OGH 17Os10/18a

OGH17Os10/18a25.6.2018

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Juni 2018 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden, die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek und Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Sinek als Schriftführerin in der Strafsache gegen Carolina W***** und eine andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 12 zweiter Fall, 15, 302 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Carolina W***** und Astrid W***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom 27. Februar 2018, GZ 36 Hv 9/18a‑74, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0170OS00010.18A.0625.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Carolina W***** und Astrid W***** jeweils mehrerer Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 12 zweiter Fall, 15, 302 Abs 1 StGB (I/A und B [vgl aber RIS‑Justiz RS0121981]) und der Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1 StGB (II/A und B) schuldig erkannt.

Danach haben sie in G***** und R***** von 9. Dezember 2016 bis 8. Juni 2017 mehrfach im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter

I/ mit dem Vorsatz, dadurch nachgenannte Rechtsträger an deren Rechten zu schädigen, Beamte wissentlich zu bestimmen versucht, ihre Befugnis, im Namen der Gemeinde G***** (Punkt A) oder des Gemeindeverbandes für Abgabeneinhebung und Umweltschutz im Bezirk K***** (Punkt B) als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, zu missbrauchen, indem sie diese durch die Übermittlung zahlreicher Schriftstücke, in denen sie die Beamten durch die Stellung unberechtigter Schadenersatzforderungen und Androhung der Eintragung eines Pfandrechts in ein internationales Schuldenregister unter anschließender Zwangsvollstreckung sinngemäß aufforderten, der ihnen gesetzlich übertragenen Verpflichtung zur Einhebung fälliger Gebühren und Abgaben nicht nachzukommen, und zwar

A/ die Bürgermeisterin der Gemeinde G*****, Ludmilla E*****, zur Unterlassung der Einhebung der Kanalgebühren für die von den Angeklagten bewohnte Liegenschaft und der Hundeabgabe für die beiden Hunde der Astrid W***** für die Jahre 2016 und 2017, wobei sie mit dem Vorsatz handelten, dadurch die Gemeinde G***** an deren Recht auf Abgabeneinhebung zu schädigen;

B/ den Obmann des Gemeindeverbandes für Abgabeneinhebung und Umweltschutz im Bezirk K*****, Walter H*****, zur Unterlassung der Einhebung der bescheidmäßig vorgeschriebenen Grundsteuer für die von den Angeklagten bewohnte Liegenschaft, wobei sie mit dem Vorsatz handelten, dadurch diesen Gemeindeverband an dessen Recht auf Abgabeneinhebung zu schädigen;

II/ durch die Übermittlung der zu Punkt I/ genannten Schriftstücke mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz versucht, folgende Personen durch gefährliche Drohung mit einer Schädigung am Vermögen, nämlich durch unberechtigte Schadenersatzforderungen und Androhung der Eintragung eines Pfandrechts in ein internationales Schuldenregister unter anschließender Zwangsvollstreckung, zu einer Unterlassung zu nötigen, und zwar

A/ Ludmilla E***** zur Unterlassung der Einhebung der zu Punkt I/A genannten Abgabe und Gebühr, wodurch die Gemeinde G***** am Vermögen geschädigt werden sollte;

B/ Walter H***** zur Unterlassung der Einhebung der zu Punkt I/B genannten Abgabe, wodurch der dort genannte Gemeindeverband am Vermögen geschädigt werden sollte.

Die von den beiden Angeklagten jeweils aus § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerden sind nicht im Recht.

Das Erstgericht ging in objektiver Hinsicht von folgendem Sachverhalt aus:

Die beiden Angeklagten wohnen gemeinsam auf einer Liegenschaft in einer zur Gemeinde G***** gehörenden Ortschaft. Sie sind der Gruppierung der „Souveränen oder Staatsverweigerer“ zuzuordnen. Im Jahr 2017 schrieb die Gemeinde G***** Astrid W***** Kanalgebühr für das genannte Grundstück und Hundeabgabe für zwei auf ihren Namen angemeldete Hunde vor. Die Angeklagten verweigerten die Annahme der Vorschreibungen sowie die Zahlung dieser Abgabe und Gebühr und schickten der Bürgermeisterin der Gemeinde, Ludmilla E*****, mehrere (im arbeitsteiligen Zusammenwirken erstellte) Schreiben (Punkte I/A und II/A).

Im Februar 2017 erhielten die Angeklagten eine Mahnung des Gemeindeverbandes für Abgabeneinhebung und Umweltschutz im Bezirk K***** betreffend die für 2014 vorgeschriebene, jedoch noch nicht bezahlte Grundsteuer. Sie bezahlten diese Abgabe weiterhin nicht und schickten in Reaktion auf die Mahnung mehrere (wiederum arbeitsteilig verfasste) Schreiben an den Obmann des Gemeindeverbandes, Walter H*****, die diesem zur Kenntnis gelangten (Punkte I/B und II/B).

Zum Bedeutungsinhalt dieser Schreiben stellte das Erstgericht (gestützt auf deren teilweise wiedergegebenen Wortlaut) fest, den Adressaten sei durch die Stellung unberechtigter Schadenersatzforderungen verbunden mit der Eintragung eines Pfandrechts in ein öffentliches internationales Schuldenregister samt anschließender Zwangsvollstreckung ein vom Willen der Angeklagten abhängiges Übel in Form von „zwangsläufig verbundenen Kosten“ (für die anwaltliche Vertretung und andere verfahrensbedingte Aufwendungen) ernsthaft angekündigt worden. Darin erblickten die Tatrichter (rechtlich) eine Drohung mit einer Verletzung am Vermögen. Zudem gingen sie von einer Verletzung der Ehre „wegen des fälschlichen Eindrucks der Kreditunwürdigkeit“ und wegen der „Veröffentlichung von ungerechtfertigten Schadenersatz-forderungen im Internet“ aus. Hingegen sahen sie es nicht als erwiesen an, dass die Angeklagten den Adressaten ernsthaft mit einer Verletzung deren Vermögens in (der exorbitanten) Höhe der in den Schreiben genannten Beträge und damit zusammenhängend mit der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz oder gesellschaftlichen Stellung drohen wollten.

Ziel der Schreiben sei es gewesen, die Adressaten zur Unterlassung der Einhebung der (fälligen) Abgaben und Gebühren zu veranlassen.

 

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Carolina W*****:

Feststellungen sind nur insoweit mit Mängelrüge anfechtbar, als sie (für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage) entscheidende Tatsachen betreffen (RIS‑Justiz RS0117499). Eine solche spricht die Kritik (nominell Z 5 dritter Fall) an der Annahme, die Angeklagten hätten zwar das (oben beschriebene) Übel, nicht aber auch die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz ernsthaft androhen wollen (vgl US 30 und 32), nicht an. Entgegen dem Vorbringen, das Versuchsstadium sei „noch gar nicht erreicht worden, weil es noch einer Reihe weiterer Schritte bedurft hätte, bis überhaupt in irgendeiner Weise eine Realisierung von Forderungen möglich gewesen wäre“, ist strafbarer Versuch hier nämlich jedenfalls zu bejahen, weil die Angeklagten die inkriminierten Schreiben abschickten und diese den Opfern auch zur Kenntnis gelangten (US 14 und 26). Es kommt – auch unter dem Aspekt der Erpressung – weder auf eine Imminenz des Übels noch auf eine Nähe des Erfolgseintritts an. Ebenso wenig ist entscheidend, ob die Angeklagten das angedrohte Übel verwirklichen wollten oder konnten (RIS‑Justiz RS0092687, RS0092132; Eder‑Rieder in WK 2 StGB § 144 Rz 36; Jerabek/Ropper ebd § 74 Rz 26; Schwaighofer ebd § 105 Rz 45 f und § 107 Rz 9). Im Übrigen widerspricht die kritisierte Annahme keineswegs den Denkgesetzen oder grundlegenden Erfahrungssätzen (RIS‑Justiz RS0117402).

Weshalb die Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der Schreiben keine ausreichende Sachverhaltsgrundlage für die (rechtliche) Annahme einer Drohung mit einer Verletzung am Vermögen darstellen sollen, legt die Rechtsrüge (Z 9 lit a) nicht dar (RIS‑Justiz RS0099620). Die Konstatierung der Ankündigung eines Übels in Form von „zwangsläufig verbundenen Kosten“ (für die anwaltliche Vertretung und andere verfahrensbedingte Aufwendungen) ist nämlich – was die Beschwerdeführerin verkennt (vgl RIS‑Justiz RS0099810) – auf der Sachverhaltsebene angesiedelt.

Bleibt mit Blick auf das weitere Vorbringen anzumerken, dass die (wahrheitswidrige) Behauptung, jemand sei verschuldet und deshalb allenfalls weniger kreditwürdig – entgegen der Ansicht des Erstgerichts – per se keine Verletzung an der Ehre darstellt (vgl Rami in WK 2 § 111 Rz 11). Ebenso wenig reicht dies (ohne Hinzutreten konkreter weiterer Umstände) – selbst unter Anlegung des deliktsspezifisch weiten Vermögensbegriffs (RIS‑Justiz RS0131845) – als Sachverhaltsgrundlage für die Annahme einer Beeinträchtigung des Rechtsguts Vermögen aus.

Weshalb durch das Absenden der Schreiben „das Versuchsstadium noch nicht erreicht“ worden sein soll, ist nicht ersichtlich (vgl im Übrigen die Ausführungen zur Mängelrüge).

Indem die weitere Rechtsrüge zum Schuldspruch I behauptet, „die bloße Infragestellung der rechtlichen Korrektheit einer Zahlungsverpflichtung“ reiche für die Annahme versuchter Bestimmung zum Missbrauch der Amtsgewalt nicht aus, bekämpft sie bloß die Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der inkriminierten Schreiben nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung.

Auf die der Nichtigkeitsbeschwerde beigefügten, von der Beschwerdeführerin im eigenen Namen verfassten Ausführungen war nicht einzugehen, weil sie nicht Teil der vom Verteidiger eingebrachten Beschwerdeschrift und daher unbeachtlich sind (RIS‑Justiz RS0100216; Ratz , WK‑StPO § 285 Rz 6).

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Astrid W*****:

Der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider ist unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden, dass die Tatrichter die Feststellungen zur subjektiven Tatseite mit dem „äußeren Geschehen und der allgemeinen Lebenserfahrung“ (US 29 ff) begründeten. Die– insoweit leugnende – Verantwortung haben die Tatrichter ebenso erörtert wie Passagen der Schreiben, deren Wortlaut gegen die Feststellungen zum Bedeutungsinhalt sprachen (US 29 f), sodass auch keine Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) der Begründung vorliegt.

Weshalb die ausführlichen Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der Schreiben, den konkreten Umständen und Zusammenhängen, die für ihre Verfassung und Absendung maßgeblich waren, sowie zu den Opfern und den von diesen ausgeübten Funktionen für die rechtliche Beurteilung der Eignung der inkriminierten Äußerungen, begründete Besorgnis nach einem objektiv-individuellen Maßstab zu wecken (US 15 und 27; vgl RIS‑Justiz RS0092753, RS0092538; Jerabek/Ropper in WK 2 § 74 Rz 33 f), nicht ausreichen sollen, erklärt die Rechtsrüge (Z 9 lit a) nicht.

Ebenso wenig wird zum Schuldspruch II dargelegt, warum die Feststellungen zum auf Vermögensschädigung gerichteten Vorsatz (US 15 und 27) nicht ausreichen sollten (RIS‑Justiz RS0099620).

Zum Einwand auch dieser Rechtsrüge (Z 9 lit a), die Zusendung der inkriminierten Schreiben stelle „keine ausführungsnahe Handlung“ dar, wird auf die Beantwortung des entsprechenden Rechtsmittelvorbringens der Mitangeklagten verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Bleibt anzumerken, dass sich die verfehlte (RIS‑Justiz RS0121981) Annahme mehrerer Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt (US 2) in concreto nicht zum Nachteil der beiden Angeklagten auswirkt, weshalb amtswegige Wahrnehmung des Subsumtionsfehlers nicht erforderlich war (Ratz, WK‑StPO § 290 Rz 22 ff). Angesichts dieser Klarstellung ist das Oberlandesgericht bei der Entscheidung über die Berufungen insoweit nicht an den verfehlten Schuldspruch gebunden (RIS‑Justiz RS0118870).

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