OGH 15Os93/12h

OGH15Os93/12h22.8.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. August 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Dr. Michel‑Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Karlicek als Schriftführerin in der Strafsache gegen Manfred B***** wegen des Vergehens der pornografischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs 3 erster Satz StGB, AZ 8 Bl 6/11d des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des genannten Gerichts vom 28. Juli 2011, GZ 8 Bl 6/11d‑4 (ON 18), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Eisenmenger, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 28. Juli 2011, GZ 8 Bl 6/11d‑4, verletzt § 196 Abs 1 zweiter Satz erster Halbsatz StPO.

Der Beschluss wird aufgehoben und dem bezeichneten Gericht eine neue Entscheidung über den Antrag auf Fortführung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Gründe:

Das von der Staatsanwaltschaft Graz zu AZ 11 St 176/10b geführte Ermittlungsverfahren gegen Manfred B***** wegen § 207a StGB wurde von der Anklagebehörde am 28. April 2011 gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt (ON 1 S 5).

Infolge des innerhalb offener Frist erhobenen Antrags des Rechtsschutzbeauftragten vom 23. Mai 2011 auf Fortführung des Verfahrens gemäß § 195 Abs 2a iVm § 194 Abs 3 Z 2 StPO (ON 16) übermittelte die Staatsanwaltschaft Graz den Ermittlungsakt am 26. Mai 2011 (mitsamt einer Stellungnahme; ON 17) gemäß § 195 Abs 3 zweiter Satz StPO dem Landesgericht für Strafsachen Graz (ON 1 S 7), das ‑ als Senat von drei Richtern (§ 31 Abs 6 Z 3 StPO) ‑ mit Beschluss vom 28. Juli 2011, GZ 8 Bl 6/11d‑4, die Fortführung des Ermittlungsverfahrens gegen Manfred B***** wegen § 207a StGB anordnete (ON 18), ohne jedoch zuvor dem Beschuldigten den Fortführungsantrag zur Kenntnis zu bringen und ihm sowie dem Antragsteller Gelegenheit zur Äußerung zur Stellungnahme der Staatsanwaltschaft einzuräumen (siehe die Mitteilung des Beschuldigten vom 22. September 2011, ON 21 S 3, sowie den Aktenvermerk vom 31. August 2011 in ON 6 des Handakts AZ 8 Bl 6/11d).

Rechtliche Beurteilung

Die Beschlussfassung über den Fortführungsantrag ohne dessen vorherige Zustellung zur Äußerung an den Beschuldigten und ohne diesem sowie dem Rechtsschutzbeauftragten zuvor auch Gelegenheit zur Äußerung zur Stellungnahme der Staatsanwaltschaft einzuräumen, steht ‑ wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt ‑ mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Gemäß § 196 Abs 1 zweiter Satz erster Halbsatz StPO hat das Gericht vor seiner Entscheidung über den Antrag auf Fortführung dem Beschuldigten und dem Antragsteller Gelegenheit zur Äußerung zur Stellungnahme der Staatsanwaltschaft binnen angemessener Frist einzuräumen.

Zwar sieht § 196 StPO idgF ‑ anders noch als dessen Abs 3 idF des Strafprozessreformgesetzes, BGBl I 2004/19 (vor Inkrafttreten des Budgetbegleit-gesetzes 2009) ‑ ein Recht des Beschuldigten auf Äußerung zum Fortführungsantrag nicht mehr explizit vor, doch lassen die Materialien zum Budgetbegleitgesetz 2009, BGBl I 2009/52, keinen Willen des Gesetzgebers erkennen, das zuvor normierte rechtliche Gehör des Beschuldigten einzuschränken (vgl EBRV 113 BlgNR 24. GP 36 ff). Zudem ist eine sinnvolle Äußerung zu einer Stellungnahme in der Regel nur dann möglich, wenn dem Äußerungsberechtigten auch die Grundlage für diese Stellungnahme bekannt ist. Schließlich ist das Interesse des Beschuldigten, sich zum ‑ seinen Intentionen in der Regel zuwider laufenden ‑ Fortführungsantrag zu äußern, naturgemäß größer, als an einer Äußerung zur ‑ nur dann, wenn die Anklagebehörde dem Antrag nicht selbst statt gibt, somit zu seinen Gunsten erstellten ‑ Stellungnahme der Staatsanwaltschaft.

§ 196 Abs 1 zweiter Satz StPO (idgF) ist daher so auszulegen, dass dem Beschuldigten neben der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft jedenfalls auch der Antrag auf Fortführung zur Äußerung zuzustellen ist (idS Nordmeyer,WK‑StPO § 196 Rz 10).

Die Beschlussfassung des Landesgerichts für Strafsachen Graz über den Antrag auf Fortführung, ohne dem Beschuldigten zuvor diesen Antrag sowie die dazu ergangene Stellungnahme der Staatsanwaltschaft ‑ Letztere auch dem Rechtsschutzbeauftragten als Fortführungswerber ‑ zur Äußerung zuzustellen, verletzt daher § 196 Abs 1 zweiter Satz erster Halbsatz StPO.

Da nicht auszuschließen ist, dass die aufgezeigte Gesetzesverletzung dem Beschuldigten, soweit sie das Unterbleiben der Zustellung des Fortführungsantrags zur Äußerung an ihn betrifft, zum Nachteil gereicht, war deren Feststellung gemäß § 292 letzter Satz StPO mit konkreter Wirkung zu verknüpfen und dem Landesgericht für Strafsachen Graz die neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

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