OGH 15Os31/13t

OGH15Os31/13t24.4.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. April 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Dr. Michel‑Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Viktorin als Schriftführer in der Strafsache gegen Ewald T* wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB, AZ 27 Hv 88/10t des Landesgerichts Innsbruck, über den Antrag des Ewald T* auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:E103909

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

Ewald T* wurde mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 14. Oktober 2010, GZ 27 Hv 88/10t‑145, des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

Dagegen meldete der Angeklagte Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an. Über seinen Antrag wurde dem Rechtsmittelwerber die Frist zur Ausführung des Rechtsmittels jeweils mit Beschluss des Erstgerichts zwei Mal verlängert. Mit Beschluss vom 20. November 2012, AZ 14 Os 43/12y, wies der Oberste Gerichtshof die innerhalb der zweiten Verlängerungsfrist eingebrachte Nichtigkeitsbeschwerde unter Hinweis auf 15 Os 176/11p, 67/12k, wonach die Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde nur einmal verlängert werden kann, als verspätet ausgeführt zurück.

Den daraufhin gestellten Antrag des Ewald T* auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde wies der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 5. März 2013, AZ 14 Os 17/13a zurück, weil in der dem Verteidiger des Angeklagten zugestellten Stellungnahme der Generalprokuratur zum Verfahren 14 Os 43/12y, ausdrücklich auf die seit 13. Juni 2012 im Rechtsinformationssystem des Bundeskanzleramts allgemein zugängliche Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 1. Juni 2012, AZ 15 Os 176/11p, 67/12k, hingewiesen worden war. Dem Vorbringen des Angeklagten, die Fristversäumung sei auf die Gewährung einer zweiten Fristverlängerung durch das Erstgericht zurückzuführen, auf deren Bestand er vertrauen durfte, die Stellungnahme der Generalprokuratur, die dem Gebot eines fairen Verfahrens zuwider die Unzulässigkeit einer mehrmaligen Fristverlängerung nicht deutlich erkennen habe lassen, sowie das Judikat des Obersten Gerichtshofs, auf das die Generalprokuratur hingewiesen hatte, habe ihn nicht überzeugt und er sei der Auffassung gewesen, der zweite Verlängerungsbeschluss würde bis zu dessen „Behebung“ rechtliche Wirkung entfalten, entgegnete der Oberste Gerichtshof mit dem Hinweis darauf, dass bei gebotener Sorgfalt dem Verteidiger im vorliegenden Fall aufgrund des Hinweises der Generalprokuratur erkennbar gewesen sei, dass eine Fristversäumung in Rede stand. Er wäre daher gehalten gewesen, nicht bloß eine Äußerung zur Stellungnahme der Generalprokuratur, sondern vor allem binnen 14 Tagen ab deren Zustellung einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Fristversäumung einzubringen.

Unter einem (mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) brachte der Beschwerdeführer eventualiter einen Antrag gemäß § 363a StPO gegen die Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde durch den Obersten Gerichtshof am 20. November 2012, AZ 14 Os 43/12y, mit der im Wesentlichen gleichen Begründung wie im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ein. Er habe aufgrund der mehrfachen Verlängerung der Ausführungsfrist durch das Landesgericht auf die Rechtzeitigkeit vertrauen dürfen. Dieser Vertrauensschutz sei durch die Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde in eklatanter Weise missachtet worden. Durch die restriktive Handhabung des Rechtsbehelfs der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, insbesondere durch überhöhte Sorgfaltsanforderungen bei rechtzeitiger Geltendmachung dieses Rechtsbehelfs, werde kein ausreichender Grundrechtsschutz im Sinne des Art 6 MRK gewährt.

Rechtliche Beurteilung

Dem Antrag kommt keine Berechtigung zu:

Die gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 und 2 MRK gelten sinngemäß auch für Anträge gemäß § 363a StPO ohne vorherige Anrufung des EGMR. Dies hat zur Folge, dass nach einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs dessen unmittelbarer Anrufung mittels Erneuerungsantrags die Zulässigkeitsbeschränkung des Art 35 Abs 2 lit b erster Fall MRK entgegensteht, weil der Antrag solcherart „im Wesentlichen“ mit dem schon vorher vom Obersten Gerichtshof geprüften Rechtsbehelf des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 364 StPO) übereinstimmt (RIS‑Justiz RS0122737).

Jedoch auch unter Annahme der Zulässigkeit der Anrufung des Obersten Gerichtshofs liegt eine Verletzung des fair trial im Sinn des Art 6 MRK nicht vor:

Der durch einen Wahlverteidiger vertretene Beschwerdeführer wurde durch die Zustellung der Stellungnahme der Generalprokuratur unter Hinweis auf die die Unwirksamkeit wiederholter Fristverlängerung zur Ausführung eines Rechtsmittels aussprechende Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (auch) auf die Möglichkeit eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hingewiesen, sodass von der behaupteten Missachtung des Vertrauensschutzes keine Rede sein kann. Dass dieser Hinweis dem Verteidiger nicht ausgereicht hat bzw er dem Hinweis auf diese Entscheidung nicht gefolgt ist, stellt ein Versäumnis dar, das in die Sphäre des Wahlverteidigers fällt. Eine Gewährleistungspflicht des Staats für Fehler der Verteidigung lehnt der EGMR bei Wahlverteidigern aber ab (Grabenwarter/Pabel EMRK5 § 24 Rz 114).

Der Erneuerungsantrag war daher zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO).

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