OGH 16Ok7/07

OGH16Ok7/0721.1.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Kartellrechtssachen durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Birgit Langer als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Manfred Vogel und Univ.-Prof. Dr. Georg Kodek sowie die fachkundigen Laienrichter Kommerzialräte Dr. Johann Mraz und Dr. Erich Haas als weitere Richter in den verbundenen Kartellrechtssachen der Antragstellerin Bundeswettbewerbsbehörde, 1020 Wien, Praterstraße 31, gegen die Antragsgegnerinnen zu I.(26 Kt 23/07) 1. M***** Holding Aktiengesellschaft, *****, 2. „P*****“ ***** Gesellschaft mit beschränkter Haftung, *****, und zu II.(26 Kt 29/07) 1. J***** GmbH, *****, 2. „P*****“-***** Gesellschaft mit beschränkter Haftung, *****, sämtliche Antragsgegnerinnen vertreten durch Gugerbauer & Partner Rechtsanwälte in Wien, sowie der weiteren Amtspartei Bundeskartellanwalt, wegen Prüfung angemeldeter Zusammenschlüsse (§ 11 KartG), über den Rekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Kartellgericht vom 30. August 2007, GZ 26 Kt 23, 29/07-23, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Gegenstand der beiden verbundenen Zusammenschlussverfahren sind Prüfungsanträge der Bundeswettbewerbsbehörde betreffend den Erwerb von Geschäftsanteilen an der „P*****“-***** Gesellschaft mit beschränkter Haftung (in der Folge: Zielgesellschaft) im März 2005 durch die J***** GmbH (in der Folge: J*****) und im Mai/Juni 2005 durch die M***** Holding Aktiengesellschaft (in der Folge: Holding) als aufgreifende Unternehmen.

Am 29. 3. 2007 meldeten die J***** und die Zielgesellschaft zu 26 Kt 29/07 als Zusammenschluss an, dass die J***** am 11. 5. und 9. 6. 2005 insgesamt 50 % Geschäftsanteile an der Zielgesellschaft je zur Hälfte von Otto S***** und der Z***** BeteiligungsgesmbH übernommen hat. Die Anmelderinnen vertraten dazu den Standpunkt, dieser Anteilserwerb wäre mangels Erreichens der für die Fusionskontrolle relevanten Aufgriffsschwellen gar nicht anzumelden gewesen, weil die Umsätze der damaligen Hälftegesellschafterin Holding nicht dem aufgreifenden Unternehmen zuzurechnen seien; die J***** sei nämlich schon aufgrund unterschiedlicher Beteiligungsverhältnisse nicht als „kartellrechtliche Einheit“ mit der Holding zu beurteilen.

Schon am 8. 3. 2007 haben die Holding und die Zielgesellschaft den beabsichtigten Erwerb der von der J***** gehaltenen Anteile von 50 % an der Zielgesellschaft durch die Holding als Zusammenschluss mit der Begründung angemeldet, dadurch erwerbe die Holding die alleinige Kontrolle über die Zielgesellschaft. Dieses Zusammenschlussvorhaben sei nicht zu untersagen, weil es auf keinem der relevanten Märkte zu einer Marktanteilsaddition führe. Sachlich sei nämlich der relevante Markt für Gratiszeitungen, auf dem die Zielgesellschaft tätig sei, vom Markt für Kaufzeitungen, auf dem die Holding tätig sei, zu unterscheiden. Der Erwerb der Alleinkontrolle an der Zielgesellschaft führe auch sonst nicht zu einer Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung der in Tirol tätigen Holding, weil die Medienprodukte der Zielgesellschaft überwiegend außerhalb dieses Bundeslands vertrieben würden.

Die Bundeswettbewerbsbehörde beantragte die Prüfung beider Erwerbsvorgänge. Bedenken bestünden vor allem gegen den zeitlich ersten Erwerbsvorgang. Sowohl an der Holding als auch an der J***** seien Mitglieder derselben Familie beteiligt, weshalb diese Unternehmen eine „kartellrechtliche Einheit“ seien; Treuhandkonstruktionen stellten bei beiden Unternehmen sicher, dass bei der Verwaltung der Beteiligungen dieser Familie einheitlich vorgegangen werde. Schon der erste Anteilserwerb durch die J***** habe zu einem Wechsel von gemeinsamer zu alleiniger Kontrolle durch die Holding geführt. Der geschäftsführende (Viertel-)Gesellschafter S***** habe Entscheidungen in der Zielgesellschaft sowohl im täglichen Geschäft als auch im Hinblick auf die strategische Ausrichtung des Unternehmens getroffen; das Zielunternehmen sei daher von ihm und der Holding als konzentratives Gemeinschaftsunternehmen geführt worden. Nach dem Ausscheiden von S***** habe die Holding die Geschäftspolitik des Zielunternehmens erstmals alleine bestimmen können.

Die Antragsgegnerinnen beantragten, die Prüfungsanträge zurückzuweisen oder auszusprechen, dass die Zusammenschlüsse nicht untersagt werden. Die Holding habe als Hälftegesellschafterin schon vor dem Erwerb der Anteile durch die J***** die Alleinkontrolle am Zielunternehmen innegehabt und die wesentlichen strategischen Entscheidungen getroffen. Es sei daher keiner der angemeldeten Erwerbsvorgänge mit einem Kontrollwechsel verbunden.

Der Bundeskartellanwalt hat keinen Prüfungsantrag gestellt, jedoch an den Erörterungs- und Beweisaufnahmetagsatzungen teilgenommen.

Das Erstgericht verband beide Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung und wies beide Prüfungsanträge zurück. Es traf unter anderem folgende Feststellungen:

Das 1990 gegründete Zielunternehmen ist bundesweit im Bereich des Gratiszeitungsmarktes tätig. Es wies im März 2005 (vor den hier zu beurteilenden Gesellschafterwechseln) folgende Eigentümerstruktur auf: 50 % Rechtsvorgängerin der Holding, je 25 % Z***** BeteiligungsgesmbH und Otto S*****. Nach dem Gesellschaftsvertrag werden Beschlüsse regelmäßig mit einfacher Mehrheit gefasst (Punkt 8.6.), die Hälftegesellschafterin kann einen für die anderen Gesellschafter bindenden Vorschlag zur Wahl eines Geschäftsführers erstatten (Punkt 7.1.), und im Fall der Bestellung von mindestens zwei Geschäftsführern sind diese jeweils nur gemeinsam mit dem von der Hälftegesellschafterin namhaft gemachten Geschäftsführer vertretungsbefugt (Punkt 6.2.). Neben dieser Vertragslage bestand zwischen den beiden Viertelgesellschaftern weder eine Absprache über die Stimmrechtsausübung noch ein faktisches gemeinsames Vorgehen, zumal es bis zu ihrem Ausscheiden aus der Gesellschaft keine Kampfabstimmung in der Generalversammlung gegeben hat; allfällige Differenzen wurden regelmäßig schon im Vorfeld ausgeräumt. In der Geschäftsführung der Zielgesellschaft war es ständig geübte Praxis, dass von den beiden Geschäftsführern der eine (zugleich Viertelgesellschafter) allein das operative Tagesgeschäft führte, während die von der Hälftegesellschafterin nominierte Geschäftsführerin - in Absprache mit dem Vorstandsvorsitzenden der Hälftegesellschafterin - die Grundsätze der Unternehmenspolitik festlegte, Beteiligungs- und Finanzierungsgeschäfte bis zur Unterschriftsreife vorbereitete und abwickelte sowie die unternehmensstrategischen Entscheidungen (zB zahlreiche Unternehmenskäufe während der zweiten Expansionsphase ab 2002) traf. Das gesamte Rechnungswesen der Zielgesellschaft (Buchhaltung, elektronischer Zahlungsverkehr, Cash-Management) wurde in einem Konzernunternehmen der Hälftegesellschafterin abgewickelt.

Die Holding bzw ihre Rechtsvorgängerin ist wirtschaftlich gesehen den Erben nach KR Joseph M***** zuzuordnen; sie erbringt mit ihren Tochtergesellschaften (Dienst-)Leistungen im Medienbereich. Zu den Medienprodukten dieser Gruppe gehören insbesondere die Tageszeitungen „T*****“, „N*****“ und „N*****“ sowie der Radiobetrieb „L*****“. Alle diese Medien werden vor allem in Tirol verbreitet/ausgestrahlt. Die Gründung der J***** geht auf das Testament von KR M***** zurück, der 1993 verstarb. Auf Grund dessen letztwilliger Anordnung übertrugen dessen Erben - später auch deren Holdinggesellschaften - als Treugeber ihre aus dem Nachlass stammenden Unternehmensbeteiligungen der M***** Medien-Treuhand als Treuhänderin zur Verwaltung. Die Stellung der Erben (Treugeber) beschränkt sich - dem Willen des Erblassers entsprechend - infolge dieser Treuhandkonstruktion auf jene von Finanzinvestoren. Die Erben üben schon seit Jahren keine Funktion mehr in der Geschäftsführung eines Unternehmens der M*****-Gruppe auf. Die Mitglieder der Familie M***** nehmen keinerlei Einfluss auf die Geschäftstätigkeit eines dieser Unternehmen. Die Erben verbindet ihr Interesse am Investment und den daraus zu erzielenden Gewinnen, ohne dass Absprachen über das Stimmverhalten oder ein sonstiges Zusammenwirken bestünden. Im Übrigen vertraut die Familie auf das Geschick des vom Erblasser eingesetzten Testamentsvollstreckers, der neben seinen Funktionen in der M***** Medien-Treuhand auch Vorsitzender des vierköpfigen Aufsichtsrats der Holding ist. Die Geschäfte der Holding liegen in den Händen des Vorstandsvorsitzenden, der in alle Entscheidungen strategischer Natur den Testamentsvollstrecker einbindet. Er entwickelt mit diesem die grundsätzliche Ausrichtung der Unternehmenspolitik, dies ohne jegliche Vorgaben von Seiten der Familie M*****.

In rechtlicher Hinsicht führte das Kartellgericht aus, es könne dahingestellt bleiben, ob die „Familie M*****" als Treugeber der M***** Medien-Treuhand einerseits und der J***** andererseits als identische Organisationseinheit mit Unternehmereigenschaft im Sinne des § 7 KartG anzusehen sei. Werde diese Frage verneint, sei der Erwerb von 50 % der Anteile am Zielunternehmen durch die J***** schon deswegen nicht anmeldebedürftig gewesen, weil mangels nennenswerter Eigenumsätze der Erwerberin und deren Gesellschafter die Aufgriffsschwelle des § 42a Abs 1 Z 3 KartG 1988 (siehe auch § 9 Abs 1 Z 3 KartG 2005) nicht erreicht worden sei. Bestünde hingegen eine Verbundenheit in kartellrechtlichem Sinne, wären der Erwerberin zwar die Umsätze der Holding zuzurechnen und damit sämtliche Schwellenwerte erreicht, die Anmeldebedürftigkeit beider Erwerbsvorgänge sei in diesem Fall aber deshalb zu verneinen, weil es durch die angezeigten Erwerbsvorgänge zu keinem Kontrollwechsel beim Zielunternehmen gekommen sei. Zwar begründe der Schritt von der Mitbeherrschung zur Alleinbeherrschung - etwa durch eine Aufstockung der Beteiligung von 50 % auf 100 % - einen Zusammenschlusstatbestand. Mitbeherrschung setze aber voraus, dass ein beteiligtes Unternehmen im Konfliktfall die Möglichkeit habe, in geschäftspolitischen Angelegenheiten strategischer Natur (Budget, Geschäftsplan, Investitionen größeren Umfangs) eigene (Wettbewerbs-)Interessen zumindest durch die Blockade von Entscheidungen durchzusetzen; die gemeinsame Kontrolle müsse sich hingegen nicht auf den täglichen Geschäftsbetrieb beziehen. Ein Minderheitsgesellschafter besitze (mit-)beherrschenden Einfluss, wenn ihm vertraglich besondere Rechte eingeräumt würden oder auf Grund der tatsächlichen Verhältnisse besondere Einflussmöglichkeiten zukämen. Ohne solche besonderen Rechte seien zwei oder mehr Minderheitsgesellschafter nur dann als (mit-)beherrschend zu betrachten, wenn sie zusammen über eine kontrollvermittelnde Stimmenanzahl verfügten und bei der Ausübung der Stimmrechte gemeinsam handelten. Das gemeinsame Handeln müsse so dauerhaft abgesichert sein, dass wechselnde Mehrheiten ausgeschlossen seien; starke gemeinsame Interessen allein und ohne strukturelle Verfestigung reichten dafür nicht aus. Bei der anzustellenden Gesamtschau sei auch das Stimmverhalten in der Vergangenheit zu berücksichtigen.

Bei der Zielgesellschaft sei nur die Hälftegesellschafterin in der Lage gewesen, Entscheidungen zu blockieren. In einer solchen Lage gelte jener Gesellschafter, der als einziger eine Pattsituation herbeiführen könne, auch als alleine kontrollierend. Gemessen an den Beteiligungsverhältnissen habe daher die Rechtsvorgängerin der Holding schon ab dem Zeitpunkt der Aufstockung ihrer Beteiligung auf 50 % die Zielgesellschaft allein beherrscht. An diesem Ergebnis ändere nichts, dass einer der Viertelgesellschafter als einer von zwei Geschäftsführern tätig sei. Dieser sei nämlich auch in jener Funktion nicht in der Lage, die Geschäftspolitik mitzubestimmen, beschränke sich sein Aufgabenbereich als Geschäftsführer doch auf das - für die Kontrolle nicht ausschlaggebende - Tagesgeschäft; unternehmensstrategische Entscheidungen seien hingegen ohne seine Mitwirkung ausgearbeitet worden. Auch in der faktischen Ausgestaltung der Geschäftsführung spiegle sich daher das Kräfteverhältnis der Gesellschafter. Wesentlich sei auch, dass dieser Geschäftsführer nicht allein zeichnungsberechtigt sei und dass seine Entscheidungen in der Generalversammlung durch den Hälftegesellschafter stets blockiert werden hätten können. Hingegen sei es keineswegs gesichert, dass sich im Konfliktfall der zweite Viertelgesellschafter im Stimmverhalten an den anderen Viertelgesellschafter angepasst hätte. Das zwischen ihnen bestehende „althergebrachte Einvernehmen" darüber, „einander nicht in den Rücken zu fallen", habe dafür keine hinreichende und auf Dauer angelegte Basis geboten, zumal es in der Vergangenheit kein Beispiel für ein gemeinsames Vorgehen der beiden Minderheitsgesellschafter gegen die Hälftegesellschafterin gebe. Dazu komme, dass letztere auf Grund ihrer Finanzkraft (Besicherung erheblicher Unternehmenskredite) wirtschaftlich die stärkere Position in der Gesellschaft einnehme. Vor allem dieser Umstand lasse es wenig plausibel erscheinen, dass die beiden Viertelgesellschafter tatsächlich eine auf lange Sicht stabile Interessengemeinschaft gebildet hätten; vertraglich sei dieses Einvernehmen nicht abgesichert gewesen. In der Frage der Kontrolle komme es allein auf die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen, an. Die Abtretung der Geschäftsanteile der Minderheitsgesellschafter an die J***** habe daher an den Beherrschungsverhältnissen ebenso wenig geändert wie der Aufgriff dieser Anteile durch das bereits beherrschende Unternehmen. Es fehle daher für beide Erwerbsvorgänge am Erfordernis eines Kontrollwechsels. Dies führe zur Zurückweisung der Prüfungsanträge gemäß § 12 Abs 1 Z 1 KartG.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Bundeswettbewerbsbehörde wegen Verfahrensmängeln, Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufzutragen.

Die Antragsgegnerinnen beantragen, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

1.1.1. Die Rekurswerberin macht geltend, es liege eine unzulässige „Überraschungsentscheidung“ (§ 14 AußStrG iVm § 182a ZPO) vor. Das Verfahren stehe in engem Zusammenhang mit dem zu 26 Kt 29/07 geführten Bußgeldverfahren wegen verbotener Durchführung des erst zu 26 Kt 29/07 angemeldeten Zusammenschlusses; dort habe die Rekurswerberin „den Eindruck gewonnen“, das Gericht gehe von einer Anmeldepflicht des Sachverhalts aus. Das Gericht habe das von den Anmeldern schon im April 2007 vorgetragene Argument, die Hälfteeigentümerin habe das Zielunternehmen stets allein kontrolliert, nicht aufgegriffen, sondern habe den Sachverhalt im Bußgeldverfahren durch Bestellung eines Sachverständigen einer inhaltlichen Prüfung unterzogen. Die Rekurswerberin hätte auf die Einvernahme des Minderheitsgesellschafters nicht verzichtet, wenn es die Zurückweisung der Prüfungsanträge mangels Kontrollwechsels für möglich gehalten hätte.

1.1.2. Gemäß § 14 AußStrG iVm § 182a ZPO ist die Rechtslage mit den Parteien zu erörtern; Überraschungsentscheidungen sind verboten. Dies bedeutet aber keineswegs, dass das Gericht seine Rechtsansicht vor der Entscheidung kundtun muss; anderes gilt, wenn rechtserhebliche Tatsachen nicht vorgebracht wurden (16 Ok 4/07 mwN).

§ 182a ZPO hat nichts daran geändert, dass es keiner richterlichen Anleitung zu einem Vorbringen bedarf, gegen das der Prozessgegner bereits Einwendungen erhoben hat. Angesichts solcher Einwendungen hat die andere Partei ihren Prozessstandpunkt selbst zu überprüfen und die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen. Auch die Pflicht nach § 182a ZPO kann nicht bezwecken, das Gericht zur Erörterung eines Vorbringens zu zwingen, dessen Schwächen bereits der Prozessgegner aufzeigte (Zechner in Fasching/Konecny² IV/2 § 503 Rz 135; 8 Ob 135/06w = RIS-Justiz RS0122365).

Hier haben die Antragsgegnerinnen jenen rechtlichen Gesichtspunkt, der später zur Zurückweisung der Prüfanträge geführt hat, schon in einem frühen Stadium des Verfahrens geltend gemacht (Schriftsatz ON 4 S 9 ff); wenn die antragstellende Amtspartei daraus sowie aus Verfahrensergebnissen in anderen Verfahren unzutreffende Schlüsse gezogen und möglicherweise zielführende Beweisanträge unterlassen hat, liegt darin kein dem Gericht anzulastender Verfahrensfehler durch eine Überraschungsentscheidung. Darüber hinaus hat die Rekurswerberin auch nicht aufgezeigt, welches zusätzliche oder andere Vorbringen sie erstattet hätte, hätte das Gericht mit ihr den späteren Zurückweisungsgrund erörtert (vgl RIS-Justiz RS0120056 [T2]).

1.2.1. Ein Verstoß gegen den Untersuchungsgrundsatz soll darin liegen, dass das Kartellgericht nicht über die Anträge der Anmelderin hinaus von sich aus „weitere Tatsachen“ ermittelt und die Feststellung getroffen habe, die Minderheitsgesellschafter hätten vertragliche Sonderrechte in Form von Kontrollrechten besessen.

1.2.2. Auch wenn die Vollständigkeit und Richtigkeit der Angaben in der Anmeldung in die durch Geldbußen abgesicherte Verantwortlichkeit des Anmelders fällt, darf sich das Kartellgericht nicht mit offensichtlich unzureichenden oder undeutlichen Angaben begnügen, sondern ist von Amts wegen verpflichtet, die zur Beurteilung erforderlichen Umstände zu erheben und dabei zweckdienlichen Hinweisen der Amtsparteien nachzugehen (Solé, Das Verfahren vor dem Kartellgericht Rz 94; 16 Ok 2/97 = SZ 70/124; 16 Ok 3/98; 16 Ok 17, 18/02). Eine Verletzung dieser Verpflichtung im Anlassfall ist nicht zu erkennen. Das Kartellgericht hat sämtliche von den Parteien angebotenen Beweise aufgenommen; dass es zweckdienlichen Hinweisen einer Amtspartei nicht nachgegangen wäre, wird im Rekurs nicht einmal behauptet.

2.1. Unter dem Rekursgrund der Aktenwidrigkeit stellt die Rekurswerberin die beweismäßige Grundlage jener Feststellungen in Frage, wonach die von der Hälftegesellschafterin nominierte Geschäftsführerin die unternehmensstrategischen Entscheidungen für das Unternehmen ohne Absprache mit dem zweiten Geschäftsführer getroffen hat.

2.2. Die Aktenwidrigkeit als Rechtsmittelgrund verwirklicht nur ein Widerspruch zwischen dem Akteninhalt und den die Entscheidung tragenden wesentlichen Tatsachen (16 Ok 4/07), nicht hingegen Tatsachenfestellungen auf aktengemäßer Grundlage, die als Schlussfolgerungen das Ergebnis richterlicher Werturteile sind. Daher kann nur die Verwertung einer Tatsache, die jeder Stütze in den Ergebnissen des Beweisverfahrens oder im sonstigen Akteninhalt entbehrt, eine Aktenwidrigkeit realisieren (Zechner aaO § 503 Rz 159, 163 mwN).

Einen derartigen Widerspruch zwischen Akteninhalt und wesentlicher Tatsachenfeststellung zeigt der Rekurs indes nicht auf, sondern er hegt nur Zweifel an Schlussfolgerungen, die das Kartellgericht zulässigerweise aus den aufgenommenen Beweisen gezogen hat. Schlussfolgerungen sind aber dem - hier unanfechtbaren - Bereich der Beweiswürdigung zuzuordnen. Beweisergebnisse dahin, dass der zweite Geschäftsführer - über das operative Tagesgeschäft hinaus - Einfluss auf die Unternehmensführung gehabt und insbesondere unternehmensstrategische Entscheidungen mitbestimmt hätte, liegen nicht vor; dass die beiden Geschäftsführer Grundsatzentscheidungen gemeinsam getroffen hätten, ist eine durch Beweisergebnisse nicht belegte These der Rechtsmittelwerberin.

3.1. Gegenstand der kartellrechtlichen Zusammenschlusskontrolle ist das externe Unternehmenswachstum. Erfasst werden sollen Vorgänge mit (potentiell) konzentrativem Effekt, an denen mindestens zwei Unternehmen beteiligt sind. Zielrichtung der Fusionskontrolle ist es, wettbewerblich strukturierte Märkte möglichst zu erhalten und zu fördern und zu verhindern, dass eine marktbeherrschende Stellung entstehen oder verstärkt werden kann. Ob dies im Einzelfall zutrifft, ist anhand objektiver Kriterien zu beurteilen (16 Ok 1/07 mwN).

Die Rekurswerberin stellt zutreffend nicht in Frage, dass die zu 26 Kt 29/07 angezeigten Anteilserwerbe im Mai/Juni 2005 durch die J***** nur unter der Voraussetzung einen Zusammenschlusstatbestand nach § 7 KartG verwirklicht haben, dass durch diesen Gesellschafterwechsel eine relevante Kontrollveränderung beim Zielunternehmen eingetreten ist (vgl Urlesberger in Petsche/Urlesberger, KartG § 7 Rz 82f). Sie erblickt einen solchen Kontrollwechsel darin, dass das Zielunternehmen vor dem Anteilserwerb von seinen drei Gesellschaftern gemeinsam beherrscht worden sei, während danach die bisherige Hälftegesellschafterin zusammen mit der hinzugekommenen neuen Hälftegesellschafterin die alleinige Kontrolle über die Zielgesellschaft ausgeübt habe.

3.2. Der Begriff des beherrschenden Einflusses im innerstaatlichen Fusionskontrollrecht (§ 7 Abs 1 Z 5 KartG) ist inhaltsgleich mit dem gemeinschaftsrechtlichen Begriff des bestimmenden Einflusses auf die Tätigkeit eines Unternehmens (Art 3 FKVO). Im Zusammenhang mit dem Kontrollerwerb an einem Unternehmen wird in Schrifttum und Rechtsprechung dabei im Wesentlichen zwischen der gemeinsamen und der alleinigen Kontrolle unterschieden. In jedem Einzelfall ist eine Gesamtwürdigung aller rechtlichen und tatsächlichen Umstände erforderlich (Immenga/Körber in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht4 FKVO Art 3 Rz 32).

3.2.1. Eine gemeinsame Kontrolle liegt dann vor, wenn jeder Beteiligte die Möglichkeit zur Beeinflussung strategischer Entscheidungen hat, sie also ohne die anderen Partner nicht getroffen werden können (16 Ok 5/99 = ÖBl2001, 94 - Asphaltmischwerk I mwN) und die Beteiligten bei strategischen Entscheidungen, die das gemeinsame Unternehmen betreffen, aufeinander angewiesen sind (Wessely, Das Recht der Fusionskontrolle und Medienfusionskontrolle, 82; vgl 16 Ok 15/98 = ÖBl 1999, 132 - Asphaltmischanlage). Zur Erlangung gemeinsamer Kontrolle ist es jedoch nicht erforderlich, dass der Erwerber einen bestimmenden Einfluss auf das Tagesgeschäft des Unternehmens ausüben kann. Entscheidend ist, dass die Vetorechte der Muttergesellschaft ausreichen, um das strategische Wirtschaftsverhalten zu beeinflussen. Zu diesem Bereich zählen Entscheidungen über das Budget, den Geschäftsplan, größere Investitionen oder die Besetzung der Unternehmensleitung (Konsolidierte Mitteilung der Kommission zu Zuständigkeitsfragen gem der VO {EG} 139/2004 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen Rz 67; Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht Art 3 FKVO Rz 15).

3.2.2. Alleinige Kontrolle wird erworben, wenn aufgrund einer Gesamtschau aller dem Erwerber zustehenden Einflussmöglichkeiten dieser allein in der Lage ist, das strategische Wettbewerbsverhalten eines Unternehmens zu bestimmen. Alleinige Kontrolle liegt nicht nur vor, wenn ein Unternehmen die Stimmrechtsmehrheit an einem anderen Unternehmen hält, also strategische Geschäftsentscheidungen gegen den Willen der anderen Gesellschafter durchsetzen kann, sondern etwa auch dann, wenn ein einzelner Gesellschafter strategische Entscheidungen durch ein Veto verhindern, nicht jedoch allein durchsetzen kann (sog „negative alleinige Kontrolle“; Hoffer, KartG 133f; Immenga/Körber aaO Rz 36 und 72; Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner aaO Rz 12; Konsolidierte Mitteilung der Kommission Rz 54). Letzteres ist etwa bei einer Stimmrechtsverteilung zwischen drei Gesellschaftern von 50:25:25 der Fall, weil der Hälftegesellschafter die mit einfacher Mehrheit zu fassenden Beschlüsse blockieren kann und damit die negative alleinige Kontrolle ausübt (Urlesberger aaO Rz 80; vgl 16 Ok 5/99 = ÖBl 2001, 94 - Asphaltmischwerk I, wo im Fall der genannten Stimmrechtsverteilung keine gemeinsame Kontrolle der Gesellschafter angenommen worden ist).

3.3.1. Im Anlassfall sind in die gebotene Gesamtwürdigung aller rechtlichen und tatsächlichen Umstände vor dem Anteilserwerb im Mai/Juni 2005 neben der Stimmrechtsverteilung zwischen den drei Gesellschaftern von 50:25:25 folgende Umstände einzubeziehen: Nach dem Gesellschaftsvertrag werden Beschlüsse regelmäßig mit einfacher Mehrheit gefasst (Punkt 8.6.), die Hälftegesellschafterin kann einen für die anderen Gesellschafter bindenden Vorschlag zur Wahl eines Geschäftsführers erstatten (Punkt 7.1.), und im Fall der Bestellung von mindestens zwei Geschäftsführern sind diese jeweils nur gemeinsam mit dem von der Hälftegesellschafterin namhaft gemachten Geschäftsführer vertretungsbefugt (Punkt 6.2.). Neben dieser Vertragslage bestand zwischen den beiden Viertelgesellschaftern weder eine Absprache über die Stimmrechtsausübung noch ein faktisches gemeinsames Vorgehen, zumal es bis zu ihrem Ausscheiden aus der Gesellschaft keine Kampfabstimmung in der Generalversammlung gegeben hat; allfällige Differenzen wurden regelmäßig schon im Vorfeld ausgeräumt. In der Geschäftsführung der Zielgesellschaft war es ständig geübte Praxis, dass von den beiden Geschäftsführern der eine (zugleich Viertelgesellschafter) allein das operative Tagesgeschäft führte, während die von der Hälftegesellschafterin nominierte Geschäftsführerin in Absprache mit dem Vorstandsvorsitzenden der Hälftegesellschafterin die Grundsätze der Unternehmenspolitik festlegte, Beteiligungs- und Finanzierungsgeschäfte bis zur Unterschriftsreife vorbereitete und abwickelte sowie die unternehmensstrategischen Entscheidungen (zB zahlreiche Unternehmenskäufe während der zweiten Expansionsphase ab 2002) traf. Das gesamte Rechnungswesen der Zielgesellschaft (Buchhaltung, elektronischer Zahlungsverkehr, Cash-Management) wurde in einem Konzernunternehmen der Hälftegesellschafterin abgewickelt.

3.3.2. Bei diesen rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen ist nicht zweifelhaft, dass die Hälftegesellschafterin schon vor dem Gesellschafterwechsel im Mai/Juni 2005 in der Lage war, das strategische Wettbewerbsverhalten des Zielunternehmens in seinen entscheidenden Geschäftsbereichen (Budget, Geschäftsplan, größere Investitionen) allein zu bestimmen. Sie hat deshalb schon vor dem genannten Zeitpunkt die alleinige Kontrolle über die Zielgesellschaft ausgeübt.

3.3.3. Dem Hinweis der Rekurswerberin auf das den Viertelgesellschaftern vertraglich eingeräumte Sonderrecht, im Fall des Ausscheidens von S***** und L***** als Geschäftsführer - für den Hälftegesellschafter bindend - einen neuen Geschäftsführer namhaft machen zu dürfen, ist einerseits entgegenzuhalten, dass dieses Recht bis zum Gesellschafterwechsel 2005 nicht schlagend geworden ist; andererseits wäre dieser Geschäftsführer stets nur zusammen mit dem vom Hälftegesellschafter nominierten Geschäftsführer zeichnungsberechtigt gewesen.

Dass die beiden Geschäftsführer tatsächlich in bestimmten Bereichen „überwiegend allein aktiv waren“, gesteht die Rekurswerberin zu; sie lässt aber unberücksichtigt, dass die Aufteilung der Geschäftsbereiche der beiden Geschäftsführer nicht etwa sachlich oder geografisch nach Märkten erfolgt ist. War aber der von der Hälftegesellschafterin nominierten Geschäftsführerin nur das - für sich genommen keine Beherrschungsmöglichkeit eröffnende - operative Tagesgeschäft entzogen, hat sie davon abgesehen jedoch die wesentlichen kontrollbegründenden unternehmensstrategischen Entscheidungen ohne Absprache mit dem weiteren Geschäftsführer getroffen, kann von einer faktischen Mitkontrolle aller Gesellschafter über das Zielunternehmen keine Rede sein.

Soweit die Rekurswerberin die Aufgaben der Geschäftsführung im Einzelnen als „aufklärungsbedürftig“ erachtet, „weite Handlungsbefugnisse der Geschäftsführung“ als „naheliegend“ vermutet und auf eine - inhaltlich unbestimmte - „Geschäftsordnung“ der Geschäftsführung verweist, bewegt sich das Rechtsmittel im Bereich der Spekulation und verlässt den durch den festgestellten Sachverhalt abgesteckten Beurteilungsrahmen. Letztlich ist auch nach Auffassung der Rekurswerberin „nach derzeitigem Kenntnisstand [...] nicht gesichert, dass die Generalversammlung tatsächlich Entscheidungen in Sachbereichen traf, die im wettbewerbsrechtlichen Sinn Kontrolle vermittelten“ (Rekurs S. 9).

3.3.4. Die Rekurswerberin verweist abschließend auf die ihrer Auffassung nach bestehende negative Kontrolle der beiden Viertelgesellschafter über die Zielgesellschaft; deren starke gemeinsame Interessen hätten Anreiz für eine koordinierte Stimmrechtsausübung ergeben und ihnen letztlich einen mitbestimmenden Einfluss im Unternehmen gesichert.

Richtig an diesen Überlegungen ist, dass gleichläufige und hinreichend starke finanzielle und wirtschaftliche Interessen von (Minderheits-)Gesellschaftern rein faktisch eine gemeinsame Kontrolle über das Unternehmen begründen können, auch ohne dass eine gemeinsame Kontrollausübung rechtlich fixiert wäre (Adt in von der Groeben/Schwarze, Kommentar zum Vertrag über die EU und zur Gründung der EG, FKVO Rz 63). Die Wahrscheinlichkeit einer dauerhaften und stabilen Allianz bei einer Mehrzahl von Minderheitsgesellschaftern ist aber grundsätzlich eher gering (vgl Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses Rn 32).

Nach dem hier zu beurteilenden Sachverhalt bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die beiden Viertelgesellschafter eine koordinierte Stimmrechtsausübung vereinbart oder faktisch durchgeführt oder sonst gemeinsam einen vitalen und unerlässlichen Beitrag zur wirtschaftlichen Tätigkeit des Zielunternehmens geleistet hätten, der dem Beitrag der Hälftegesellschafterin gleichwertig gewesen wäre. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die starke Finanzkraft der Hälftegesellschafterin hervorzuheben, die es ihr regelmäßig ermöglichte, erhebliche Unternehmenskredite zu besichern; eine annähernd vergleichbare Position haben die beiden Viertelgesellschafter nie besessen. Dem Rekurs kann deshalb auch unter diesem Gesichtspunkt kein Erfolg beschieden sein.

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