OGH 1Nd545/77

OGH1Nd545/7717.3.1978

SZ 51/34

Normen

CIM Art44 Abs1
CIV, Art40 Abs1
JN §1 Abs1
JN §28 Abs1
JN §42 Abs1
JN §65 Abs1
JN §99 Abs1
Einführungsgesetz zur Jurisdiktionsnorm ArtIX
CIM Art44 Abs1
CIV, Art40 Abs1
JN §1 Abs1
JN §28 Abs1
JN §42 Abs1
JN §65 Abs1
JN §99 Abs1
Einführungsgesetz zur Jurisdiktionsnorm ArtIX

 

Spruch:

Die Bestimmung eines örtlich zuständigen inländischen Gerichtes durch den Obersten Gerichtshof zur Durchsetzung eines Vermögensanspruches ist nur bei Vorliegen eines besonderen Rechtsschutzbedürfnisses zulässig; ein solches ergibt sich nicht allein daraus, daß der Anspruch im Ausland verfolgt werden muß

OGH 17. März 1978, 1 Nd 545/77

Text

Der in Österreich wohnende Kläger begehrt vom Beklagten die Bezahlung eines Betrages von 28 778 S samt Anhang und brachte zur Begründung seines Begehrens vor, der Beklagte habe bei ihm mit Schreiben vom 20. April 1976 Planungsarbeiten betreffend die Errichtung eines Ferienhauses in Auftrag gegeben; er, Kläger, habe die geforderten Planungsunterlagen mit Schreiben vom 12. Juni 1976 dem Beklagten übersendet. Mit Schreiben vom 2. Juli 1976 habe ihn der Beklagte ersucht, die erforderlichen statischen Berechnungen anfertigen zu lassen. Da dies über sein Fachgebiet hinausgegangen sei, habe er mit diesen Berechnungen Ing. Helmut A, Salzburg, beauftragt und hiefür einen Betrag von 21 240 S bezahlt. Die Statikunterlagen seien dem Beklagten am 11. August 1976 zugemittelt worden. Für seine eigene Arbeit habe er dem Beklagten am 9. Dezember 1976 Rechnung über einen Betrag von 7838 S gelegt; insgesamt schulde der Beklagte daher den Betrag von 29 078 S samt Anhang. Zur Durchsetzung seines Anspruches sei sowohl die inländische Gerichtsbarkeit als auch die sachliche Zuständigkeit des Bezirksgerichtes gegeben, jedoch sei mangels eines die örtliche Zuständigkeit begrundenden Tatbestandes ein örtlich zuständiges Gericht nicht zu ermitteln. Es werde daher beantragt, gemäß § 28 JN das Bezirksgericht Salzburg als zur Entscheidung über diesen Rechtsstreit örtlich zuständiges Gericht zu bestimmen.

Der Oberste Gerichtshof wies den Antrag des Klägers, das Bezirksgericht Salzburg als das zur Verhandlung und Entscheidung in dieser Rechtslage örtlich zuständige Gericht zu bestimmen, ab.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Gemäß § 28 JN hat der OGH, wenn für eine bürgerliche Rechtssache zwar die inländische Gerichtsbarkeit begrundet ist, die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichtes im Sinne der Jurisdiktionsnorm aber fehlen oder nicht zu ermitteln sind, aus den sachlich zuständigen Gerichten eines zu bestimmen, welches für die fragliche Rechtssache als örtlich zuständig zu gelten hat. Diese Bestimmung hat in streitigen bürgerlichen Rechtssachen auf Antrag einer Partei, sonst von Amts wegen zu erfolgen. In erster Linie ist daher zu prüfen, ob nicht ohnehin ein Gerichtsstand gegeben ist, bei dem die Klage angebracht werden kann. Als solcher käme hier der Gerichtsstand des Vermögens nach § 99 JN in Betracht. Dieser Gerichtsstand läge vor, wenn im Anspruch des Beklagten gegenüber dem Kläger auf Erbringung der Werkleistung ein Vermögen im Sinne der vorgenannten Gesetzesstelle zu erblicken wäre. Nun hat aber der Kläger selbst behauptet, daß er die ihm obliegenden Leistungen an den Beklagten erbracht habe und ihm deshalb auch der Anspruch auf Entgelt zustehe, so daß nach dem Klagsvorbringen keine Grundlage für die Annahme besteht, dem Beklagten stunde gegenüber dem Kläger noch ein Anspruch auf Erbringung einer Leistung zu. Abgesehen davon setzt aber der Gerichtsstand des Vermögens nach herrschender Lehre und Rechtsprechung ohnehin ein vom Klagsanspruch verschiedenes und von der Entscheidung über die Rechtsbeständigkeit des Klagsanspruchs unabhängiges Vermögen voraus (Fasching I, 481; MGA-ZPO 13, § 99/D/ 23), so daß der Anspruch auf Erbringung der Gegenleistung durch den Beklagten in Erfüllung des eingeklagten Vertrages nicht zur Begründung des Gerichtsstandes hinreicht (vgl. auch ZBl. 1917/42). Auch hier könnte es demnach nicht genügen, daß dem Beklagten noch allfällige Erfüllungsansprüche aus dem abgeschlossenen Werkvertrag gegenüber dem Kläger zustehen. Anhaltspunkte für die Annahme des Vorliegens eines anderen Gerichtsstandes sind nach dem Inhalt der Klage nicht gegeben. Es ist daher zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Ordination im Sinne der Bestimmung des § 28 JN vorliegen.

Darüber, wann die inländische Gerichtsbarkeit im einzelnen gegeben ist, herrschen in Lehre und Rechtsprechung kontroverse Auffassungen. Die gesetzliche Regelung (§ 28 JN, Art. IX EGJN) ist nicht sehr aufschlußreich; lediglich für Status- und Nachlaßsachen finden sich klare Abgrenzungsnormen. In der Entscheidung SZ 23/293 und in der Folge in einer Reihe weiterer Entscheidungen (vgl. SZ 42/189, zuletzt EvBl. 1976/110) wurde davon ausgegangen, daß die inländische Gerichtsbarkeit grundsätzlich universalen Charakter habe und keiner positiven Anordnung bedürfe, sondern immer dann als gegeben anzusehen sei, wenn sie nicht durch Völkerrechtsnorm oder eine Bestimmung des inländischen Rechtes im Einzelfall ausgeschlossen sei. Hiezu sei zunächst nur angemerkt, daß der Grundsatz der Universalität der inländischen Jurisdiktion (mit den durch Völkerrecht und innerstaatliches Recht normierten Einschränkungen) jedenfalls völkerrechtlich unbedenklich ist (Matscher, Funktion und Tragweite der Bestimmung des § 28 JN, FS Schwind 176). Die Grenzen der inländischen Gerichtsbarkeit und damit der Ordinationsbefugnis des OGH können daher nur dem inländischen Recht entnommen werden.

Die neuere Lehre (Kralik, Die internationale Zuständigkeit, ZzP 1961, 18, 26 ff.) hat aufgezeigt, daß den Normen über die örtliche Zuständigkeit nicht nur die Funktion zukommt, eine Arbeitsteilung zwischen den inländischen Gerichten gleicher Gerichtstyp bewirken, sondern daß damit auch die inländische Gerichtsbarkeit (im Sinne der internationalen Zuständigkeit) geregelt werden soll. Aus dem Fehlen eines örtlichen Zuständigkeitstatbestandes könne geschlossen werden, daß auch die inländische Gerichtsbarkeit nicht gegeben sei (vgl. EvBl 1978/10). Nun ist andererseits anzuerkennen, daß die den Normen über die örtliche Zuständigkeit innewohnende Abgrenzungsfunktion bedeutungslos würde, wenn in allen Fällen eines fehlenden örtlichen Zuständigkeitsgrundes die Ordination durch den OGH Platz greifen könnte. Das kann nicht der Sinn des § 28 JN sein.

Matscher a. a. O., 178 hat aufgezeigt, daß der Gesetzgeber bei Schaffung des § 28 JN vornehmlich zwei Fallgruppen im Auge hatte:

1. Österreich hat die staatsvertragliche Verpflichtung übernommen, gewisse Rechtsstreitigkeiten von österreichischen Gerichten entscheiden zu lassen, ein Kompetenzgrund für die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichtes ist im Einzelfall aber nicht gegeben;

2. Österreich hat sich die Entscheidung in gewissen Angelegenheiten des streitigen oder des außerstreitigen Verfahrens ausdrücklich oder implicite vorbehalten, wie insbesondere vielfach in Statusfragen von Inländern.

Was den erstgenannten Fall betrifft, so kommt ihm Bedeutung vor allem im Bereich des internationalen Verkehrsrechtes zu. Internationale Abkommen auf diesem Gebiet (vgl. Art. 44 des Internationalen Übereinkommens über den Eisenbahnfrachtverkehr, Art. 40 des Internationalen Übereinkommens über den Eisenbahn-Personen- und Gepäckverkehr, BGBl. 744/1974 u. a.) sehen vielfach die Gerichtsbarkeit eines Vertragsstaates vor, so daß auch die Klagsführung im Inland ermöglicht werden muß; fehlt es an einem örtlichen Zuständigkeitsgrund hat die Ordination gemäß § 28 JN Platz zu greifen (vgl. auch EvBl. 1978/10).

Was den zweiten Fallkomplex betrifft, so muß die inländische Rechtsverfolgung gewährleistet sein, wenn die Entscheidung in gewissen Rechtsstreitigkeiten ausschließlich durch inländische Gerichte zu erfolgen hat und daher ausländische Entscheidungen im Inland nicht anerkannt werden. Fehlt es an einem Gerichtsstand im Inland, muß auch in diesem Fall die Ordination durch den OGH Platz greifen. Durch die Schaffung weiterer örtlicher Zuständigkeitstatbestände in der neueren Gesetzgebung (vgl. §§ 76 a Abs. 1, 114 Abs. 1 JN) wurde dieser Anwendungsbereich des § 28 JN aber eingeschränkt.

Den beiden Fallgruppen liegt- wie Matscher a. a. O., 181 ausführt - der Gedanke zugrunde, daß hier im Hinblick auf die Lückenhaftigkeit der örtlichen Zuständigkeitsordnung eine nicht zu leugnende Notwendigkeit zur Bestimmung eines örtlich zuständigen Gerichtes besteht. Damit ist freilich der Regelungsbereich des § 28 JN noch nicht erschöpft. Die Praxis ist auch in anderen Fällen davon ausgegangen, daß der Mangel eines ausdrücklichen örtlichen Zuständigkeitstatbestandes eine ungewollte Unvollständigkeit des Gesetzes und damit eine Gesetzeslücke darstellt. Anwendungsbereiche für die Ordination ergeben sich - über die vorgenannten Fälle hinaus - in Statussachen von Ausländern, Staatenlosen oder Flüchtlingen, aber auch in anderen Angelegenheiten des Personen- und Familienrechts sowie in Angelegenheiten des außerstreitigen Verfahrens, wobei die Ordination jeweils auch in Fällen Platz gegriffen hat, in denen eine ausschließende inländische Gerichtsbarkeit im Sinne einer Nichtanerkennung von ausländischen Entscheidungen nicht vorlag (vgl. SZ 21/96; SZ 24/221; SZ 43/ 228;EFSlg. 23 045).

Schwierigkeiten bereitet die Lösung der Frage, in welchen Fällen auch in rein vermögensrechtlichen Streitigkeiten (außerhalb der oben erwähnten Fallgruppen) eine Ordination Platz greifen kann. Dabei ist zunächst zu beachten, daß die Jurisdiktionsnorm Gerichtsstände zur Verfügung stellt, welche die Rechtsverfolgung gegenüber dem Ausland erleichtern sollen (vgl. Pollak, 323). Hiezu gehören der Gerichtsstand des Vermögens und des Streitgegenstandes (§ 99 JN), der Gegenseitigkeit (§ 101 JN) und zum Teil auch der Gerichtsstand des letzten Wohnsitzes und Aufenthaltsortes (§ 67 JN). Dies führt zur Folgerung, daß im verbleibenden Bereich vermögensrechtlicher Ansprüche ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis gegeben sein muß, um die Ordination als zulässig zu erkennen. Solche Fälle können sich - wie Matscher a. a. O., 187 aufzeigt - z. B. bei Amtshaftungsansprüchen ergeben, die auf Rechtsverletzungen gegrundet werden, die österreichische Vertretungsbehörden im Ausland begangen haben (JBL. 1959, 599), weil stets die Möglichkeit bestehen muß, die Haftung des Rechtsträgers für die von seinen Organen schuldhaft zugefügten Rechtsverletzungen in Anspruch zu nehmen, gleichgültig ob das Organ eine Tätigkeit im Inland oder im Ausland entfaltet hat. Auch bei Streitigkeiten über in österreichischen Registern eingetragene Rechte mag ausnahmsweise eine Notwendigkeit für die Rechtsverfolgung im Inland bestehen. Gleiches wird für Unterlassungsansprüche zu gelten haben, wenn ein Titel im Ausland nicht oder nicht rechtzeitig zu erwirken ist.

Was den vorliegenden Fall betrifft, so fällt er unter jene letztgenannte Gruppe, für die die Bestimmung eines örtlich zuständigen Gerichtes durch den OGH nur bei ausnahmsweise gegebenem Rechtsschutzbedürfnis zu rechtfertigen wäre. Ein solches besonderes Rechtsschutzbedürfnis für die Rechtsverfolgung im Inland ist jedoch nicht zu erkennen. Der Umstand allein, daß ein Bedürfnis bestehen mag, flüchtige ausländische Schuldner vor inländischen Gerichten belangen zu können, erscheint hiezu nicht ausreichend. Im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland kann auch nicht gesagt werden, daß die Rechtsverfolgung im Ausland unzumutbar oder unverhältnismäßig erschwert wäre. Der Umstand, daß mit der Bundesrepublik Deutschland ein Staatsvertrag über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Vergleichen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen geschlossen wurde (BGBl. 105/1960), zeigt, daß der Gesetzgeber von einer grundsätzlichen Gleichwertigkeit des in der Bundesrepublik Deutschland gewährten Rechtsschutzes ausgeht. Ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis für die Rechtsverfolgung im Inland besteht daher nicht.

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