OGH 17Os2/12s

OGH17Os2/12s18.6.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Juni 2012 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Marvan als Schriftführer in der Strafsache gegen Iris A***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 9. Jänner 2012, GZ 29 Hv 60/11s-12, sowie ihre Beschwerde gegen den gemeinsam mit dem Urteil gefassten Beschluss auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Der Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Iris A***** mehrerer Verbrechen (vgl aber RIS-Justiz RS0121981) des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat sie am 26. Mai sowie am 27. und am 28. Juli 2011 in S***** in drei Fällen als Beamtin der Polizeiinspektion A***** der Landesverkehrsabteilung Tirol mit dem Vorsatz, dadurch den Bund an seinem Recht auf unverzügliche Vorlage der in Vollziehung des Fremdenpolizeigesetzes und des Verwaltungsstrafgesetzes eingehobenen vorläufigen Sicherheiten (§ 37a Abs 4 VStG iVm BGBl II 1999/509) zu schädigen, ihre Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem sie nach § 37a VStG vorläufige Sicherheiten von insgesamt 350 Euro einhob und nicht unverzüglich (der Behörde) vorlegte, sondern jeweils mehrere Tage für sich selbst verwendete.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus den Gründen der Z 4, 5, 5a, 9 lit a, 10, (nicht ausgeführt) 10a und 11 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten schlägt fehl.

Die Verfahrensrüge (Z 4) scheitert bereits an der formalen Voraussetzung einer Bezugnahme auf einen von der Beschwerdeführerin in der Hauptverhandlung gestellten Antrag oder erhobenen Widerspruch (RIS-Justiz RS0099250). Soweit die Kritik an der Art ihrer Vernehmung (vgl § 164 Abs 4 StPO) durch die Kriminalpolizei (ON 2 S 21 ff) als Rüge gemäß Z 2 des § 281 Abs 1 StPO verstanden werden kann, mangelt es ebenfalls an einem Widerspruch der Beschwerdeführerin gegen eine Verlesung des über diese Vernehmung aufgenommenen Protokolls in der Hauptverhandlung. Weshalb das Unterbleiben einer ausdrücklichen Belehrung der Beschwerdeführerin im Sinn des § 164 Abs 1 StPO in der Hauptverhandlung (vgl ON 11 S 2 f) Nichtigkeit begründen soll, nachdem eine derartige Belehrung bereits von der Kriminalpolizei vorgenommen worden war (ON 2 S 23), bleibt unklar (vgl zudem den taxativen Katalog von Verfahrensvorschriften in § 281 Abs 1 Z 3 StPO).

Der Umstand, ob und wie rasch die Beschwerdeführerin sonst (nicht verfahrensgegenständliche) vorläufige Sicherheiten gemäß § 37a Abs 4 StVG der Behörde vorgelegt hat, ist der Mängelrüge (Z 5) zuwider nicht entscheidend. Die Feststellung, die Beschwerdeführerin sei mit den in diesem Zusammenhang relevanten Rechtsvorschriften und den „Abläufen bei der Landesverkehrsabteilung Tirol“ vertraut gewesen (US 5), wurde mit dem Hinweis auf ihre besondere Schulung und längere Tätigkeit in diesem Bereich (US 4 f und 11) im Einklang mit Denkgesetzen und grundlegenden Erfahrungssätzen mängelfrei begründet (RIS-Justiz RS0118317).

Die Kritik (nominell Z 5 vierter Fall) an den Feststellungen zur subjektiven Tatseite (US 6) nimmt auf die im Zusammenhang stehende Begründung (US 10) gar nicht Bezug (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 393 f).

Mit der Aussage des Zeugen Stefan E***** und der Verantwortung der Beschwerdeführerin zu den Vorgängen am 1. August 2011, als diese von Ersterem wegen der inkriminierten Vorfälle zur Rede gestellt wurde (ON 11 S 11, vgl auch ON 11 S 6 f), haben sich die Tatrichter ausführlich auseinandergesetzt (US 8 ff), weshalb der (inhaltlich) erhobene Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) ins Leere geht.

Zur Tatsachenrüge (Z 5a) ist vorweg anzumerken, dass die Überschreitung der „durch § 281 Abs 1 Z 5 StPO gesetzten Grenzen der freien Beweiswürdigung“ kein Prüfungskriterium dieses Nichtigkeitsgrundes ist (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 471). Im Übrigen erschöpft sich die Rüge großteils in dem unzulässigen Versuch, erhebliche Bedenken aus den Entscheidungsgründen selbst ohne Bezugnahme auf aktenkundige Beweismittel abzuleiten (RIS-Justiz RS0117961).

Dass aus der Verantwortung der Beschwerdeführerin, sie habe am 1. August 2011 (als sie wegen ihres Fehlverhaltens zur Rede gestellt wurde) einen von ihr zuvor kassierten 50-Euro-Schein nicht mehr gefunden (ON 11 S 7), auch andere Schlussfolgerungen (als die des Erstgerichts) gezogen werden können, stellt den geltend gemachten Nichtigkeitsgrund (Z 5a) nicht her (RIS-Justiz RS0098471).

Die Kritik der Rechtsrüge (Z 9 lit a), der gegenständliche Sachverhalt sei mit jenem, welcher der vom Erstgericht zitierten Entscheidung 15 Os 116/97 zu Grunde lag, nicht vergleichbar, sagt nicht, weshalb die speziellen aus § 37a Abs 4 VStG entspringenden „Verpflichtungen“ und die „sofortige elektronische Überprüfbarkeit von Amtshandlungen und eingehobener Sicherheiten“ die Erfüllung des Tatbestands durch die Beschwerdeführerin infrage stellen sollen.

Die Behauptung, es fehlten Feststellungen zur verlässlichen Beurteilung, ob die Beschwerdeführerin die sie treffende Pflicht zur unverzüglichen Vorlage der Sicherheiten an die Behörde (§ 37a Abs 4 VStG) verletzt habe, übergeht die Konstatierungen, wonach sie das eingenommene Geld (ohne sachlichen Grund) teils zwei Wochen (US 5), teils mehrere Tage nicht vorlegte, sondern mit entsprechendem Vorsatz (zumindest teilweise) für sich selbst verwendete (US 6 und 9).

Die Forderung, in Ermangelung einer gesetzlich geregelten Höchstfrist für die Vorlage der vorläufigen Sicherheit an die Behörde müsse sich die Auslegung des Begriffs „unverzüglich“ an der „durchschnittlich gültigen Entscheidungspflicht einer Verwaltungsbehörde von 6 Monaten“ orientieren (vgl § 37a Abs 5 VStG), entbehrt jeder Grundlage im Gesetz (RIS-Justiz RS0116565).

Weshalb die zeitliche Dimension der in § 37a Abs 4 VStG statuierten Pflicht des Beamten, mit den kassierten vorläufigen Sicherheiten in bestimmter Weise zu verfahren, die Frage berühren soll, ob das inkriminierte Verhalten „einer Rechtshandlung auch nicht annähernd qualitativ gleichwertig war“, erklärt die Rüge nicht. Diese ignoriert auch die Feststellung (US 6), die Beschwerdeführerin habe die Amtshandlungen von vornherein (wissentlich) missbräuchlich und mit dem Vorsatz, das eingenommene Geld (zumindest zeitweise) für sich selbst zu verwenden, gesetzt (zum Ganzen: Marek/Jerabek 4 § 302 Rz 19 ff und 62).

Überlegungen, ob dem Staat ein „Recht auf Lukrierung von Zinsen aus eingehobenen Sicherheiten“ zukommt, können dahingestellt bleiben, weil - wie das Erstgericht zutreffend ausführte (US 12) - durch die in § 37a Abs 4 VStG normierte Vorgangsweise insbesondere der mit der vorläufigen Maßnahme verfolgte Sicherungszweck (für den Staat wie für den Betretenen) garantiert werden soll.

Die pauschale Behauptung, die Feststellungen erschöpften sich „hinsichtlich entscheidender Tatsachen im substanzlosen Gebrauch von verba legalia“, unterlässt den gebotenen Hinweis, weshalb dies im Einzelnen so sei und welcher weiteren Konstatierungen es nach Ansicht der Beschwerdeführerin bedurft hätte (RIS-Justiz RS0099620, RS0095939).

Die Forderung nach Feststellungen zu den „Arbeitsbedingungen“ der Beschwerdeführerin und ihrer „psychischen Belastung“ (der Sache nach Z 9 lit b) bleibt ohne konkreten Verweis auf indizierende Verfahrensergebnisse (RIS-Justiz RS0118580); ebenso fehlt die (methodengerechte) Darstellung der daraus abzuleitenden rechtlichen Konsequenz. Ein Sachverhalt, der als allenfalls gemeinter entschuldigender Notstand (§ 10 StGB) infolge schweren psychischen Drucks (vgl Höpfel in WK2 § 10 Rz 7) zu qualifizieren wäre, wird durch die Angaben der Beschwerdeführerin, sie habe das Geld nicht unverzüglich vorgelegt, weil „ihr der Biss gefehlt“ habe, sie habe „ein furchtbares Jahr hinter sich“ gehabt, weil (ua) „sie unter permanenter Kontrolle“ und „in der Dienststelle unbeliebt“ gewesen sei, und der Zeuge Stefan E***** habe ihr (mit Hinweis auf ihre Vorstrafe wegen Missbrauchs der Amtsgewalt) mitgeteilt, er werde sich von ihr „sicher nicht seine Karriere zerstören“ lassen (ON 11 S 4 f und 8), nicht indiziert (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 601).

Die Behauptung, „selbst eine objektiv verspätete Ablieferung eingehobener Sicherheiten bedeutet keine (gewollte) Schädigung des Staates“, ignoriert die Feststellungen zur subjektiven Tatseite (US 6) ebenso wie die Überlegung, dass „Nachlässigkeit bei einer Auftragserfüllung, Schlamperei und Desinteresse“ keinen wissentlichen Befugnismissbrauch indizierten.

Verursachung eines Schadens wird vom Tatbestand des § 302 Abs 1 StGB, der in Bezug auf die Rechtsschädigung bloß überschießende Innentendenz regelt, nicht verlangt (Marek/Jerabek 4 § 302 Rz 47). Der Vorsatz auf Schädigung eines konkreten Rechts des Staates (nämlich auf „unverzügliche Abführung der in Vollziehung des FPG und des VStG festgesetzten und eingehobenen vorläufigen Sicherheiten“) wurde ohnehin festgestellt (US 6), weshalb das Vorbringen, „selbst eine gewollte Schädigung des Staates am Recht auf pflichtgemäße Ausübung des Amtes“ reiche als solches (gemeint offenbar: wegen mangelnder Konkretisierung) zur Erfüllung des Tatbestands nicht aus, dahingestellt bleiben kann.

Auch die Forderung der Subsumtionsrüge (Z 10), das Verhalten der Beschwerdeführerin wäre allenfalls als „Vergehen der Veruntreuung nach § 133 StGB“ zu qualifizieren, weil sie die „Geldbeträge bloß zu verwahren hatte“, entfernt sich vom Urteilssachverhalt (US 6), nach welchem sie die Amtshandlungen (also bereits die Einhebungen der vorläufigen Sicherheiten bewusst) missbräuchlich und mit Schädigungsvorsatz gesetzt hat (vgl Marek/Jerabek 4 § 302 Rz 21).

Die Sanktionsrüge (Z 11) schließlich unterlässt mit der pauschalen Kritik, es seien keine „Feststellungen getroffen“ worden, „die eine Überprüfung der vorgenommenen Strafzumessung zulassen“, die gebotene Konkretisierung, zu welchen vom Erstgericht als maßgebend beurteilten entscheidenden (Strafzumessungs-)Tatsachen im Einzelnen Konstatierungen fehlen sollten (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 696 ff).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO). Dabei ist es an den verfehlten Schuldspruch wegen mehrerer Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt (vgl RIS-Justiz RS0121981), der sich in concreto nicht zum Nachteil der Beschwerdeführerin ausgewirkt hat (vgl US 13) und daher von Amts wegen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) nicht aufzugreifen war (Ratz, WK-StPO § 290 Rz 22 ff), angesichts der hier getroffenen Klarstellung nicht gebunden (RIS-Justiz RS0118870).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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