OGH 15Os94/19s

OGH15Os94/19s22.8.2019

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. August 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Mag. Fürnkranz in Gegenwart der FOI Bayer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Erwin A***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 6. Juni 2019, GZ 91 Hv 24/19v‑64, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0150OS00094.19S.0822.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Erwin A***** mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB, in einem Fall nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB sowie „in zwei Fällen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 vierter Fall StGB“ (I./), der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (II./) sowie der Vergehen der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 1 StGB (III./) schuldig erkannt.

Danach hat er in W***** und anderen Orten im Zeitraum „von 2004“ (US 5 f: ab dem Volksschulalter des Mädchens) bis 24. November 2012

I./ mit einer unmündigen Person, und zwar der am 24. November 1998 geborenen S***** S*****, in mehrfachen, teils täglichen Angriffen den Beischlaf sowie dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, indem er von dieser einen Oralverkehr an sich vornehmen ließ, Oralverkehr an ihr vornahm, dem Mädchen ein Glasröhrchen in den After und in die Vagina einführte, versuchte mit seinem Penis in die Vagina des Kindes einzudringen und diese mit seinem Finger vaginal penetrierte, wobei „eine der Taten“ (US 7, 11 f: die Taten; vgl dazu Philipp in WK2 StGB § 201 Rz 30) eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) des Opfers, nämlich eine an sich schwere Gesundheitsschädigung in Gestalt einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung und einer posttraumatischen Belastungsstörung, zur Folge hatte und das Opfer bei „jeweils einer“ der Taten in besonderer Weise erniedrigt wurde, indem er diesem einmal in den Mund und einmal auf die Brust ejakulierte;

II./ zu Punkt I./ genannte geschlechtliche Handlungen mit S***** S*****, sohin einer minderjährigen Person, die seiner Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung dieser gegenüber vorgenommen und von dieser an sich vornehmen lassen;

III./ pornographische Darstellungen einer minderjährigen Person hergestellt, indem er im Zuge der unter Punkt I./ genannten Tathandlungen in zumindest 20 Angriffen zumindest 150 pornographische Dateien, und zwar Fotos des Intimbereichs (§ 207a Abs 4 Z 3 lit b StGB) der minderjährigen S***** S*****, anfertigte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die ihr Ziel verfehlt:

Die zu I./ erhobene Mängelrüge (Z 5) kritisiert die Feststellung, wonach es für jedermann voraussehbar war, dass S***** durch die inkriminierten Taten eine derartig schwere Gesundheitsschädigung erleiden werde (US 7), als offenbar unzureichend oder nur zum Schein begründet (Z 5 vierter Fall).

Der Beschwerdeführer übersieht jedoch, dass das Zurechnungserfordernis der generellen (objektiven) Vorhersehbarkeit (Adäquanzzusammenhang) stets dann zu bejahen ist, wenn der konkrete Kausalverlauf (samt dem eingetretenen Erfolg) – wie hier nach den unbeanstandet gebliebenen Feststellungen zum Tatgeschehen (des vielfachen schweren sexuellen Missbrauchs des zu Beginn erst sechsjährigen Mädchens; US 4 ff) – nicht völlig außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegt (RIS‑Justiz RS0088955; Burgstaller/Schütz in WK2 StGB § 7 Rz 23 ff).

Der Sanktionsrüge (Z 11) zuwider verstößt die erschwerende Gewichtung des „Zusammentreffens einer Vielzahl von Verbrechen mit [einer] Vielzahl von Vergehen jeweils gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung“ des Opfers (US 13) nicht gegen das Doppelverwertungsverbot (Z 11 zweiter Fall), weil die damit angesprochene Deliktshäufung (im Sinn des Zusammentreffens einer Vielzahl von – gegen ein und dasselbe Rechtsgut gerichteten – Verbrechen und Vergehen; § 33 Abs 1 Z 1 StGB) keineswegs die Strafdrohung bestimmt.

Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO bleibt jedoch anzumerken, dass ein vom Nichtigkeitswerber nicht geltend gemachter Subsumtionsfehler (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) darin besteht, dass beim hier aktuellen Tatzeitraum (US 2 und 9) irrig „in zwei Fällen“ (US 3, 5, 12) die rechtliche Beurteilung des Geschehens als Verbrechen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 vierter Fall StGB (idgF) erfolgte (vgl dagegen die Anklageschrift ON 53). Denn eine „besondere Erniedrigung des Tatopfers“ wurde erst mit dem am 1. August 2013 in Kraft getretenen Sexualstrafrechtsänderungsgesetz 2013, BGBl I 2013/116, als Deliktsqualifikation in den Tatbestand des § 206 (Abs 3 vierter Fall) StGB aufgenommen, weshalb insofern (in zwei Fällen) das günstigere Tatzeitrecht (§ 206 [nur] Abs 1 StGB idF BGBl I 2001/130) anzuwenden gewesen wäre (§§ 1, 61 StGB).

Aufgrund des Verbots der Kombination unterschiedlicher Rechtsschichten im Fall der Idealkonkurrenz (RIS‑Justiz RS0119085 [T4, T5], RS0112939 [T9]; Höpfel in WK² StGB § 61 Rz 6) gilt dies auch für die vorgenommene rechtliche Unterstellung eben dieser (zwei) Taten jeweils auch unter § 212 Abs 1 Z 1 StGB idgF (II./) anstatt unter Tatzeitrecht (vgl 15 Os 107/18a).

Angesichts der weiteren (hier den Strafrahmen bestimmenden) Qualifikation nach § 206 Abs 3 erster Fall StGB und mangels erschwerender Gewichtung einer mehrfachen Qualifikation bei der Strafbemessung (US 13) ist im konkreten Fall eine – über diese unrichtige Lösung der Rechtsfrage hinausgehende – Benachteiligung des Angeklagten nicht gegeben (RIS‑Justiz RS0113957). Das Oberlandesgericht ist bei seiner Entscheidung über die Berufung an die insofern unrichtige Subsumtion nicht gebunden (RIS‑Justiz RS0118870).

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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