OGH 15Os35/23w

OGH15Os35/23w24.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Mai 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz, Dr. Mann und Dr. Sadoghi als weitere Richter in Gegenwart des Mag. Wunsch als Schriftführer in der Strafsache gegen A* R* wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 6. Dezember 2022, GZ 22 Hv 42/22z‑27, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0150OS00035.23W.0524.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Sexualdelikte

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde A* R* eines Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB idgF und zweier Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 2013/116 (II./) sowie eines Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 „und Abs 2“ StGB (I./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er im Zeitraum von 1. Juni 2009 bis 8. März 2022 in T*

I./ gegen seine Ehefrau M* R* durch fortdauernde körperliche Misshandlungen und Körperverletzungen sowie andere strafbare Handlungen gegen die Freiheit mit Ausnahme der strafbaren Handlungen nach §§ 107a, 108 und 110 eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er

1./ sie im Zeitraum von 1. Juni 2009 bis 7. März 2022 durchschnittlich ein Mal pro Monat an den Haaren zog, wobei dies bei einer Gelegenheit so heftig erfolgte, dass er ihr ein Haarbüschel ausriss, ihr Schläge mit der flachen Hand und/oder der Faust sowie bei mehreren Gelegenheiten zudem Fußtritte versetzte, wodurch sie des Öfteren das Gleichgewicht verlor und zu Boden fiel und durch die Übergriffe insgesamt wiederholt in Form von Hämatomen und/oder länger dauernden Schmerzen am Körper verletzt wurde;

2./ sie in den Jahren 2010 bis 2012 auf den Boden warf, ihr Faustschläge versetzte und auf ihre Rippengegend eintrat, wodurch sie in Form von Hämatomen im Bereich der Rippen verletzt wurde;

3./ ihr am 8. März 2022 Faustschläge auf den linken Oberarm, auf den linken Oberschenkel und auf den Kopf versetzte, wodurch sie Prellungen am Kopf, an der Wirbelsäule, der linken Schulter und des linken Oberschenkels erlitt;

4./ sie gefährlich überwiegend mit der Zufügung einer Körperverletzung (a./), zum Teil aber auch mit dem Tod (b./) und einer erheblichen Verunstaltung (c./) bedrohte, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, und zwar

a./ im Zeitraum von zumindest 2011 bis 7. März 2022, indem er ihr gegenüber wiederholt, und zwar bei zumindest vier Gelegenheiten, sinngemäß äußerte, dass er sie zerstückeln und im Wald verscharren sowie sie erwürgen und ihr das Leben „rausnehmen“ werde;

b./ einige Tage nach der unter I./2./ angeführten Tat dadurch, dass er ein Messer aus der Küche holte und ihr vorhielt;

c./ im Anschluss an die zu I./3./ angeführte strafbare Handlung dadurch, dass er ein ca 20 cm langes Messer nahm und sinngemäß äußerte, dass er ihr mit diesem Messer die Augen herausnehmen werde;

II./ zwischen 2016 und 8. März 2022 seine Ehefrau M* R* in zumindest drei Angriffen (zweimal zwischen 2016 und 2019 sowie einmal 2021/22) mit Gewalt, indem er sie an den Oberarmen festhielt und bei zumindest einer Gelegenheit zudem ihre Beine auseinander drückte, trotz ihrer Gegenwehr zur Duldung des Vaginalverkehrs genötigt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit b StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die ihr Ziel verfehlt.

[4] Dem Einwand der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zuwider wurden zu II./ Angaben des Angeklagten, seiner Ehefrau und seines Sohnes zu in der afghanischenHeimat verwurzelten Ansichten des Angeklagten und seiner Ehefrau zum Geschlechtsverkehr unter Eheleuten keineswegs übergangen (US 7 ff, 11 ff, 15).

[5] Die Rechtsrüge (Z 9 lit b) behauptet, der 1965 in Afghanistan geborene, dort ohne Schulbildung aufgewachsene, seit 2001 in Österreich aufhältige und hier – nicht zuletzt wegen des Fehlens einer geregelten Arbeit und von Deutschkenntnissen – schlecht integrierte Angeklagte (US 3 f) sei einem nicht vorwerfbaren Rechtsirrtum (§ 9 StGB) über die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe (II./) unterlegen. Sie lässt aber nicht erkennen (RIS‑Justiz RS0116569, RS0116565), aus welchem Grund der erwachsene Angeklagte selbst nach seinen individuellen Verhältnissen bei einem derart langen Aufenthalt in Österreich nicht verpflichtet gewesen sein sollte, sich mit den einschlägigen Vorschriften im Kernbereich des Strafrechts, insbesondere betreffend den geschlechtlichen Umgang mit anderen, bekannt zu machen, und weshalb ihm ein Verharren in jenen Verhältnissen, die ihm die Teilnahme am in Österreich vorherrschenden allgemeinen Rechtsbewusstsein (etwa betreffend ein Gewaltverbot [auch] in der Ehe) verwehrt haben könnten, nicht zum Vorwurf gemacht werden sollte (§ 9 Abs 2 StGB; vgl RIS-Justiz RS0089776; vgl Leukauf/Steininger/Öner/Schütz in StGB4 § 9 Rz 8, 10; Fabrizy/Michel-Kwapinski/Oshidari StGB14 § 9 Rz 7, 9).

[6] Das zu II./ einen Feststellungsmangel (Z 9 lit b) zu den subjektiven Vorstellungen des Angeklagten „über die Erlaubtheit seiner Tathandlungen während aufrechter Ehe“ reklamierende Vorbringen kann somit dahinstehen.

[7] Aus welchem Grund es zu II./ für die rechtsrichtige Beurteilung der Frage nach dem Schuldausschließungsgrund des § 9 StGB auch Feststellungen betreffend die „subjektiven Vorstellungen des Angeklagten … über die Vorwerfbarkeit des Verbotsirrtums“ bedurft hätte, macht die Beschwerde nicht klar (erneut: RIS-Justiz RS0116569, RS0116565).

[8] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

[9] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte