 im Eigentum der Kläger, der unmittelbar an die Liegenschaft Anton und Maria G. anschließt und auf dem den Beklagten für die Zeit vom Anfang November bis Ende April das Geh- und Fahrrecht eingeräumt ist, von Anfang Mai bis Ende Oktober zu unterlassen.

Das Gehen auf diesem Weg steht in der Zeit von Anfang November bis Ende April nur den beiden Beklagten persönlich, ihren Rechtsnachfolgern im Besitze ihrer Liegenschaft und ihrem Sohn Gottfried K. zu. Dritte Personen, die zur den Beklagten kommen, sind auch in den Wintermonaten nicht berechtigt, auf dieser Wegstraße zu gehen, sondern haben die im Punkt 1 beschriebene Wegstraße, auf welcher auch den Beklagten in den Wintermonaten das Gehrecht zusteht, zu benützen. Die Beklagten werden ihre Bekannten nach Möglichkeit von dieser Bestimmung in Kenntnis setzen und nach Möglichkeit dafür sorgen, daß diese den Weg, auf welchem nur den Beklagten persönlich das Gehen erlaubt ist, nicht benützen.

3. Die Kläger sind berechtigt, an der Abzweigung dieses Weges vom öffentlichen Weg einen Schranken zu errichten und diesen von Anfang Mai bis Ende Oktober für jedermann versperrt zu halten. Für die Monate November bis einschließlich April ist jedoch den Beklagten und ihrem Sohne Gottfried K. das Geh- und Fahrrecht zu gewährleisten.

4. Die Kläger sind weiters berechtigt bei diesem Weg eine Tafel mit einer Inschrift "Gehen und Fahren verboten" oder Ähnliches zu errichten, doch wird ausdrücklich festgestellt, daß dieses Verbot, die in diesem Vergleich festgelegten Rechte der Beklagten und ihres Sohnes nicht betrifft."

Unter Berufung auf diesen Vergleich begehrten die Kläger mit der vorliegenden Klage als Eigentümer der Liegenschaft EZ. 329 KG. S., zu deren Gutsbestand das belastete Grundstück 1431/2 gehört, die Feststellung, daß a) den Beklagten als den Eigentümern der Liegenschaft EZ. 355 KG. S, nicht das Recht zustehe, anderen als den im genannten Vergleich namentlich bezeichneten Personen das Gehen und Fahren auf dem westseitig verlaufenden Grundstreifen des Wiesengrundstückes 1431/2 zu gestatten, sowie daß b) ein mit Wissen und Willen der Beklagten erfolgendes Gehen und Fahren dritter, in dem Vergleich nicht genannter Personen auf diesem unmittelbar an die Liegenschaft der Landwirtsehegatten G. angrenzenden Grundstreifen eine unzulässige Erweiterung der zugunsten der jeweiligen Eigentümer der Liegenschaft EZ. 355 KG. S. bestehenden Wegdienstbarkeit darstelle.

Mit dem Teilanerkenntnisurteil vom 21. Juni 1967 hat das Erstgericht gemäß einem von den Beklagten in der mündlichen Streitverhandlung vom 1. Februar 1967 erklärten Teilanerkenntnis festgestellt, daß a) das Gehen dritter, im zitierten Vergleich nicht genannter Personen über den beschriebenen Grundstücksstreifen, sofern dieses mit Wissen und Willen der Beklagten erfolgen sollte, eine Erweiterung der zugunsten der Eigentümer des bezeichneten herrschenden Grundstückes bestehenden Wegdienstbarkeit darstellt und b) die Beklagten nicht berechtigt sind, solchen Personen das Gehen über diesen Grundstücksstreifen zu gestatten.

Im übrigen hat das Erstgericht mit dem Endurteil vom 28. Juni 1967 die weiteren, sich auf das Fahren dritter Personen mit Wissen und Willen der Beklagten auf dem beschriebenen Grundstücksstreifen beziehenden Feststellungsbegehren abgewiesen, wobei als wesentliche Entscheidungsgrundlage - neben den Kaufverträgen vom 15. Jänner 1953 und vom 30. Oktober 1960 und einer Lageskizze - der in seinem Wortlaut bereits wiedergegebene gerichtliche Vergleich gedient hat und in den Entscheidungsgründen darauf verwiesen ist, daß dieser hinsichtlich der Ausübung des den Beklagten zukommenden Fahrrechtes nichts aussage; es müsse daher auf den Vertrag vom 15. Jänner 1953 zurückgegriffen werden, womit dem jeweiligen Eigentümer der Parzelle 1431/3 KG. S. in den Monaten November bis April das unentgeltliche Fahrrecht eingeräumt worden sei; eine über die zeitliche Beschränkung (November bis April) hinausgehende Einschränkung dieses Fahrrechtes sei weder dem Servitutsbestellungsvertrag vom 15. Jänner 1953 noch dem gerichtlichen Vergleich zu entnehmen; die Forderung der Kläger bedeute, daß den Beklagten auch während der Wintermonate die für den Hausgebrauch benötigten Güter (Lebensmittel u. dgl.) nicht mit Fahrzeugen geliefert und sie auch in dieser Zeit von ihren Kindern nicht unter Benützung eines Fahrzeuges besucht werden dürften; eine derartige Absicht der Parteien bei Abschluß des gerichtlichen Vergleiches, der eine Regelung der Ausübung der Dienstbarkeit bezweckt habe, könne nicht angenommen werden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger gegen die Abweisung des nicht durch das - rechtskräftig gewordene - Teilanerkenntnisurteil erledigten Klagebegehrens Folge und sprach in Abänderung des erstgerichtlichen Endurteiles aus, daß a) das Fahren dritter Personen mit Wissen und Willen der Beklagten auf dem Weg entlang des westseitig verlaufenden Streifens des Grundstückes 1431/2, KG. S. eine unzulässige Erweiterung der Wegdienstbarkeit darstellt und b) die Beklagten nicht berechtigt sind, anderen als den im gerichtlichen Vergleich bezeichneten Personen das Befahren dieses Grundstreifens zu gestatten. Ebenso wie das Erstgericht hat auch das Gericht zweiter Instanz seine Sachentscheidung auf Grund des Inhaltes des zwischen den Parteien geschlossenen gerichtlichen Vergleiches gefällt, wobei es - im Gegensatz zur Ansicht des Erstrichters - die Auffassung vertrat, daß sich daraus zwangslos die von den Klägern behaupteten Beschränkungen der Beklagten bei der Ausübung der ihnen als Eigentümer des herrschenden Grundstückes zukommenden Dienstbarkeit ergebe.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten Folge; er hob die Entscheidungen beider Vorinstanzen auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Vorinstanzen sind zu ihren voneinander abweichenden Sachentscheidungen auf Grund der Auslegung des in seinem Wortlaut feststehenden gerichtlichen Vergleiches, der nicht nur eine Prozeßhandlung darstellt, sondern auch Vertragscharakter besitzt (ZBl. 1927 Nr. 116, ZBl. 1937 Nr. 454) gelangt. Sie hielten die Aussagekraft dieser Urkunde für ausreichend, um aus ihr allein den Umfang der den Beklagten als Eigentümern des herrschenden Gutes an dem dienenden Grundstück zustehenden Rechte erschließen zu können, und erachteten es als entbehrlich, die mit der vergleichsweisen Regelung verfolgte Absicht der Parteien eingehender zu erforschen. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Urkundenauslegung erfolgte damit im Rahmen der rechtlichen Beurteilung (EvBl. 1936 Nr. 285 u. a.).

Nach § 914 ABGB. ist bei der Auslegung von Verträgen nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdruckes zu haften, es sind vielmehr bei der Erforschung der von den vertragschließenden Parteien gehegten Absicht vor allem die Erklärungen der Parteien heranzuziehen.

Die Beklagten haben bereits in der ersten mündlichen Streitverhandlung vorgebracht, daß durch den gerichtlichen Vergleich der Umfang der Befugnisse, der ihnen auf Grund des verbücherten Geh- und Fahrrechtes zukomme, keine Beschränkung erfahren sollte, soweit sich die Grunddienstbarkeit auf das Befahren des westseitig verlaufenden Streifens des dienenden Grundstückes (1431/2) bezieht; sie haben sich für diese Behauptung auf das Beweismittel der Vernehmung der Streitteile als Parteien berufen. Die Kläger wiederum haben die Vernehmung des Zeugen Anton S. und die Vornahme eines Ortsaugenscheines zum Beweis dafür angeboten, daß die Beklagten keine Landwirtschaft betreiben, und die Zufuhr irgendwelcher Waren zum Hause für dessen bestimmungsgemäße Verwendung nicht erforderlich sei.

Die Vorinstanzen sind auf dieses Parteienvorbringen nicht eingegangen und haben - entgegen der Vorschrift des § 914 ABGB - nicht nur Feststellungen über den von den Parteien bei der vergleichsweisen Regelung des Umfanges der Servitutsrechte verfolgten Geschäftszweck unterlassen, sondern darüber hinaus auch keine Feststellungen über die Bedürfnisse des herrschenden Gutes getroffen.

Eine Ergänzung des Sachverhaltsbildes in der aufgezeigten und insbesondere auch in der Richtung, ob die Parteien bei Vergleichsabschluß von der Absicht geleitet waren, die den Beklagten nach dem Grundbuchsstand zukommenden Fahrrechte einzuengen, ist deshalb nicht zu umgehen, weil sich Ausmaß und Umfang der dem Inhaber einer Servitut zustehenden Befugnisse nach dem Inhalt des Titels bestimmen und der Raum eines Fahrrechtes nach dem Gesetz dem nötigen Gebrauch und den Umständen des Ortes angemessen sein muß (§ 495, erster Satz, ABGB.); im Zweifel ist die Benützung eines Fahrweges durch dritte Personen zuzulassen, sofern damit nur den haus- oder landwirtschaftlichen Betriebserfordernissen des herrschenden Gutes entsprochen wird, weil auch die inhaltlich beschränktere Servitut des Fußsteiges eine solche Befugnis enthält (Klang in Klang[2] II 571).

Bei Beachtung dieser rechtlichen Gesichtspunkte könnte dem noch offenen Teil des Klagebegehrens - sofern die im § 495, erster Satz, ABGB. geforderten Voraussetzungen vorliegen - nur dann ein Erfolg beschieden sein, wenn die Parteien bei Vergleichsabschluß die Absicht verfolgt haben sollten, die Ausübung des verbücherten Fahrrechtes durch die Beklagten in der von den Klägern behaupteten, an und für sich zulässigen, im Gesetz selbst aber nicht vorgesehenen Weise einzuengen.

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