OGH 17Os24/17h

OGH17Os24/17h12.12.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Dezember 2017 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden, die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek und Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Schuber als Schriftführer in der Strafsache gegen DI Uwe S***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB, AZ 72 Hv 18/17b des Landesgerichts Klagenfurt, über die von der Generalprokuratur gegen einen Vorgang im Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 24. August 2017, AZ 10 Bs 172/17w (ON 87 der Hv‑Akten), ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, sowie der Verteidigerin Mag. Pöchinger zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0170OS00024.17H.1212.000

 

Spruch:

 

Die im Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 24. August 2017, AZ 10 Bs 172/17w, geäußerte Rechtsansicht, dass „befugnismissbräuchliche Weisungserteilungen im Sinn des Art 20 Abs 1 B‑VG (auch in Angelegenheiten der Privatwirtschaftsverwaltung) unter § 302 Abs 1 StGB zu subsumieren sind“, verletzt diese Bestimmung.

Der Beschluss wird aufgehoben und die Sache dem Einzelrichter des Landesgerichts Klagenfurt zugewiesen.

 

Gründe:

Mit beim Landesgericht Klagenfurt eingebrachter Anklageschrift wird DI Uwe S***** ein dem Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB subsumiertes Verhalten zur Last gelegt.

Danach habe der Angeklagte in Klagenfurt in den Jahren 2007 und 2008 als Mitglied der Kärntner Landesregierung, mithin als Beamter, „mit dem Vorsatz, dadurch das Land Kärnten an seinen Vermögensrechten und an seinem konkreten Recht auf Überprüfung der Gebarung auf ihre Richtigkeit, Zweckmäßigkeit, Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit sowie der Gesetzmäßigkeit der beauftragten Leistungen zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Landes Kärnten als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, dadurch wissentlich missbraucht, dass er entgegen der haushaltsrechtlichen Vorgaben, das ihm zugewiesene Budget ausschließlich aus sachlichen Gründen und zu im Interesse das Landes liegenden Zwecken zu verwenden, seinem ihm nachgeordneten Referenten“ Walter Sc***** „die Weisung erteilte, die sachliche und rechnerische Richtigkeit“ von sechs, in der Anklage näher bezeichneten Rechnungen zweier Unternehmen „zu bestätigen und in weiterer Folge ihre Bezahlung aus Landesmitteln zu veranlassen, obwohl die darin verzeichneten Leistungen nicht oder nur teilweise erbracht worden waren und nachdem er die Rechnungen selbst abgezeichnet hatte“, wodurch ein Vermögensschaden des Landes Kärnten von insgesamt etwa 23.000,- Euro herbeigeführt worden sei.

Nach dem in der Anklagebegründung näher dargestellten Sachverhalt habe DI Uwe S*****, seinen Mitarbeiter Walter Sc***** damit beauftragt, „Geld für die Partei (damals für das B*****) bzw seinen persönlichen Wahlkampf zu organisieren“. In Umsetzung dieses Vorhabens habe Walter Sc***** den Verantwortlichen eines Medienunternehmens (der später für eine Werbeagentur tätig gewesen sei) aufgefordert, überhöhte Rechnungen für die Schaltung von Inseraten und die Herausgabe von Publikationen an das Land Kärnten auszustellen. DI Uwe S***** habe diese Rechnungen „paraphiert“ und das weitere Vorgehen verfügt. In Erfüllung seiner Weisungen habe Walter Sc***** die Richtigkeit der Rechnungen bestätigt und die Auszahlung der Rechnungssummen veranlasst, obwohl keine entsprechenden Leistungen dieser Unternehmen zugrunde gelegen seien. Die missbräuchlich ausgezahlten Beträge seien schließlich für DI Uwe S***** und dessen Partei verwendet worden.

Den dagegen gerichteten Einspruch des Angeklagten wies das Oberlandesgericht Graz mit Beschluss vom 24. August 2017, AZ 10 Bs 172/17w, ab und stellte die Rechtswirksamkeit der Anklageschrift fest. Nach Beantwortung des Verjährung reklamierenden Einspruchsvorbringens und amtswegiger Prüfung sonstiger Einspruchsgründe hielt es ausdrücklich fest, das Landesgericht sei als Schöffengericht nach § 31 Abs 3 Z 6 StPO zuständig, weil „befugnismissbräuchliche Weisungserteilungen im Sinn des Art 20 Abs 1 B‑VG (auch in Angelegenheiten der Privatwirtschaftsverwaltung) unter § 302 Abs 1 StGB zu subsumieren sind“.

Rechtliche Beurteilung

Diese Rechtsansicht steht – wie Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt – mit dem Gesetz nicht in Einklang.

Der Tatbestand des Missbrauchs der Amtsgewalt setzt Fehlgebrauch der Befugnis „in Vollziehung der Gesetze“, also im Rahmen der Hoheitsverwaltung, voraus (RIS‑Justiz RS0105870). Hoheitsverwaltung liegt jedenfalls dann vor, wenn der Beamte typisch hoheitliche Rechtsformen (Verordnung, Bescheid, Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt) gebraucht. Davon abgesehen sind Amtsgeschäfte (etwa tatsächliche Verrichtungen) der Hoheitsverwaltung zuzurechnen, wenn sie einen spezifischen Zusammenhang zu Hoheitsakten aufweisen (RIS-Justiz RS0130809; Raschauer , Allgemeines Verwaltungsrecht 5 Rz 684 ff; Grabenwarter/ Holoubek , Verfassungsrecht – Allgemeines Verwaltungsrecht 3 Rz 736 ff, 953 f; zur ständigen Rechtsprechung des VfGH grundlegend VfSlg 3.262).

Die Weisung im Sinn des Art 20 Abs 1 B‑VG wird als Erscheinungsform typisch hoheitlichen Verwaltungshandelns gesehen. Sie ist ein interner Akt der Verwaltungsorganisation und wird (etwa in ständiger Rechtsprechung des VwGH [vgl 2001/09/0023; 2012/09/0057; Ro 2014/12/0018]) als generelle oder individuelle, abstrakte oder konkrete Norm, die an einen dem Weisungsgeber untergeordneten Organwalter der Verwaltung (oder mehrere) ergeht, definiert. Sie ist stets hoheitlich, unabhängig davon, ob der Weisungsgeber oder der Angewiesene öffentlich-rechtlich oder zivilrechtlich (etwa als Vertragsbediensteter) bestellt ist und ob die von der Weisung betroffene, (nach außen) wahrzunehmende Verwaltungsaufgabe in hoheitlichen oder privaten Formen zu erfüllen ist (zum Ganzen Raschauer , Allgemeines Verwaltungsrecht 5 Rz 934 ff; Antoniolli/Koja , Allgemeines Verwaltungsrecht 3 , 341 ff Grabenwarter/ Holoubek , Verfassungsrecht – Allgemeines Verwaltungsrecht 3 Rz 973 ff; Kucsko-Stadlmayer , Das Disziplinarrecht der Beamten 4 , 228 ff; VfSlg 14.085).

Mit dieser Einordnung der Weisung ist die hier zu lösende Frage, ob die zu nicht-hoheitlichem Handeln des Angewiesenen erteilte Weisung § 302 Abs 1 StGB zu subsumieren ist, noch nicht beantwortet. Zwar ist die Weisung tatbildliches Amtsgeschäft (RIS‑Justiz RS0096238); der Tatbestand setzt jedoch zudem eine Außenwirkung der (wissentlich rechtswidrigen) Anordnung (oder Unterlassung) dergestalt voraus, dass sie zur Verletzung subjektiver Rechte oder Beeinträchtigung eines staatlichen Anspruchs, bestimmte Regelungszwecke (durch hoheitlichen Gesetzesvollzug) zu erreichen (vgl RIS-Justiz RS0096604), führen soll. Internes (Verwaltungs-)Handeln ist daher unter dem Aspekt von Missbrauch der Amtsgewalt nicht isoliert, sondern im Kontext der Außenwirkung zu beurteilen (vgl RIS-Justiz RS0129612, RS0095967 [zu § 311 StGB]; 17 Os 12/17v [zu § 78 Abs 1 StPO]; EBRV zum StGB 30 BlgNR 13. GP , 453). Die Rechtsprechung subsumierte missbräuchliche Weisungen schon bisher nur dann § 302 StGB, wenn ihr Inhalt auf hoheitliches Handeln gerichtet war oder sie – aus Sicht des Weisungsgebers – im Zusammenhang mit (jedenfalls) hoheitlicher Aufgabenerfüllung erteilt wurden (RIS-Justiz RS0096248, RS0049516; 14 Os 125/92). Bei Weisungen zur Privatwirtschaftsverwaltung nahm sie hingegen Strafbarkeit nach § 153 StGB an (RIS-Justiz RS0096714; 15 Os 123/93; 15 Os 21/03; vgl auch 17 Os 14/16m; ebenso Kienapfel/Schmoller , BT III 2 § 302 Rz 33; Bertel in WK 2 StGB § 302 Rz 123 f; vgl auch Lewisch in WK 2 StGB Nachbem zu § 3 Rz 255; zum vergleichbaren Art 312 schw. StGB [„Amtsmissbrauch“] Heimgartner in Niggli/Wiprächtiger [Hrsg] Basler Kommentar, Strafrecht II 3 Art 312 Rz 16 [wonach „Handlungen gegenüber untergebenen Beamten“ nur „dann als von der Amtsgewalt getragen“ gelten, „wenn die Anweisung selbst einen hoheitlichen Akt bezweckt“]).

Folgende Überlegung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Sachverhalt unterstreicht die Richtigkeit dieses eigenständigen strafrechtlichen Ansatzes:

Der angewiesene Organwalter, der missbräuchlich überhöhte, an die Gebietskörperschaft im Zusammenhang mit deren privatwirtschaftlicher Tätigkeit gelegte Rechnungen bezahlt und ihr dadurch einen Vermögensschaden zufügt, begeht (wenn er mit entsprechendem Vorsatz handelt) Untreue. Gleiches gilt für den vorgesetzten Beamten, der die Zahlungen selbst (im Rahmen seiner Befugnis) vornimmt. Strafbarkeit dieses Vorgesetzten wegen Missbrauchs der Amtsgewalt, wenn er die Zahlung durch Weisung veranlasst, bedürfte – schon mit Blick auf die höhere Grundstrafdrohung und die niedrigere Qualifikationsgrenze (§ 302 Abs 2 zweiter Fall im Verhältnis zu § 153 Abs 3 zweiter Fall StGB) – einer sachlichen Rechtfertigung (zum aus Art 7 Abs 1 B‑VG abgeleiteten Sachlichkeitsgebot für die Vollziehung allgemein und insbesondere im Bereich des Strafrechts vgl M. Pöschl , Gleichheitsrechte, in Merten/Papier/Kucsko-Stadlmayer [Hrsg] Handbuch der Grundrechte VII/1 2 , Grundrechte in Österreich § 14 Rz 14 f, 58 und 81; vgl auch Kucsko‑Stadlmayer , Korruptionsstrafrecht und Dienstrecht, JBl 2009, 742 [745 f {zu § 305 StGB idF des KorrStRÄG 2009}]). Der Staat ist im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung Privaten zwar nicht in jeder Hinsicht gleichgestellt (vgl Wiederin , Gemeinwohl, Effizienzprinzip und Rechtspersönlichkeit der Bundesländer, in wbl 2016, 669 [675, 680 f]; zur „Fiskalgeltung“ von Grundrechten, Raschauer , Allgemeines Verwaltungsrecht 5 Rz 629 ff; Mayer-Muzak , B‑VG 5 Art 17 Anm II.2; Berka , Verfassungsrecht 6 Rz 661, 663 und 1258 ff; RIS-Justiz RS0038110). Ein Bedürfnis, ihn (im Verhältnis zu privaten Machthabern) strafrechtlich in besonderer Weise gegen schädigende Vertretungsmissbräuche abzusichern, ist jedoch nicht ersichtlich. Das Vermögen des Staates ist durch Strafbarkeit der nach außen wirksamen Vertretungshandlung durch § 153 StGB geschützt. Dazu kommt die (fakultative) Strafschärfung des § 313 StGB für den Beamten, der eine solche strafbare Handlung unter Ausnützung der ihm durch seine Amtstätigkeit gebotenen Gelegenheit begeht (vgl RIS‑Justiz RS0091345 [T7], RS0091781; zum rechtspolitischen Hintergrund EBRV StGB 30 BlgNR 13. GP , 462). Ein (davon abgrenzbares) spezifisch durch die Weisung verwirklichtes Unrecht als sachliche Rechtfertigung einer strengeren strafrechtlichen Reaktion ist nicht fassbar. Denn die Weisung greift nicht in subjektive Rechte des untergeordneten Beamten ein (zu den Voraussetzungen eines Feststellungsbescheids in Angelegenheiten des Dienstrechts vgl VwGH Ro 2014/12/0018; Kucsko‑Stadlmayer , Das Disziplinarrecht der Beamten 4 , 232 ff; Fellner , BDG § 44 E 50 ff), und das auch den Verwaltungsinnenbereich erfassende Recht des Staates auf pflichtgemäße Amtsausübung kommt als Bezugspunkt des Schädigungsvorsatzes nach § 302 Abs 1 StGB nicht in Betracht (erneut RIS‑Justiz RS0096604 [T3]).

Zusammenfassend gilt daher: Missbräuchliche Weisungen zu nicht-hoheitlichem Verwalten des Angewiesenen sind nicht dem Tatbestand des Missbrauchs der Amtsgewalt zu subsumieren (zu Weisungen innerhalb des Bundesheers vgl 17 Os 27/15x, EvBl 2016/49, 321; 17 Os 29/13p).

Bleibt anzumerken, dass der Anklagesachverhalt die Annahme von Befugnismissbrauch im Rahmen der Hoheitsverwaltung auch sonst nicht indiziert. Die erwähnte (weisungsgemäß vorgenommene) Bestätigung der sachlichen und rechnerischen Richtigkeit der (überhöhten) Rechnungen diente nach der Darstellung in der Anklagebegründung (ON 79 S 5 und 7) lediglich der Vorbereitung ihrer Bezahlung (im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung). Über eine unrichtige (nicht voranschlagswirksame) Verbuchung dieser Vorgänge oder eine Befugnis des Angeklagten im Rahmen der Buchhaltung des Landes Kärnten ist auf dieser Grundlage noch nichts gesagt. Im Übrigen ist derzeit auch nicht ersichtlich, inwieweit „das Land Kärnten“ dadurch an seinem „konkreten Recht auf Überprüfung der Gebarung“ (vgl Art 70 ff K-LVG) geschädigt worden sein soll (vgl 17 Os 12/17v).

Die von der Generalprokuratur zutreffend aufgezeigte Gesetzesverletzung wirkte sich insoweit auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Graz aus, als dieses es verfehlt unterlassen hat, sachliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts (§ 212 Z 5 StPO) amtswegig wahrzunehmen (zur Befugnis des über die Rechtswirksamkeit der Anklage entscheidenden Gerichts, die Zuständigkeitsprüfung anhand eigenständiger Subsumtion des Anklagesachverhalts vorzunehmen, vgl 14 Ns 14/17w, EvBl 2017/101, 683; aA [unter verfehlter Berufung auf die Gesetzesmaterialien] Birklbauer/Mayerhofer , WK‑StPO § 212 Rz 26). Der Oberste Gerichtshof sah sich daher veranlasst, von der Befugnis nach § 292 letzter Satz StPO Gebrauch zu machen, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache gemäß § 215 Abs 4 StPO dem Einzelrichter des Landesgerichts Klagenfurt zuzuweisen.

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