OGH 15Os23/22d

OGH15Os23/22d27.4.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. April 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des OKontr. Bodinger als Schriftführer im Verfahren zur Unterbringung des * L* in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 7. Dezember 2021, GZ 23 Hv 28/21f‑31, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0150OS00023.22D.0427.000

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Ausspruch der Anordnung der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.

Mit seiner (impliziten) Berufung wird der Betroffene auf diese Entscheidung verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde die Unterbringung des * L* in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB angeordnet.

[2] Danach hat er am 1. Dezember 2020 in I* unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruhte, nämlich einer schizoaffektiven Störung (F25.0), comorbid einer Polytoxikomanie (F19.2), die Justizwachebeamten der Justizanstalt I* * S*, * J*, * R* und * K* mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich seiner Verbringung in einen Absonderungshaftraum gemäß § 103 Abs 2 Z 4 StVG und danach an seiner Entkleidung (US 4) zu hindern versucht, indem er sich unter Anwendung erheblicher Kraftanstrengung aus dem Festhaltegriff zu entziehen versuchte und in weiterer Folge * S* am Overall im Halsbereich packte und zu beißen versuchte

und dadurch Taten begangen, die als Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB mit ein Jahr übersteigender Freiheitsstrafe bedroht sind.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf Z 5 und 11 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die ihr Ziel verfehlt.

[4] Entgegen der Kritik der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) ist die Ableitung der inneren Tatseite „aus einer lebensnahen Betrachtung des äußeren Tatgeschehens“ (US 5; Anwendung von Gewalt gegen vier als Justizwachebeamte erkannte Personen) unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (RIS‑Justiz RS0098671, RS0116882).

[5] Das Vorbringen der Sanktionsrüge (Z 11), das Erstgericht habe „die Grundsätze der §§ 31 Abs 1, 40 StGB außer Acht gelassen“, weil „die Verurteilungen zu den Verfahren seit 2018 nichtig“ seien, lässt keinen Rechtsfehler des Erstgerichts bei Anordnung der Unterbringung erkennen. Indem sie – mit dem Ziel der bedingten Nachsicht der Maßnahme – darauf hinweist, dass die Tat beim Versuch geblieben und das „zusätzliche Merkmal der besonderen Gewaltgeneigtheit“ nicht gegeben sei, macht sie bloß einen Berufungsgrund geltend (RIS-Justiz RS0099865 [T5]).

[6] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[7] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch davon, dass dem Ausspruch über die Anordnung der Unterbringung der von Amts wegen wahrzunehmende Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO anhaftet (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO; RIS-Justiz RS0090372).

[8] Dem Urteil mangelt es nämlich an – über die bloße Zitierung des Gesetzeswortlauts hinausgehenden – konkreten Feststellungen zum Vorliegen einer Prognosetat. Denn die bloße Wiedergabe der verba legalia, wonach zu befürchten sei, dass der Betroffene „eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen“ begehen werde (US 2, 6), stellt für sich allein keine ausreichende Feststellungsgrundlage dar, die geeignet wäre, die angeordnete Unterbringung des Betroffenen in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB zu tragen. Die Prognosetat ist nämlich im Urteil zumindest ihrer Art nach näher zu umschreiben (RIS‑Justiz RS0113980 [T8, T17]), um solcherart die rechtliche Beurteilung der zu erwartenden mit Strafe bedrohten Handlung(en) als solche mit schweren Folgen zu ermöglichen.

[9] Das angefochtene Urteil war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – im Ausspruch über die Anordnung der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB aufzuheben und in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen.

[10] Mit seiner (impliziten; § 290 Abs 1 dritter Satz StPO) Berufung war der Betroffene auf die aufhebende Entscheidung zu verweisen.

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