OGH 15Os68/20v

OGH15Os68/20v10.8.2020

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. August 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in der Strafsache gegen Alexander R***** wegen Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 5. Februar 2020, GZ 79 Hv 135/19p‑45, nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0150OS00068.20V.0810.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Alexander R***** mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (1.) und mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 (ersichtlich gemeint: Z 2) StGB (2.) schuldig erkannt.

Danach hat er in M***** und anderen Orten in wiederholten Angriffen die am 25. Februar 2000 geborene Tochter seiner Lebensgefährtin, S***** I*****, mit seinen Fingern an der Scheide sowie an den Brüsten unterhalb der Kleidung berührt, sohin

1.) im Zeitraum 2012 bis 25. Februar 2014 außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an einer unmündigen Person vorgenommen;

2.) im Zeitraum 2012 bis Ende 2014 geschlechtliche Handlungen mit seinem „Stiefkind“, das seiner Aufsicht unterstand (US 3, 8), vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die ihr Ziel verfehlt.

Voranzustellen ist, dass Bezugspunkt der Mängelrüge (Z 5) nur entscheidende, also für die Schuld‑ oder Subsumtionsfrage relevante Tatsachenfeststellungen sein können (RIS‑Justiz RS0106268). Der Begründungsmangel der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) liegt vor, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt lässt (RIS‑Justiz RS0118316).

Indem die Rüge (Z 5 zweiter Fall) die beweiswürdigenden Erwägungen des Erstgerichts zum „Ritzen“ als „typische Verletzung von Missbrauchsopfern“ (US 5) kritisiert und eine Auseinandersetzung mit dem „von der Zeugin zugestandenen Mobbing und den innerfamiliären Problemen“ vermisst, macht sie kein Begründungsdefizit geltend, sondern kritisiert die Beweiswürdigung des Erstgerichts nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Berufung wegen Schuld.

Mit den Angaben der Zeugin S***** I***** haben sich die Tatrichter – der Kritik der Rüge zuwider (Z 5 zweiter Fall) – auseinandergesetzt (US 3 f). Zu einer darüber hinausgehenden Erörterung sämtlicher Details der Aussage, etwa ob und wann sie während der Übergriffe geschlafen habe (vgl aber US 2: „die … fernsehende bzw schlafende Unmündige ...“), war das Gericht nicht verbunden (RIS-Justiz RS0106295).

Die Annahme der Glaubwürdigkeit dieser Zeugin in Bezug auf die Richtigkeit der Anklagevorwürfe stützten die Tatrichter auf den durch die kontradiktorische Vernehmung gewonnenen Eindruck im Zusammenhalt mit den Angaben ihrer Freundinnen Angelika W*****, Bettina L***** und Michelle G*****, sie sei eine „Ehrliche“ (US 3 ff). Soweit die Rüge diese Charaktereigenschaft des Opfers unter Verweis auf eine Aktennotiz der Mag. Sandra B***** (ON 5 S 8), wonach ihr S***** I***** anvertraut habe, sie sei (in anderem Zusammenhang) zweimal unehrlich gewesen (vgl US 6 f) bezweifelt, kritisiert sie neuerlich bloß die Beweiswürdigung der Tatrichter, die im Übrigen in Betreff auf dieses Charaktermerkmal erkennbar keine notwendige Bedingung für die Feststellung einer entscheidenden Tatsache sahen (RIS-Justiz RS0116737). Gleiches gilt für den Ansatz, einzelne Passagen aus der umfangreichen kontradiktorischen Vernehmung der Zeugin (ON 14) herauszugreifen, diese eigenständig zu bewerten und daran anknüpfend die erstgerichtliche Einschätzung von der Glaubwürdigkeit des Tatopfers zu kritisieren.

Aus welchem Grund einzelne Details der Zeugenaussagen von Kerstin K***** (so etwa, dass S***** eine „sehr psychisch belastete junge Frau“ sei; ON 21 S 15) und Mag. Rene R***** (wonach S***** „deutliche Anzeichen einer Depression“ aufwies; ON 21 S 7) den getroffenen Feststellungen entgegenstehen sollten und daher erörterungsbedürftig gewesen wären, wird nicht klar.

Mit der Aussage der Mutter Anita I*****, S***** sei „immer schon ein problematisches Kind“ gewesen, haben sich die Tatrichter auseinandergesetzt (US 5). Dass die Tatrichter ihren den Angeklagten entlastenden Angaben nicht gefolgt sind, stellt den Nichtigkeitsgrund nicht dar.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) will nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS‑Justiz RS0118780).

Indem die Beschwerde die in der Mängelrüge (Z 5) vorgebrachten Argumente gegen die Glaubwürdigkeit der Zeugin S***** I***** bloß wiederholt und behauptet, die Schilderungen des Tatopfers seien für die psychologische Sachverständige nicht nachvollziehbar gewesen, gelingt es ihr nicht, solche erheblichen Bedenken beim Obersten Gerichtshof zu erwecken.

Gleiches gilt für die von der Beschwerde angestellten Spekulationen über das „typische Verhaltensmuster eines Missbrauchsopfers“ und – nicht durch den Verweis auf aktenkundige Beweismittel gestützt (vgl aber RIS-Justiz RS0124172) – über weitere (gleichgelagerte, aber in der Folge mit Einstellung erledigte) Anzeigen durch S***** I***** gegen andere Personen im Jahr 2018.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) vermisst Feststellungen dahingehend, „ob im Jahr 2014 die Brüste der Zeugin S***** I***** bereits entwickelt waren“, weil „im Falle des Betastens der noch nicht entwickelten Brüste“ nur ein Versuch vorläge (der Sache nach Z 11 zweiter Fall; vgl RIS‑Justiz RS0122137). Dabei übergeht sie aber die weiteren den Schuldspruch wegen – vollendeter – Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB jedenfalls tragenden Konstatierungen, wonach der Angeklagte S***** I***** mit den Fingern an der Scheide unterhalb der Kleidung berührte, indem er mit den Fingern zwischen ihre Schamlippen fuhr und diese im Bereich der Klitoris bewegte (US 2).

Auf die nachträgliche Ergänzung der Nichtigkeitsbeschwerde durch den Angeklagten persönlich war keine Rücksicht zu nehmen, weil die Prozessgesetze nur eine Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde vorsehen (RIS‑Justiz RS0100172).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sogleich zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus ergibt sich die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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