OGH 15Os80/11w

OGH15Os80/11w29.6.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Juni 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bütler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Robert H***** wegen des Vergehens der pornografischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 2 erster und fünfter Fall StGB, AZ 24 Hv 101/09k des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 19. Mai 2010, AZ 23 Bs 153/10h, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Bauer, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Doczekal zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Verfahren AZ 24 Hv 101/09k des Landesgerichts für Strafsachen Wien verletzt Punkt 2./ des Beschlusses des Oberlandesgerichts Wien vom 19. Mai 2010, AZ 23 Bs 153/10h (ON 36), in § 489 Abs 1 StPO iVm § 467 Abs 1 und Abs 2 erster Satz StPO.

Dieser Beschluss wird in Punkt 2./ ersatzlos ebenso wie das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 17. Juni 2010, AZ 23 Bs 152/10m (ON 39) aufgehoben und es wird dem Oberlandesgericht Wien die neue Verhandlung und Entscheidung über die Berufung des Angeklagten Robert H***** aufgetragen.

Text

Gründe:

Robert H***** wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 3. November 2009, GZ 24 Hv 101/09k-18, des Vergehens der pornografischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 3 erster und fünfter Fall StGB (zu ergänzen: aF; richtig: § 207a Abs 1 Z 2 erster und fünfter Fall StGB [idF BGBl I 2009/40]) schuldig erkannt.

Nach Verkündung des Urteils und erteilter Rechtsmittelbelehrung erklärte der anwaltlich unvertretene Angeklagte, „Rechtsmittel wegen Strafberufung“ zu erheben (ON 17 S 6). Nachdem ihm gemäß § 61 Abs 2 StPO ein Verteidiger beigegeben und diesem eine Urteilsausfertigung zugestellt worden war, brachte der Angeklagte (durch einen Wahlverteidiger) innerhalb der vierwöchigen Frist zur Ausführung der Berufung einen Antrag auf Protokollberichtigung und Protokollergänzung ein, weil er die Rechtsmittelbelehrung offensichtlich nicht richtig verstanden habe bzw sein Erklärungsinhalt nicht richtig protokolliert worden sei, und führte unter einem das Rechtsmittel der Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe aus (ON 29).

Den Antrag auf Protokollberichtigung und -ergänzung wies das Erstgericht mit Beschluss vom 9. April 2010 (ON 31) mit der Begründung zurück, die Rechtsmittelerklärung sei nicht mehr Gegenstand der Hauptverhandlung und unterfalle deshalb nicht der Berichtigungsmöglichkeit des § 271 Abs 7 StPO.

Die vom Angeklagten dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht Wien in Punkt 1./ des Beschlusses vom 19. Mai 2010, AZ 23 Bs 153/10h (ON 36), als unzulässig zurückgewiesen. In Punkt 2./ dieses Beschlusses wurde die Ausführung der Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld gemäß den §§ 470 Z 1, 489 Abs 1 StPO ebenfalls zurückgewiesen.

Das Berufungsgericht führte zu Punkt 2./ im Wesentlichen aus, der Angeklagte habe zufolge des die Hauptverhandlung vom 3. November 2009 betreffenden Sitzungsberichts der staatsanwaltschaftlichen Vertreterin (ON 30) und des vom Richter im Anschluss an die Hauptverhandlung ausgefüllten Aktenvermerks (ON 19) lediglich das Rechtsmittel der Strafberufung erhoben bzw angemeldet und sich im Übrigen schuldig bekannt (…) „sowie folgerichtig um eine letzte Chance gebeten“, weshalb tatsächlich kein Anhaltspunkt für die Annahme vorliege, er habe das Urteil auch in Richtung Nichtigkeit und Schuld bekämpft (ON 36 S 1 f und S 5 f).

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, steht Punkt 2./ dieses Beschlusses mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Nach § 467 Abs 2 erster Satz StPO, der gemäß § 489 Abs 1 StPO im Rechtsmittelverfahren gegen Urteile des Landesgerichts als Einzelrichter sinngemäß anzuwenden ist, hat der Beschwerdeführer entweder bei der Anmeldung der Berufung oder in der Berufungsschrift ausdrücklich zu erklären, durch welchen Ausspruch (§ 464 StPO) er sich beschwert finde und welche Nichtigkeitsgründe (vgl § 489 Abs 1 erster Satz StPO) er geltend machen wolle, widrigenfalls auf die Berufung oder auf Nichtigkeitsgründe vom Rechtsmittelgericht keine Rücksicht zu nehmen ist.

Das Gesetz lässt dem Angeklagten also - auch nach dem insoweit keine Konsequenzen nach sich ziehenden Ersatz der Wendung „durch welche Punkte des Erkenntnisses“ durch die Wendung „durch welchen Ausspruch“ in § 467 Abs 2 StPO aufgrund BGBl I 2007/93 - die Wahl, ob er die Beschwerdepunkte schon in der Anmeldung oder erst in der Ausführung der Berufung nennen will. Demnach steht es ihm frei, sowohl die Anmeldung der Berufung fristgerecht (dh binnen drei Tagen; § 489 Abs 1 StPO iVm § 466 Abs 1 StPO) zu ergänzen als auch das Rechtsmittel in Richtung eines bei der Anmeldung nicht genannten Ausspruchs (§ 464 StPO) auszuführen. Aus der Bezeichnung (bloß) eines - zulässigen - Berufungspunkts allein darf daher ein stillschweigender Verzicht auf andere nicht abgeleitet werden. Eine Erweiterung der Beschwerdepunkte wäre nur dann unzulässig, wenn der Rechtsmittelwerber auf die Geltendmachung weiterer Berufungsgründe tatsächlich verzichtet hat (verst Senat SSt 43/9 = JBl 1972, 481; RIS-Justiz RS0100304, RS0115811; Fabrizy StPO10 § 467 Rz 1a).

Ungeachtet der bereits bei der Anmeldung in der Hauptverhandlung vorgenommenen Konkretisierung der Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe (§ 489 Abs 1 StPO iVm § 464 Z 2 StPO) stand es dem Angeklagten - der im Übrigen zum Zeitpunkt der Anmeldung der Berufung nicht durch einen Verteidiger vertreten war - daher frei, im Rahmen der Berufungsausführung auch Nichtigkeitsgründe geltend zu machen sowie den Ausspruch über die Schuld zu bekämpfen. Das Berufungsgericht hätte daher die Ausführung der Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld nicht gemäß § 489 Abs 1 StPO iVm § 470 Z 1 StPO zurückweisen dürfen, sondern hätte diese meritorisch erledigen müssen.

Da eine für den Angeklagten nachteilige Auswirkung der aufgezeigten Gesetzesverletzung nicht auszuschließen ist, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

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