OGH 15Os47/12v

OGH15Os47/12v25.4.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. April 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Dr. Michel-Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Uljanov als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Zoran Z***** wegen des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB, AZ 38 Hv 182/11y des Landesgerichts Innsbruck, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom 20. Jänner 2012, GZ 38 Hv 182/11y-26, und weitere Vorgänge in diesem Verfahren erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleithner, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Strafsache gegen Zoran Z***** wegen § 105 Abs 1 StGB, AZ 38 Hv 182/11y des Landesgerichts Innsbruck, verletzen die nach rechtskräftiger Bewilligung der Wiederaufnahme ohne neuerlichen Strafantrag erfolgte Anordnung und Durchführung einer Hauptverhandlung gegen den Genannten sowie die Urteilsfällung vom 20. Jänner 2012 § 4 Abs 2 StPO und § 358 Abs 2 iVm § 490 StPO.

Das genannte Urteil, das in seinem freisprechenden Teil unberührt bleibt, wird im Schuldspruch und demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben.

Mit seiner Berufung wird Zoran Z***** auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit unangefochten in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 16. Dezember 2010, GZ 26 Hv 163/10i-9, wurde Zoran Z***** von der wider ihn mit Strafantrag vom 27. Oktober 2010 erhobenen Anklage, er habe - soweit hier von Relevanz -

am 27. September 2010 in Innsbruck Mihrali E*****

I./ mit Gewalt und teils mit gefährlicher Drohung mit dem Tod zu einer Handlung genötigt und zu nötigen versucht, und zwar

1./ zur Übergabe des geschuldeten Geldbetrags von 130 Euro, indem er ihm einen Faustschlag gegen das rechte Auge versetzte und zeitgleich äußerte „Gib mir jetzt das Geld, sonst schlage ich dich zuerst, dann lass ich dich töten“;

2./ zum Verlassen des PKW, indem er ihn mit beiden Händen am Pullover erfasste und aus dem PKW zerrte,

gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Über Antrag der Staatsanwaltschaft Innsbruck verfügte das Landesgericht Innsbruck mit in Rechtskraft erwachsenem Beschluss vom 1. September 2011 (ON 16) die Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich des Freispruchs zu I./1./ und 2./ und hob das Urteil in diesem Umfang auf.

Ohne Einbringung eines neuen Strafantrags durch die Staatsanwaltschaft ordnete der Einzelrichter des Landesgerichts Innsbruck sodann am 14. Oktober 2011 eine Hauptverhandlung an (ON 21), die am 30. November 2011 (ON 23) und 20. Jänner 2012 (ON 25) durchgeführt wurde. Dem Protokoll über die Hauptverhandlung vom 30. November 2011 ist zu entnehmen, dass die Vertreterin der Staatsanwaltschaft „auf den verbliebenen Strafantrag (Punkt I./1./ und I./2./)“ verwies (ON 23 S 3).

Mit Urteil des Einzelrichters des Landesgerichts Innsbruck vom 20. Jänner 2012 (ON 26) wurde Zoran Z***** im Sinn des im ursprünglichen Verfahren eingebrachten Strafantrags vom 27. Oktober 2010 zu I./2./ des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB schuldig erkannt, vom zu I./1./ wider ihn erhobenen Vorwurf hingegen (erneut) gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Während der Teilfreispruch unangefochten in Rechtskraft erwuchs, wurde über die gegen den Schuldspruch gerichtete Berufung des Angeklagten noch nicht entschieden.

Rechtliche Beurteilung

Das Vorgehen des Einzelrichters des Landesgerichts Innsbruck steht - wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Weil das Verfahren durch die Wiederaufnahme - von den Fällen des § 360 StPO abgesehen - in den Stand des Ermittlungsverfahrens, somit in ein Verfahrensstadium vor Erhebung der Anklage, tritt und die für das Ermittlungsverfahren und die Anklage geltenden Bestimmungen auch hier anzuwenden sind (§ 358 Abs 2 erster und dritter Satz StPO), bedarf es zur Durchführung eines Hauptverfahrens der (neuerlichen) Einbringung einer Anklage (§ 210 Abs 1 StPO). Die bloß mündliche Bezugnahme in der Hauptverhandlung auf den ursprünglichen Strafantrag reicht nicht aus (vgl RIS-Justiz RS0101069 [T3]; Lewisch, WK-StPO § 358 Rz 43 ff).

Die Anordnung und Durchführung einer Hauptverhandlung sowie die Urteilsfällung nach Bewilligung der Wiederaufnahme ohne weitere Antragstellung seitens der Staatsanwaltschaft verstößt daher gegen den Anklagegrundsatz (§ 4 Abs 2 StPO). Sie verhindert auch eine gezielte Vorbereitung des als Angeklagten behandelten Beschuldigten auf die Hauptverhandlung sowie die Effektuierung des der Wahrung seiner Interessen dienenden (Philipp, WK-StPO § 485 Rz 1) Rechts auf Prüfung des Strafantrags durch den Einzelrichter vor Anordnung der Hauptverhandlung gemäß § 485 Abs 1 Z 1 bis 3 StPO (14 Os 84/08x, 15 Os 147/09w).

Die aufgezeigte Gesetzesverletzung gereicht dem Verurteilten in Bezug auf den Schuldspruch zum Nachteil, sodass sich der Oberste Gerichtshof veranlasst sah, das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 20. Jänner 2012, das in seinem freisprechenden Teil unberührt bleibt, im Schuldspruch und demgemäß auch im Strafausspruch aufzuheben.

Eine ne-bis-in-idem-Wirkung ist mit der Aufhebung des - nicht rechtskräftigen - Schuldspruchs betreffend eine nicht angeklagte Tat nicht verbunden (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 530, 532). Eine (neuerliche) Hauptverhandlung wird nur nach Einbringung einer Anklage durch die Staatsanwaltschaft (§ 210 Abs 1 StPO) anzuordnen und durchzuführen sein. Mit Blick auf die Unterlassung einer Anfechtung des kassierten Urteils durch die Staatsanwaltschaft wäre bei einer Strafneubemessung das Verschlechterungsverbot zu beachten (Ratz, WK-StPO § 292 Rz 31; Birklbauer, WK-StPO § 16 Rz 32).

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

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