OGH 15Os25/14m

OGH15Os25/14m19.3.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. März 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Dr. Michel‑Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pichler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Harald K***** und weitere Beschuldigte wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 8 HR 34/10d des Landesgerichts Klagenfurt, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 24. Mai 2012, AZ 8 Bs 158/12i, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Leitner, und des Verteidigers Mag. Kregcjk zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0150OS00025.14M.0319.000

 

Spruch:

 

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 24. Mai 2012, AZ 8 Bs 158/12i, verletzt durch die Zurückweisung des Antrags der Staatsanwaltschaft auf Bewilligung der Anordnung der Auskunft über Bankkonten und Bankgeschäfte § 101 Abs 3 iVm § 105 Abs 1 und Abs 2 StPO.

 

Gründe:

In der Strafsache gegen Harald K***** und weitere Beschuldigte wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 8 HR 34/10d des Landesgerichts Klagenfurt, beantragte die Staatsanwaltschaft am 20. Februar 2012 die Bewilligung einer Anordnung der Auskunftserteilung über Bankkonten und Bankgeschäfte (ON 430). Darin begehrte sie der Ra***** gegenüber anzuordnen ‑ zusammengefasst und soweit hier von Relevanz ‑ in Ansehung des Zeitraums vom 31. Dezember 2004 bis 31. Dezember 2008 „gemäß §§ 109 Z 3 lit a und b, 116 Abs 1 und Abs 2 Z 1 und Z 3 StPO“ bekanntzugeben, ob die A***** AG (FN *****) und/oder die A***** Gruppe AG (vormals A***** M***** AG, FN *****) beim adressierten Bankinstitut über die Wertpapierdepots mit den Nummern ***** (A***** AG), ***** (A***** AG), ***** (A***** M***** AG = A***** Gruppe AG) und ***** (A***** Gruppe AG) hinaus über weitere Wertpapierdepots verfügte (II./1./), und begehrte in Ansehung sämtlicher der erwähnten (also sowohl der konkret angeführten als auch der mit Hilfe der vorliegenden Maßnahme erst zu ermittelnden) Wertpapierdepots weiters die Herausgabe der Depotauszüge zu jedem Quartalsende (I./ und II./1./) sowie die Erteilung von Auskünften über konkret angeführte Abrechnungsdetails je Transaktion (II./2./).

Zur Begründung führte die Staatsanwaltschaft Klagenfurt ‑ zusammengefasst ‑ aus, dass die Beschuldigten nach den Ermittlungsergebnissen konkret verdächtig seien, insbesondere im Jahr 2008 und in davor liegenden Zeiträumen der seit 2005 dauernden Geschäftsverbindung zwischen A***** und R***** als Mit- bzw Beitragstäter Wertpapier- und korrespondierende Finanztransaktionen zum Nachteil der A***** Gruppe AG sowie der A***** AG durchgeführt, daraus einen ungerechtfertigten Vermögensvorteil erlangt und die genannten Gesellschaften erheblich am Vermögen geschädigt zu haben. Dabei habe Harald K***** als unmittelbarer Täter seine ihm als Prokurist der A***** AG (und faktisch auch hinsichtlich der A***** Gruppe AG) eingeräumte Befugnis, im Rahmen der operativen Durchführung von Wertpapiergeschäften über Teile des Gesellschaftsvermögens zu verfügen, durch Vornahme wirtschaftlich nachteiliger Transaktionen wissentlich missbraucht und den genannten Gesellschaften „bzw deren wirtschaftlich Berechtigten und Anlegern“ vorsätzlich einen 50.000 Euro bei weitem übersteigenden Schaden von mehreren Millionen Euro zugefügt, wobei Mag. (FH) Mirko L*****, Rene Ri*****, Stephan Z*****, Oliver E***** und Mag. Christian B***** ihn schlechtgläubig unterstützt hätten. Aus (konkret angeführten) Chatprotokollen, den Ausführungen des seinerzeitigen Sachverständigen Dr. Fritz Kl***** in ON 40 bis 42 sowie der Sachverhaltsdarstellung ON 322 in ON 5 leite sich überdies der begründete Verdacht ab, dass Harald K*****, Mag. (FH) Mirko L*****, Rene Ri***** und Stephan Z***** daraus unzulässige persönliche Gewinne lukriert hätten. Es bestehe daher der Verdacht des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB. Die Anordnung sei zur Aufklärung dieser in die Zuständigkeit des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht fallender Verbrechen erforderlich und stehe in Anbetracht der Höhe des mutmaßlich verursachten Schadens zum Nachteil der A*****‑Unternehmensgruppe nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache. Da die Auskünfte ausschließlich von der seinerzeit depot- bzw kontoführenden Bank erteilt werden könnten, sei die Maßnahme auch nicht substituierbar. Den Zeitraum begründete die Staatsanwaltschaft Klagenfurt mit dem Bestehen der Geschäftsverbindung zwischen R***** und A***** seit dem Jahr 2005, der Notwendigkeit der Gegenüberstellung der im engeren Verdachtszeitraum 2008 durchgeführten Geschäfte mit weiter zurückliegenden Wertpapiergeschäften sowie mit der Relevanz historischer Daten für die Beurteilung der Sachlage einzelner Transaktionen, geänderter Anlagestrategien sowie der Angemessenheit von Gebühren. Schließlich sei die Auskunft über Bankkonten und Bankgeschäfte zulässig, weil aufgrund der vorliegenden Beweisergebnisse konkret anzunehmen sei, dass dadurch Gegenstände, Urkunden und andere Unterlagen über mutmaßlich malversative Transaktionen sichergestellt werden könnten und dass die mit der Straftat in Zusammenhang stehenden Transaktionen über die erwähnte Geschäftsverbindung abgewickelt worden seien.

Mit Beschluss vom 23. Februar 2012, GZ 8 HR 34/10d‑430, bewilligte das Landesgericht Klagenfurt die Anordnung und verwies hiezu auf die von der Staatsanwaltschaft angeführten Gründe.

Mit Beschluss vom 24. Mai 2012, AZ 8 Bs 158/12i, gab das Oberlandesgericht Graz der dagegen von der Ra***** reg. Gen.m.b.H. erhobenen Beschwerde Folge, hob den angefochtenen Beschluss auf und wies den Antrag der Staatsanwaltschaft Klagenfurt auf Bewilligung der Anordnung zurück (ON 484).

Dabei führte es ‑ zusammengefasst ‑ aus, dass der in der angefochtenen Entscheidung dargestellte Tatverdacht nicht (ausreichend) begründet worden sei, weil die bloße Anführung von Fundstellen bestimmter, der Beschwerdeführerin nicht zur Kenntnis gebrachter Erkenntnisquellen bzw der bloße Hinweis auf „vorliegende Beweisergebnisse“ ohne Darlegung, welche verdachtsbegründenden Anhaltspunkte bzw die Maßnahme rechtfertigenden Schlüsse sich daraus ergeben, nicht ausreichten. Darüber hinaus habe es das Erstgericht unterlassen, bestimmte Tatsachen zur Überprüfung der Erforderlich- und Verhältnismäßigkeit anzuführen. Auch zeige der angefochtene Beschluss keine Hinweise auf, die auf Wertpapier- oder sonstige Finanztransaktionen der Beschuldigten im Zusammenhang mit Wertpapierdepots der A***** Invest AG oder A***** Gruppe AG bei der Beschwerdeführerin schließen ließen und die Annahme einer Sicherstellung von Unterlagen im Sinn des § 116 Abs 2 Z 1 StPO rechtfertigen würden. Allgemeine Aussagen, dass die Auskünfte zur Aufklärung der in Rede stehenden Verbrechen erforderlich seien bzw mangels anderer verlässlicher Beweismittel lediglich von der Beschwerdeführerin offengelegt werden können und dass die begehrte Maßnahme gemäß § 109 Z 3 lit b StPO zulässig sei, weil aufgrund der vorliegenden Beweisergebnisse konkret anzunehmen sei, dass dadurch die genannten Geschäftsverbindungen und damit in Zusammenhang stehende malversative Transaktionen betreffende Sicherstellungen vorgenommen werden könnten und dass die inkriminierten Transaktionen über diese Geschäftsverbindung abgewickelt wurden, würden mangels daraus ableitbarer konkret fassbarer Tatsachen keine tragfähige Begründung darstellen.

Darüber hinaus hätte das Erstgericht auch konkret darzulegen gehabt, dass der angestrebte Ermittlungserfolg nicht durch gelindere Maßnahmen, etwa die freiwillige Herausgabe der begehrten Informationen durch die geschädigten Gesellschaften selbst, zu erreichen sei. Eine Bezugnahme (auch) auf § 116 Abs 2 Z 3 StPO komme für einen vergangenen Zeitraum gar nicht in Betracht. Zudem sei die zu II./1./ bewilligte und auf Ausforschung nicht bekannter Geschäftsverbindungen gerichtete Auskunftserteilung nicht zulässig, weil sich diese entgegen § 109 Z 3 lit a zweiter Halbsatz StPO nicht auf Geschäftsverbindungen beziehe, deren Inhaber ein Beschuldigter ist bzw für die ein Beschuldigter bevollmächtigt oder aus der er wirtschaftlich berechtigt ist. Der bekämpfte Beschluss sei daher zu kassieren und in der Sache zu entscheiden.

In der Begründung seiner Zurückweisung des Antrags der Staatsanwaltschaft Klagenfurt beurteilte das Oberlandesgericht Graz auch deren Antrag selbst als formal mangelhaft und führte dazu zusammengefasst aus, dass die Staatsanwaltschaft gemäß § 101 Abs 3 StPO ihre gemäß Abs 2 leg cit bei Gericht gestellten Anträge zu begründen und dem Gericht samt den Akten zu übermitteln habe. Dabei müsse der Antrag alle Tatsachen anführen, welche das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen des beantragten Zwangsmittels belegen. Das Zitat der Gesetzesstelle oder die Übernahme der verba legalia genüge dafür jedoch nicht. Dem vorliegenden Antrag mangle es an jener Tatsachengrundlage, welche die Prüfung der Voraussetzungen (Begründung des Tatverdachts, Tatsachen zur Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahme) ermöglicht hätte. Die differenzierten Anforderungen an die Begründung des staatsanwaltschaftlichen Antrags folgten schon allein aus der Leitung des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft, welche über den Verfahrensstand aktuell in Kenntnis und jederzeit in der Lage sei, die Erfüllung der Voraussetzungen der betreffenden Zwangsmaßnahme darzulegen. Die dem Gericht gemäß § 105 Abs 2 StPO offenstehende Möglichkeit, weitere Ermittlungen durch die Kriminalpolizei anzuordnen oder selbst vorzunehmen sowie Aufklärungen durch die Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei zu verlangen, erlaube zwar eine umfassende Prüfung des Antrags der Anklagebehörde, daraus sei aber nicht abzuleiten, dass es bei einem Begründungsmangel (zu ergänzen: des Antrags der Staatsanwaltschaft) von sich aus das nicht einmal behauptete Vorliegen der Voraussetzungen für das betreffende Zwangsmittel zu erheben habe.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 24. Mai 2012, AZ 8 Bs 158/12i, steht ‑ wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 23 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes weitgehend zutreffend ausführt ‑ durch die Zurückweisung des Antrags der Staatsanwaltschaft auf Bewilligung der Anordnung der Auskunft über Bankkonten und Bankgeschäfte mit der Begründung, dass bei einem Begründungsmangel des Antrags der Staatsanwaltschaft das Gericht das Vorliegen der Voraussetzungen des betreffenden Zwangsmittels nicht selbst zu erheben habe, mit dem Gesetz nicht in Einklang:

Gemäß § 101 Abs 3 erster Satz StPO hat die Staatsanwaltschaft ihre in Ansehung des Erfordernisses einer gerichtlichen Bewilligung gemäß Abs 2 leg cit bei Gericht gestellten Anträge zu begründen und diese samt den Akten zu übermitteln.

Konkrete gesetzliche Vorgaben, wie ausführlich diese Begründung sein muss, bestehen nicht. Ihre Vollständigkeit ist daher allein an ihrem Zweck zu messen, dem Gericht eine Tatsachengrundlage für eine rechts- und sachrichtige Entscheidung zu vermitteln (Fabrizy, StPO11 § 101 Rz 4; ErläutRV 25 BlgNR 22. GP 135). Dass die staatsanwaltschaftliche Begründung (bei sonstiger Zurückweisung des Antrags) dabei jenen Anforderungen entsprechen muss, die auch an einen gerichtlichen Beschluss oder gar ein Urteil gestellt werden, welches seinerseits dem Gebot gedrängter Darstellung verpflichtet ist (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO; RIS-Justiz RS0106642), lässt sich aus dem Gesetz nicht ableiten, zumal selbst bei der Begründung einer Anklageschrift bloß ein ihrem Ziel, dem Oberlandesgericht die Erwägungen der Staatsanwaltschaft im Falle eines Anklageeinspruchs bekannt zu machen (vgl ErläutRV 25 BlgNR 22. GP 244; Birklbauer/Mayrhofer, WK-StPO § 211 Rz 33), dienender und von den Erfordernissen des § 270 Abs 2 Z 5 StPO solcherart erheblich abweichender (Danek, WK-StPO § 270 Rz 26) Maßstab anzusetzen ist.

Über die Anträge der Staatsanwaltschaft auf Bewilligung bestimmter Zwangsmittel hat das Gericht gemäß § 105 Abs 1 erster Satz StPO zu entscheiden. Diesen Beschluss hat das Gericht entsprechend eigenständig zu begründen, wobei es die tatsächlichen Feststellungen und die rechtlichen Überlegungen auszuführen hat, die der Entscheidung zugrunde gelegt wurden (§ 86 StPO; Tipold, WK-StPO § 86 Rz 8). Genügt bereits die von der Staatsanwaltschaft vorgelegte Begründung diesen Erfordernissen, kann sich das Gericht diese zu eigen machen (RIS-Justiz RS0124017). Soweit dies zur Entscheidung über einen derartigen Antrag aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen erforderlich ist, kann das Gericht jedoch auch weitere Ermittlungen durch die Kriminalpolizei anordnen oder von Amts wegen vornehmen. Es kann auch von der Staatsanwaltschaft und der Kriminalpolizei tatsächliche Aufklärungen aus den Akten verlangen (§ 105 Abs 2 erster und zweiter Satz StPO).

Diese umfassende Prüfungsbefugnis soll es dem Gericht ermöglichen, sich die Grundlagen für seine Entscheidung über den Antrag, das heißt die für die Beurteilung von Tatverdacht und Verhältnismäßigkeit erforderlichen „bestimmten Tatsachen“ auch selbst zu beschaffen, wenn die Staatsanwaltschaft bei diesem die Bewilligung einer Zwangsmaßnahme beantragt und das Gericht eine verbreiterte Entscheidungsgrundlage für notwendig hält (AB 406 BlgNR 22. GP 15 f; Fabrizy, StPO11 § 105 Rz 3; Pilnacek/Pleischl, Das neue Vorverfahren [2005] Rz 430; Koller in Schmölzer/Mühlbacher, StPO § 105 Rz 9).

Grundlage der Entscheidung des betreffenden Gerichts ist demnach eine eigenständige Beurteilung der Sachlage, also der Frage der Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen der beabsichtigten Zwangsmaßnahme, nicht aber eine Bewertung der Qualität und Vollständigkeit der staatsanwaltschaftlichen Begründung ihres Antrags.

Solcherart leitet sich aus der erwähnten Prüfungsbefugnis sowie den oben dargelegten unterschiedlichen Anforderungen an die Ausführlichkeit der Begründung des staatsanwaltschaftlichen Antrags auf Bewilligung der beabsichtigten Zwangsmaßnahme einerseits und der Begründung der gerichtlichen Entscheidung darüber andererseits auch die Pflicht des zur Bewilligung berufenen Gerichts ab, ungeachtet des Inhalts der Antragsbegründung (§ 101 Abs 3 StPO) bei tatsächlichem Vorliegen der Voraussetzungen der beabsichtigten Zwangsmaßnahme deren Anordnung mit eigenständiger Begründung zu bewilligen. Die demgegenüber vom Oberlandesgericht Graz erkennbar vertretene Ansicht, wonach die der Staatsanwaltschaft obliegende Begründung gemäß § 101 Abs 3 StPO den Anforderungen der Begründung eines gerichtlichen Beschlusses genügen müsse und ein Antrag auf Bewilligung einer Zwangsmaßnahme bei einer ‑ an diesem Maßstab gemessen ‑ mangelhaften Begründung unabhängig von seiner inhaltlichen Berechtigung und ohne weitere Ermittlungen durch das erkennende Gericht zurückzuweisen wäre, ist mit der den Gerichten gemäß § 105 Abs 2 StPO obliegenden Prüfungspflicht unvereinbar und verletzt daher das Gesetz in den genannten Bestimmungen.

 

Die Generalprokuratur behauptet weiters einen Verstoß gegen § 89 Abs 2b StPO und erläutert dies wie folgt:

Gemäß § 89 Abs 2a Z 3 StPO kann das Rechtsmittelgericht, wenn das Erstgericht die Anträge nicht erledigt, oder zur Entscheidung in der Sache erforderliche Beweisaufnahmen unterlassen hat oder einer der im § 281 Abs 1 Z 5 oder 5a StPO angeführten Gründe vorliegt, den Beschluss aufheben und an das Erstgericht zur neuen Entscheidung nach Verfahrensergänzung verweisen.

Findet das Rechtsmittelgericht dazu keinen Anlass, so hat es stets in der Sache zu entscheiden (§ 89 Abs 2b erster und zweiter Satz StPO; Fabrizy, StPO11 § 89 Rz 3; Mayerhofer/Salzmann, StPO6 § 89 E 1). Dies setzt eine eigene inhaltliche Prüfung voraus (vgl Fabrizy, StPO11 § 89 Rz 3; Tipold, WK-StPO § 89 Rz 8 ff).

Soweit sich die vorliegende Rechtsmittelentscheidung auf die Anordnung von Auskünften über konkret bekannte Wertpapierdepots im Sinn des § 109 Z 3 lit b StPO bezog (I./ und [teilweise] II./2./), stützte sich das Oberlandesgericht Graz ‑ abgesehen vom zutreffenden, sich in Ansehung der gleichzeitigen Berufung der Staatsanwaltschaft auf § 116 Abs 2 Z 1 StPO auf die Zulässigkeit ihres Antrages allerdings nicht auswirkenden Einwand, dass die Z 3 leg cit nur auf Auskünfte über einen zukünftigen Zeitraum abstelle ‑ demgegenüber jedoch allein auf Begründungsmängel des angefochtenen Beschlusses und des diesem zugrunde liegenden Antrages der Staatsanwaltschaft, unterließ aber dessen weitere inhaltliche Prüfung. Da das Oberlandesgericht Graz mit seiner Zurückweisung des auf die erwähnten Auskünfte gerichteten Antrages der Staatsanwaltschaft ‑ trotz erkannter Notwendigkeit (ON 484 S 7 erster Absatz) ‑ solcherart keine Entscheidung in der Sache traf, verletzte es § 89 Abs 2b erster und zweiter Satz StPO.

 

Der Oberste Gerichtshof hat dazu erwogen:

§ 89 StPO nennt ‑ nach der allgemeinen Vorgabe, dass der zuständigen Staatsanwaltschaft Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und in nichtöffentlicher Sitzung zu entscheiden ist (Abs 1) ‑ drei Formen der Erledigung von Beschwerden durch das Rechtsmittelgericht. Beschwerden, die verspätet oder von einer Person eingebracht wurden, der ein Rechtsmittel nicht zusteht, hat es (ohne Prüfung der inhaltlichen Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses [vgl Nimmervoll, Beschluss und Beschwerde 177, 182; aM Tipold, WK‑StPO § 89 Rz 16; Fabrizy, StPO11 § 89 Rz 4]) als unzulässig zurückzuweisen (Abs 2). In bestimmten taxativ aufgezählten Fällen kann es mit Kassation des angefochtenen Beschlusses und Verweisung zu neuer Entscheidung an das Erstgericht vorgehen (Abs 2a), während es bei Beschwerden gegen Festnahmebewilligung und Verhängung bzw Fortsetzung der Untersuchungshaft sowie bei Nichtvorgehen nach Abs 2a unter Berücksichtigung von Neuerungen und ohne Bindung an das Beschwerdevorbringen, jedoch beschränkt auf den angefochtenen Beschluss (15 Os 33/09f), stets in der Sache zu entscheiden hat (Abs 2b).

Unter einer „Entscheidung in der Sache“ in diesem Sinn ‑ als Gegenstück zur Kassation und Rückverweisung an das Erstgericht ‑ ist zu verstehen, dass der Prozessgegenstand durch das Rechtsmittelgericht inhaltlich endgültig (bestätigend oder reformatorisch) erledigt wird. Dabei stellen auch sowohl eine ersatzlose Aufhebung des angefochtenen Beschlusses (Nimmervoll, Beschluss und Beschwerde 190 f), als auch die Bestätigung eines einen Antrag aus formellen Gründen zurückweisenden erstinstanzlichen Beschlusses oder ‑ wie vorliegend ‑ die reformatorische Entscheidung, dass ein vom Erstgericht bewilligter Antrag zurückgewiesen wird, Entscheidungen in der Sache dar. „Sache“ und damit Gegenstand der Beschwerdeentscheidung ist nämlich der gesamte (ursprünglich dem Erstgericht obliegende) Prüfungsgegenstand, in antragsabhängigen Fällen somit nicht nur der Inhalt des Antrags, sondern auch dessen formale Berechtigung. Verträte man die gegenteilige Position, käme man zu dem aus dem Gesetz nicht ableitbaren Ergebnis, dass auch ein verspäteter oder von einer nicht berechtigten Person eingebrachter Antrag (im Fall rechtzeitiger und zulässiger Beschwerde gegen den darüber absprechenden erstinstanzlichen Beschluss) vom Beschwerdegericht nur nach den Kriterien seiner inhaltlichen Berechtigung zu beurteilen wäre.

Weil sohin eine ‑ wenngleich verfehlte ‑ Entscheidung in der Sache vorlag, verstieß der Beschluss nicht auch gegen § 89 Abs 2b StPO.

Da ein aus der aufgezeigten Gesetzesverletzung resultierender Nachteil für die Beschuldigten ausgeschlossen werden kann, kommt ein Vorgehen gemäß § 292 letzter Satz StPO nicht in Betracht.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte