OGH 15Os36/20p

OGH15Os36/20p1.7.2020

Der Oberste Gerichtshof hat am 1. Juli 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Weinhandl als Schriftführerin in der Medienrechtssache des Antragstellers A***** L***** und andere gegen die Antragsgegnerin (nunmehr:) F***** GmbH wegen § 6 MedienG, AZ 5 Hv 28/16h des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über den Antrag des Antragstellers A***** L***** auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO nach Anhörung der Antragsgegnerin und der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0150OS00036.20P.0701.000

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 9. September 2016, GZ 5 Hv 28/16h‑15, wurden die Anträge des A***** L***** und weiterer Antragsteller abgewiesen, die Antragsgegnerin wegen des in der periodischen Druckschrift „D*****“ in der Ausgabe Februar 2016 veröffentlichten Artikels mit der Überschrift „Der größte Lump im Ganzen Land das ist und bleibt der Denunziant“ und den darin wiedergegebenen Äußerungen „Die Tatsache, dass ein nicht unerheblicher Teil der befreiten Häftlinge aus Mauthausen den Menschen zur Landplage gereichte, gilt für die Justiz als erwiesen und wird heute nur noch von KZ‑Fetischisten bestritten“ und „Raubend und plündernd, mordend und schändend plagten die Kriminellen das unter der ‚Befreiung‘ leidende Land“ gemäß § 6 Abs 1 MedienG zur Zahlung einer Entschädigung sowie gemäß § 8a Abs 6 MedienG iVm § 34 MedienG zur Urteilsveröffentlichung zu verpflichten.

Der dagegen erhobenen Berufung der Antragsteller wurde mit Urteil des Oberlandesgerichts Graz vom 21. Juli 2017, AZ 10 Bs 357/16z, nicht Folge gegeben.

Mit Urteil vom 10. Oktober 2019, 4782/18, L*****/Österreich, stellte der EGMR fest, dass durch die angeführten Urteile des Landesgerichts für Strafsachen Graz und des Oberlandesgerichts Graz der Antragsteller A***** L***** in dem in Art 8 MRK statuierten Recht auf Achtung seines Privatlebens verletzt worden sei.

Gestützt auf § 363a Abs 1 StPO begehrt der Antragsteller nunmehr die Erneuerung des Verfahrens.

Rechtliche Beurteilung

Er ist aus folgenden Erwägungen nicht antragslegitimiert:

Im selbstständigen Entschädigungsverfahren (§ 8a MedienG) hat gemäß § 41 Abs 6 MedienG der Antragsgegner (Medieninhaber) die Rechte des Angeklagten, demgemäß aber der Antragsteller die Rechte des Privatanklägers (Rami in WK2 MedienG § 8a Rz 3; Berka/Heindl/Höhne/Koukal MedienG4 § 8 Rz 6 f). Ein Recht des Privatanklägers oder des diesem gleichgestellten Antragstellers auf – stets kassatorische (§§ 363b Abs 3 erster Satz, 363c Abs 2 StPO), damit für den außer Verfolgung gesetzten Angeklagten (Antragsgegner) nachteilige – Erneuerung des Strafverfahrens nach § 363a StPO (iVm § 41 Abs 1 MedienG) entspricht nicht dem Willen des Gesetzgebers und der diesem Rechtsbehelf zugrunde liegenden legistischen Zielsetzung.

Das ergibt sich aus der Vorschrift des § 363b Abs 3 letzter Satz StPO, die für das erneuerte Verfahren die uneingeschränkte Geltung des – zwar explizit nur eine strengere Strafe, der Sache nach damit aber umso mehr auch einen Schuldspruch anstelle eines rechtskräftigen Freispruchs oder einer rechtskräftigen gerichtlichen Verfahrenseinstellung verbietenden – Verschlechterungsverbots bestimmt.

Wenngleich der Wortlaut des § 363a Abs 2 StPO zwar mit der insoweit weit gefassten Bezeichnung („der von der festgestellten Verletzung Betroffene“) Privatankläger oder Antragsteller vom Kreis der – neben der Generalprokuratur – zu einem Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens Legitimierten nicht explizit ausnimmt, ist der Begriff des „Betroffenen“ infolge des Verbots einer Schlechterstellung rechtskräftig Freigesprochener oder durch das Gericht außer Verfolgung Gesetzter in der Weise teleologisch dahin zu reduzieren, dass Privatankläger (Antragsteller nach § 8a MedienG) nicht darunter fallen (RIS‑Justiz RS0123644 beginnend mit 15 Os 41/08f; Reindl‑Krauskopf , WK‑StPO § 363a Rz 18 f).

Da somit dem Antragsteller im medienrechtlichen Verfahren ein Antragsrecht gemäß § 363a StPO nicht zukommt, war der Antrag – im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – schon bei nichtöffentlicher Beratung gemäß § 363b Abs 2 Z 2 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG zurückzuweisen.

Zur im Erneuerungsantrag enthaltenen Anregung, gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 lit a BVG „ein Gesetzesprüfungsverfahren über die §§ 363a bis c StPO beim Verfassungsgerichtshof einzuleiten“, ist auszuführen:

Auch eine an den Normen der MRK orientierte verfassungskonforme Interpretation der §§ 363a bis c StPO erfordert keine Anerkennung eines Antragsrechts des medienrechtlichen Antragstellers, denn das durch Art 13 MRK garantierte Recht auf eine wirksame Beschwerde verlangt – wie auch Art 46 Abs 1 MRK – nicht zwingend die Aufhebung der durch eine Konventionsverletzung bedingten innerstaatlichen Entscheidung, sondern lässt den Ausgleich einer Grundrechtsverletzung – etwa des Antragstellers im selbständigen Entschädigungsverfahren nach § 8a MedienG – durch anderweitige effektive Maßnahmen, etwa schadenersatzrechtliche Genugtuung im Wege der Amtshaftung, zu (15 Os 41/08f mwN; Reindl‑Krauskopf, WK‑StPO Vor §§ 363a bis c Rz 3 f; Grabenwarter/Pabel EMRK6, § 16 Rz 3 ff; Mayer‑Ladewig/Nettesheim/ von Raumer EMRK4 Art 46 Rz 4, 22, 27 f). Die – im Regelungsregime („Erneuerung des Strafverfahrens“) des § 363b Abs 2 und Abs 3 sowie § 363c Abs 2 StPO systemfremde (vgl 15 Os 41/08f) – bloße Feststellung einer Grundrechtsverletzung ist durch die Garantie des Art 13 MRK nicht geboten und würde deren Effektivitätsanforderungen ohnedies nicht genügen.

Auch das Recht auf ein faires Verfahren (Art 6 Abs 1 MRK) macht – unter dem Gesichtspunkt der „Waffengleichheit“ der Verfahrensparteien oder jenem des Rechtes auf Zugang zu Gericht – die Einräumung einer Antragslegitimation des Antragstellers (§ 8a MedienG) für Erneuerung nach § 363a StPO nicht erforderlich, verpflichtet doch Art 6 Abs 1 MRK (das Recht auf Überprüfung von Strafurteilen nach Art 2 des 7. ZPMRK steht hier nicht in Rede) nicht dazu, solch einen Rechtsbehelf vorzusehen und dafür zuständige Gerichte einzurichten (15 Os 178/15p, 15 Os 65/16x mwN). Einen Instanzenzug an den Obersten Gerichtshof im hier angesprochenen Fall eines selbstständigen Entschädigungsverfahrens (§ 8a MedienG) garantiert daher die MRK ebenso wenig wie im Übrigen Art 92 Abs 1 B‑VG (vgl RIS‑Justiz RS0044092, RS0054028, RS0121377).

Schließlich gebietet auch der Gleichheitssatz (Art 7 Abs 1 B‑VG) nicht, Antragsteller im selbständigen Entschädigungsverfahren nach § 8a MedienG zu Anträgen auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO zu legitimieren.

Nach der auf grundlegend differenzierenden Wertungen des Gesetzgebers beruhenden Bestimmung des § 41 Abs 6 MedienG hat im selbständigen Entschädigungsverfahren der Antragsgegner (Medieninhaber) die Rechte des Angeklagten, demgemäß aber der Antragsteller die Rechte des Privatanklägers (vgl RIS‑Justiz RS0123643). Daraus folgt, dass die in der StPO fundamental angelegte Privilegierung der Stellung des Angeklagten gegenüber dem Ankläger auf das Verhältnis des Antragsgegners zum Antragsteller durchschlägt. Zu nennen sind hier etwa die Unschuldsvermutung (§ 8 StPO, Art 6 Abs 2 MRK), der Zweifelsgrundsatz (§ 14 zweiter Halbsatz StPO), das Verschlechterungsverbot (§ 16 StPO), ferner amtswegige Wahrnehmung (§ 290 Abs 1 StPO), Zuerkennung konkreter Wirkung (§ 292 letzter Satz StPO), außerordentliche Wiederaufnahme (§ 362 StPO) und Tatsachenrüge (§§ 281 Abs 2, 345 Abs 4 StPO) nur zugunsten des Angeklagten (Verurteilten) sowie, außerhalb der StPO, das Recht des Verurteilten auf Überprüfung von Strafurteilen nach Art 2 des 7. ZPMRK. Der Gleichheitssatz verbietet dem Gesetzgeber nur, Gleiches ungleich zu behandeln (vgl etwa VfSlg 8457). Demgemäß folgt aus der dargestellten, der StPO immanenten strukturellen Ungleichheit der prozessrechtlichen Stellung von Ankläger und Angeklagtem, dass der Gleichheitssatz nicht gebietet, diesen – hier (§ 41 Abs 6 MedienG) Antragsteller und Antragsgegner im selbständigen Entschädigungsverfahren – stets dieselben Verfahrensrechte einzuräumen.

Ein Gebot, auch Antragsteller im selbständigen Entschädigungsverfahren nach § 8a MedienG zu Anträgen auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO zu legitimieren, ist aus Art 7 Abs 1 B‑VG daher nicht abzuleiten. Der Gleichheitssatz garantiert hier vielmehr nur, eine Konventionsverletzung überhaupt geltend machen zu können, nicht aber die – für Antragsteller und Antragsgegner identische – konkrete Art der Durchsetzung dieses Rechts. Ersteres ist aber jedenfalls gewährleistet, weil die Geltendmachung einer – hier vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellten – Konventionsverletzung im Gefüge des innerstaatlichen Rechtsschutzsystems mit der Nichteinräumung einer Antragslegitimation gemäß § 363a StPO keineswegs generell ausgeschlossen, sondern durch anderweitige effektive Remedien (s zu Art 13 MRK oben) ermöglicht wird.

Weshalb das – hier wahrgenommene – Recht auf Individualbeschwerde (Art 34 MRK) oder gar Art 82 Abs 2 B‑VG durch die Nichteinräumung einer Antragslegitimation gemäß § 363a StPO berührt sein sollte, ist nicht einsichtig.

Insgesamt sah sich der Oberste Gerichtshof daher zu einer amtswegigen Normanfechtung (Art 89 Abs 2 B‑VG) nicht veranlasst.

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