OGH 15Os30/18b

OGH15Os30/18b12.4.2018

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. April 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Albu als Schriftführer in der Strafsache der Privatankläger Christian L*****, Mariana F***** und Dr. Gerda M***** gegen Hans S***** wegen der Vergehen der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 StGB, AZ 92 Hv 54/14f des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag des Verurteilten Hans S***** auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0150OS00030.18B.0412.000

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 18. März 2016, GZ 92 Hv 54/14f‑49, wurde Hans S***** (im zweiten Rechtsgang) der Vergehen der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt. Seiner dagegen erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gab das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht am 17. August 2017, AZ 23 Bs 265/16p, lediglich im zuletzt genannten Berufungspunkt Folge und reduzierte die Geldstrafe. Diese Entscheidung wurde dem Erneuerungswerber am 28. August 2017 zugestellt (zur Zustellung vgl § 89d Abs 2 GOG; zum Lauf der Frist von sechs Monaten siehe RIS‑Justiz RS0129655).

Rechtliche Beurteilung

Der (rechtzeitig am 26. Februar 2018) gestellte (RIS‑Justiz RS0128394) Antrag auf Erneuerung des Privatanklageverfahrens gemäß § 363a StPO per analogiam (RIS‑Justiz RS0122228) macht zunächst eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren nach Art 6 MRK geltend, weil das Erstgericht die in der Hauptverhandlung gestellten (im Erneuerungsantrag wiedergegebenen) Beweisanträge des Angeklagten zu Unrecht abgewiesen und das Berufungsgericht dieses Vorgehen bestätigt habe.

Soweit er sich dabei gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 18. März 2016 richtet, die Beweiswürdigung sowie (nahezu wörtlich wie in der Berufungsausführung [ON 51]) die Begründung des Erstgerichts für die Antragsabweisungen in der Hauptverhandlung kritisiert und behauptet, dem Erneuerungswerber sei dadurch die Gelegenheit verwehrt worden, sich ausreichend zu verteidigen und seine Unschuld unter Beweis zu stellen, ist er unzulässig, weil die Entscheidung des Erstgerichts mit Berufung angefochten werden konnte (und wurde), somit nicht Gegenstand eines– nicht auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützten – Erneuerungsantrags ist (vgl Art 35 Abs 1 MRK; RIS-Justiz

RS0122737, RS0124739 [T4]).

In Bezug auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts stützt sich der Erneuerungsantrag wiederum auf die (bloße) Behauptung, das Berufungsgericht habe die Ablehnung der Beweisaufnahme „in letzter Instanz für sämtliche Beweisanträge bestätigt“, wobei die Begründung für die Antragsabweisungen „gebetsmühlenartig in diversen Formulierungsvarianten für jeden einzelnen Beweisantrag wiederholt“ worden sei.

Wie der Erneuerungswerber selbst ausführt, orientiert sich der Oberste Gerichtshof an der ständigen Rechtsprechung des EGMR, wonach Art 6 MRK weder die Frage der Zulässigkeit von Beweisen noch die Würdigung derselben regelt, dies vielmehr grundsätzlich den Verfahrensgesetzen sowie den in der Sache selbst entscheidenden Gerichten vorbehalten bleibt. Demgemäß ist es – im Rahmen eines ohne vorherige Befassung des EGMR gestellten Antrags auf Erneuerung des Strafverfahrens – nicht Aufgabe des Höchstgerichts, seine Ansicht bezüglich der Relevanz jedes einzelnen Beweisantrags zum Ausdruck zu bringen. Es beurteilt bei der gegenständlichen Behauptung, dem Erneuerungswerber sei die Präsentation von seiner Entlastung dienenden Beweisen verweigert worden, vielmehr nur, ob die Beweisaufnahme insgesamt in einer Weise vorgenommen wurde, die das Strafverfahren unfair erscheinen lässt (vgl RIS‑Justiz RS0120958,

RS0105692; Grabenwarter/Pabel , EMRK 6 § 24 Rz 66 und 69; EGMR 4. 4. 2013, 30465/06, C.B./Österreich = NL 2013, 119).

Voraussetzung für diese Prüfung ist jedoch nicht nur, dass der Erneuerungsantrag substantiiert und schlüssig darlegt, worin eine – vom angerufenen Obersten Gerichtshof sodann selbst zu beurteilende – Grundrechtsverletzung im Sinn des § 363a Abs 1 StPO zu erblicken sei, sondern auch, dass er sich dabei mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinandersetzt (RIS-Justiz

RS0124359). Letzteres vernachlässigt der Antrag, hat doch das Oberlandesgericht ausführlich und verständlich sowie für jeden einzelnen Beweisantrag gesondert begründet, warum das Erstgericht die vom Erneuerungswerber begehrten Beweisaufnahmen ohne Verletzung von Verteidigungsrechten ablehnen durfte (ON 68 S 5 bis 15) und warum es sich nicht veranlasst sah, die im Berufungsverfahren beantragten Beweise aufzunehmen (ON 68 S 20 ff). Durch die pauschale Behauptung, dem Erneuerungswerber wäre die Gelegenheit verwehrt worden, „sich ausreichend zu verteidigen und seine Unschuld unter Beweis zu stellen“, wird nicht dargelegt, dass das Berufungsgericht die Klärung einer für die gegenständliche Verurteilung erheblichen Frage verweigert hätte oder der Angeklagte – unter dem ebenfalls angesprochenen Aspekt der Waffengleichheit im Strafverfahren – bei der Stellung von Beweisanträgen in einer im Vergleich zu den Privatanklägern ungünstigeren Position gewesen wäre.

Bleibt anzumerken, dass das Oberlandesgericht bei der Prüfung der in der Berufung relevierten Antragsabweisungen unter dem Aspekt des § 111 Abs 3 StGB den in der Mehrzahl der Beweisanträge angesprochenen Fragen eines faktischen Heizkostenanstiegs und einer Schädigung der Substanz des streitgegenständlichen Hauses durch übermäßig langes Lüften zu Recht Relevanz abgesprochen und bei sämtlichen Anträgen dem Konnex zur Schuldfrage besonderes Augenmerk geschenkt hat (ON 68 S 6 ff). Denn Beurteilungsmaßstab der angebotenen Beweise war deren Eignung, entweder den Nachweis der Wahrheit der gegenständlichen Behauptungen (inhaltlich im Wesentlichen vorsätzlich schädigende Verhaltensweisen und bewusste sowie gezielte Verbreitung „verleumderischer Lügengeschichten“ zur Unterstützung rechtswidrigen Vorgehens durch die Privatankläger) zu erbringen oder nachzuweisen, dass der Angeklagte im Zeitpunkt der Äußerungen an deren Richtigkeit geglaubt hat und objektiv Umstände vorlagen, aus denen sich für ihn hinreichende Gründe ergeben haben, die Behauptungen für wahr zu halten (§ 111 Abs 3 StGB). Hinzuweisen ist schließlich auch darauf, dass § 55 Abs 2 (iVm § 238 Abs 1) StPO für die Beteiligten des Hauptverfahrens (§ 220 StPO) gleichermaßen gilt. Dem Erneuerungswerber wurde somit nicht generell die Möglichkeit zur Erstattung von eigenem, seiner Verteidigung dienendem Vorbringen oder die Durchsetzung der Aufnahme von für das gegenständliche Strafverfahren relevanten Beweisen genommen, sondern die Beweisaufnahme wurde nach Maßgabe der StPO auf verfahrensrelevante Themen konzentriert.

In Bezug auf die Behauptung einer Verletzung des Art 10 MRK durch Verurteilung des Erneuerungswerbers zu einer Geldstrafe, „obwohl der Tatbestand des § 111 Abs 1 StGB entgegen den Urteilen der ersten und zweiten Instanz nicht erfüllt ist“, erweist sich der Antrag mangels (horizontaler) Erschöpfung des Rechtswegs als unzulässig, weil die geltend gemachte Konventionsverletzung im

Instanzenzug (auch der Sache nach) nicht vorgebracht wurde.

Angemerkt sei, dass die gegenständliche Verurteilung zwar einen Eingriff in das Recht des Erneuerungswerbers auf Meinungsäußerungsfreiheit darstellt, dieser aber dem Schutz des guten Rufs und der Rechte anderer diente und in einer demokratischen Gesellschaft

notwendig war. Unter Berücksichtigung der Schwere des Eingriffs in Art 8 MRK war er auch verhältnismäßig, denn der Antragsteller wurde nicht zu einer (alternativ möglichen) Freiheitsstrafe, sondern nur zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen (zu jeweils 45 Euro) verurteilt, womit das Berufungsgericht lediglich ein Viertel des zur Verfügung stehenden Rahmens (von 360 Tagessätzen) ausgeschöpft hat.

Der Erneuerungsantrag war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung teils als unzulässig, teils als offenbar unbegründet zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 2 und 3 StPO).

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