OGH 15Os30/06k

OGH15Os30/06k18.5.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Mai 2006 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Danek, Hon. Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Solé und Mag. Lendl als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Hennrich als Schriftführerin, in der Maßnahmensache wegen Unterbringung der Christine G***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB (§ 75 StGB) über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Betroffenen gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Graz vom 21. Dezember 2005, GZ 22 Hv 165/05i-55, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil einschließlich des diesem zugrunde liegenden Wahrspruchs der Geschworenen aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Geschworenengericht beim Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Christine G***** - abweichend vom vorliegenden Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß § 429 Abs 1 StPO auf Unterbringung der Genannten in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB - der Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt.

Danach hat sie am 28. Juli 2005 in Graz

  1. 1. ihren am 17. Juli 1991 geborenen Sohn Andreas G***** sowie
  2. 2. ihren am 28. Oktober 1987 geborenen Sohn Matthias G***** durch jeweils zumindest fünf wuchtige Schläge mit einer ca. 3,5 kg schweren und ca. 80 cm langen Spaltaxt vorsätzlich getötet. Die Geschworenen hatten die beiden Hauptfragen jeweils in Richtung § 75 StGB bejaht und die beiden Zusatzfragen nach § 432 erster Satz StPO, ob Christine G***** die Taten unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB) begangen habe, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhte (psychotische Depression), indem sie wegen einer Geisteskrankheit, wegen Schwachsinns, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen einer anderen schweren, einem dieser Zustände gleichwertigen seelischen Störung unfähig war, das Unrecht ihrer Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, verneint.

Rechtliche Beurteilung

Gegen das Urteil richtet sich die nominell auf § 345 Abs 1 Z 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 10a, 11 lit a, 12 und 13 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Christine G*****; sie ist im Recht. Zutreffend zeigt die Tatsachenrüge (Z 10a) aktenkundige Umstände auf, die erhebliche Bedenken des Obersten Gerichtshofs gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten - zur Annahme der Zurechnungsfähigkeit der Betroffenen führenden - entscheidenden Tatsachen begründen.

Denn die Geschworenen haben durch die Verneinung der beiden Zusatzfragen die - in der Niederschrift übrigens lediglich mit den Schlagworten „Beweisaufnahme" und „Gutachten" begründeten - Feststellungen getroffen, dass Christine G***** im Zeitpunkt der Tötungshandlungen nicht nur imstande gewesen sei, das Unrecht ihrer Taten einzusehen, sondern auch dazu, nach dieser Einsicht zu handeln (Dispositionsfähigkeit), wiewohl der beigezogene psychiatrische Sachverständige Dr. H***** in sich widerspruchsfrei zum gegenteiligen Ergebnis gekommen ist (S 365 ff/I, 152 ff/II, insb S 165 ff/II auf Befragen durch den Anklagevertreter), und auch keine anderen Verfahrensergebnisse ersichtlich sind, die diese Annahme der Laienrichter stützen. Damit haben jene aber das ihnen nach § 258 Abs 2 zweiter Satz StPO gesetzlich zustehende Beweiswürdigungsermessen in geradezu unerträglicher Weise gebraucht (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 470, 490), sodass Urteilsnichtigkeit nach § 345 Abs 1 Z 10a StPO gegeben ist und der Wahrspruch und das darauf beruhende Urteil schon aus diesem Grund aufzuheben waren.

Zudem ist auch die Instruktionsrüge (Z 8) im Recht, weil die Vorsitzende den Geschworenen tatsächlich eine unrichtige Rechtsbelehrung erteilt hat. Denn in dieser sind die Folgen der Bejahung oder Verneinung der beiden Zusatzfragen (§ 321 Abs 2 letzter Satzteil StPO) zweifach falsch dargestellt: Eine Bejahung der Zusatzfragen hätte gegenständlich weder einen Freispruch (Rechtsbelehrung, S 4 oben) noch eine zu verhängende Strafe (S 16 letzter Absatz) zur Folge gehabt, vielmehr zur gemeinsamen Entscheidung von Schwurgerichtshof und Geschworenen über die Unterbringung nach § 21 Abs 1 StGB geführt (§ 432 StPO). Das angefochtene Urteil war somit bei nichtöffentlicher Beratung aufzuheben und die Sache an das Geschworenengericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung zu verweisen (§§ 285e, 344 StPO).

Im Übrigen wird zur Nichtigkeitsbeschwerde bemerkt:

Ein allfälliger Verstoß gegen § 252 Abs 3 StPO steht nicht unter Nichtigkeitssanktion nach § 345 Abs 1 Z 4 StPO.

Gemäß § 434 Abs 2 StPO steht der Antrag auf Unterbringung in einer Anstalt nach § 21 Abs 1 StGB einer Anklageschrift gleich. Der Anklagevertreter ist demgemäß berechtigt, in einem nach § 429 ff StPO geführten Verfahren im Schlussantrag die Verneinung der Zusatzfragen und die Verhängung einer Strafe zu begehren, worin kein „Anklagerücktritt" begründet liegt. Ein solcher wäre nach Verlesung der Fragen an die Geschworenen überdies prozessual unwirksam (Schindler, WK-StPO § 310 Rz 2 und 3).

Eine Verfahrensrüge nach Z 5 setzt voraus, dass der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung einen Antrag gestellt hat, über den abschlägig oder gar nicht entschieden worden ist.

Das erfolgreiche Geltendmachen einer Fragenrüge (Z 6) hat zur Voraussetzung, dass Verfahrensergebnisse deutlich und bestimmt bezeichnet werden, die nach Ansicht der Beschwerde die Stellung einer (hier: Eventual)-Frage (nach Totschlag) indiziert hätten. Dem wird ein Verweis auf die Strafzumessungsgründe des angefochtenen Urteils - aus denen sich nach Ansicht der Beschwerde „unzweifelhaft" eine heftige Gemütsbewegung ableiten ließe - nicht gerecht. Bloße Parteienvertretervorbringen (zB in Anträgen oder Plädoyers) wiederum sind ebenfalls keine in der Hauptverhandlung vorgebrachten Tatsachen iSd §§ 313 f StPO (vgl Schindler, WK-StPO § 313 Rz 9; Danek, WK-StPO § 255 Rz 26).

Ein Verstoß gegen das Anhörungsgebot des § 314 Abs 2 letzter Satzteil StPO liegt nicht vor, wenn - wie hier - gar keine Eventualfrage nach einer unter ein strengeres Strafgesetz fallenden Tat gestellt worden ist.

Wenngleich die Worte „ist schuldig" in einer Hauptfrage aufgrund eines Unterbringungsantrags gemäß § 429 Abs 1 StPO zu entfallen haben (vgl Medigovic, WK-StPO § 430 Rz 2), liegt in der Aufnahme dieser Worte in die Frage kein nach Z 7 anfechtbarer Verstoß gegen § 267 StPO begründet, steht doch mit dieser Abweichung vom Antrag keine andere Tat in Rede.

Die in Richtung Undeutlichkeit, Unvollständigkeit und innerer Widerspruch zu prüfende Antwort der Geschworenen iSd Z 9 ist der - stimmeneinhellig oder mit Stimmenmehrheit zustande gekommene (§ 331 Abs 1 StPO) - Wahrspruch, nicht aber (auch) die „dissenting opinion" überstimmter Laienrichter. Ein Widerspruch zwischen Wahrspruch und Niederschrift ist aus Z 9 nicht relevierbar (vgl Fabrizy, StPO9 § 345 Rz 16).

Ein Widerspruch zwischen Wahrspruch und Niederschrift ohne Verbesserungsauftrag des Schwurgerichtshofs steht auch nicht unter Nichtigkeitssanktion nach Z 10 (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 69). Das Unterlassen eines Verbesserungsauftrags ist nur dann bekämpfbar, wenn es ungeachtet der Behauptung zumindest eines der Geschworenen erfolgte, bei der Abstimmung sei ein Missverständnis unterlaufen. Die gesetzmäßige Ausführung einer Rechts- (Z 11 lit a und b) oder Subsumtionsrüge (Z 12) setzt das Festhalten am Inhalt des Wahrspruchs voraus. Dies ist nicht der Fall, wenn die Beschwerde einen Irrtum der Geschworenen behauptet oder die Nichtbeantwortung einer gar nicht gestellten Frage kritisiert. Behauptete Feststellungsmängel (dazu Ratz, WK-StPO § 281 Rz 611) - hier in Richtung eines die Tat nach § 76 StGB privilegierenden Sachverhalts -, die im schöffengerichtlichen Verfahren Gegenstand der Rechts- und Subsumtionsrüge sind, können im Geschworenenverfahren nicht aus Z 11 oder 12, sondern nur im Wege der Z 6 und Z 9 geltend gemacht werden (WK-StPO § 281 Rz 614).

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