OGH 15Os22/00

OGH15Os22/002.3.2000

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. März 2000 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder und Dr. Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Greinert als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Stefan P***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB, AZ 33 Vr 1492/99 des Landesgerichtes Innsbruck, über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 2. Februar 2000, AZ 7 Bs 31/00 (= ON 53), in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Stefan P***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Beschluss des Untersuchungsrichters vom 22. Oktober 1999 wurde über den am 3. März 1940 geborenen Beamten der Heeresverwaltung Stefan P***** gemäß § 180 Abs 7 StPO die Untersuchungshaft verhängt, weil er dringend verdächtig ist, das Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB dadurch begangen zu haben, dass er am 6. Juni 1999 in Innsbruck seine Ehegattin Erika P***** mit einem Revolver der Marke Smith & Wesson, Cal 357 Magnum, durch einen Kopfschuss getötet haben soll.

Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht Innsbruck einer Beschwerde des Beschuldigten gegen einen die Untersuchungshaft verlängernden Beschluss des Untersuchungsrichters vom 17. Jänner 2000 (ON 48) nicht Folge und sprach gleichzeitig aus, dass diese aus dem Haftgrund des § 180 Abs 7 StPO längstens bis 3. April 2000 fortzudauern habe, weil nicht auf Grund bestimmter Tatsachen angenommen werden könne, dass der Haftgrund (nur mehr) der Fluchtgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1 StPO auszuschließen ist (ON 53).

Die dagegen erhobene Grundrechtsbeschwerde, mit der - bei prinzipiell unbekämpftem Tatverdacht - eine Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit durch unrichtige Anwendung der §§ 180 Abs 7 und 190 Abs 1 StPO behauptet wird, ist unbegründet.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 180 Abs 7 StPO muss die Untersuchungshaft verhängt werden, wenn dringender Tatverdacht eines Verbrechens vorliegt, bei dem nach dem Gesetz auf mindestens 10jährige Freiheitsstrafe zu erkennen ist, es sei denn, dass auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, das Vorliegen aller Haftgründe (Flucht-, Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr) sei auszuschließen. Damit eröffnet der Gesetzgeber bei schwersten (Kapital-)Verbrechen die Möglichkeit der Haft auch dann, wenn das Vorliegen von speziellen Haftgründen zwar nicht nachgewiesen, aber sehr wohl gemutmaßt werden kann. Diese beschränkt -bzw bedingt- obligatorische Untersuchungshaft ist in Übereinstimmung mit Artikel 5 Abs 3 und6 Abs 2 EMRK (vgl Mayerhofer StPO4; Kain in RZ 1988, S 81) keine schrankenlose; sie darf nämlich nicht verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, der Beschuldigte werde nicht flüchten oder sich verborgen halten, keine Verdunkelungshandlungen setzen und die Tat weder wiederholen noch ausführen. Dabei hat das Gericht (nach Art einer Umkehrung der Beweislast) unter Anwendung eines strengen Maßstabes zu untersuchen, ob besondere Gründe (Persönlichkeit des Beschuldigten, der Beschaffenheit der Tat und der Tatumstände) mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit das Vorliegen des - fallbezogenen - Haftgrundes der Fluchtgefahr ausschließen (Foregger/Kodek StPO7 § 180 Anm VII).

Diese Rechtsgrundsätze befolgend, hat der Gerichtshof zweiter Instanz in dem hier zu beurteilenden Fall - unter Bejahung des vom Beschwerdeführer prinzipiell nicht bestrittenen dringenden Tatverdachts (der entgegen einer in der Beschwerde ebenso wie in der gemäß § 35 Abs 2 StPO erstatteten Äußerung unter anderem vertretenen Meinung schon aus Gründen des direkt anzuwendenden Verfassungsrechts des Art 5 Abs 1 lit c MRK jedenfalls unerlässliche Voraussetzung für die Verhängung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist; Foregger/Kodek aaO Art 5 MRK Anm zu Abs 1 Buchst c) - alle relevanten, auch von der Beschwerde ins Treffen geführten Tatsachen (ungetrübtes Vorleben mit bestem Leumund, fester Wohnsitz, gesicherte finanzielle Verhältnisse, fehlende Fluchtvorbereitungen zwischen 6. Juni und 21. Oktober 1999, unwiederbringliche moralische Stigmatisierung und unwägbares finanzielles Risiko als Folge einer Flucht) erwogen, diese aber mit aktengetreuer, den Denkgesetzen nicht widersprechender und zureichender Begründung insgesamt als untauglich erachtet, bei Stefan P***** den Haftgrund der Fluchtgefahr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen, d.h. eine Flucht mit der Einschränkung, dass ein vollständiger Ausschluss nach der Lebensrealität nicht erzielbar sein wird, als geradezu unmöglich erscheinen zu lassen (vgl Duden, Großes Wörterbuch der deutschen Sprache2 Bd 1 S 364). Dabei hat er - entgegen dem Beschwerdestandpunkt - weder die Annahme seiner Schuld vorweggenommen noch ein unzulässiges Präjudiz für das anhängige Strafverfahren geschaffen oder Prognosen für die Hauptverhandlung und die Zeit danach erstellt.

Angesichts dessen, dass die zunächst verfolgte These, Erika P***** habe sich selbst erschossen, durch sicherheitsbehördliche Erhebungen (gerichtsmedizinische Gutachten ON 4 und 11 sowie Stellungsanzeige ON 14), die nach der Aktenlage dem Beschuldigten vor seiner Festnahme nicht zur Kenntnis gelangt waren, immer mehr ins Wanken geriet und sich die gewonnenen Indizien erst nach mehr als vier Monaten zu einem die Verhaftung des Beschuldigten und die Verhängung der Untersuchungshaft rechtfertigenden dringenden Verdacht verfestigten, er selbst habe seine Frau ermordet, bietet die Tatsache, dass er bis dahin in Unkenntnis eines gegen ihn gerichteten Tatverdachts keine Anstalten zur Flucht getroffen hat, im Sinne der Beschlussbegründung weder für sich allein noch unter Bedachtnahme auf den ordentlichen Lebenswandel, einen festen Wohnsitz verbunden mit finanziell abgesichertem Beruf und Einkommen die sichere Gewähr für den zwingend geforderten Ausschluss, der Beschwerdeführer werde - auf freien Fuß gesetzt -, nunmehr mit dem konkret gegen ihn gerichteten Tatverdacht konfrontiert, auch weiterhin nicht flüchten. Tritt doch - wie auch das Beschwerdegericht unter dem Gesichtspunkt des Berufs- und Einkommensverlustes für die Zukunft ausführt - ein weiterer gewichtiger, die Fluchtgefahr nicht nur nicht bannender, sondern diese in den Bereich der Wahrscheinlichkeit rückender Umstand hinzu: Bei eigener hypothetischer Annahme, dass gegen ihn verdachtskonform Anklage erhoben und ein Schuldspruch wegen Verbrechens des Mordes an seiner halbseitig gelähmten Frau (allenfalls bloß aus niedrigen Motiven) erfolgen könnte, wäre die unter Berücksichtigung des Unrechtsgehalts der Tat und seiner Täterpersönlichkeit ihn mutmaßlich treffende Freiheitsstrafe so empfindlich, dass - unter den gegebenen Umständen - sehr wohl ein erhöhten Anreiz, zu flüchten oder sich verborgen zu halten, nicht ausgeschlossen werden kann.

Die von der Beschwerde als Ausschlussgründe für die Untersuchungshaft nach § 180 Abs 7 StPO relevierten bestimmten Tatsachen decken sich (vom bisher ordentlichen Lebenswandel abgesehen) mit jenen Umständen, bei denen nach Abs 3 leg cit (unter den weiter dort angeführten Voraussetzungen) Fluchtgefahr jedenfalls nicht anzunehmen ist, während sie bei der bedingt obligatorischen Untersuchungshaft nicht (etwa demonstrativ) als bestimmte Tatsachen jener Art aufgeführt sind, die diesen Haftgrund ausschließen (also sein Eintreten unter Berücksichtigung der Lebensrealität geradezu als unmöglich erscheinen) lassen. Umstände, die einen Haftgrund (lediglich) nicht annehmen lassen, sind keineswegs bereits solche, die ihn im dargelegten Sinn auch auszuschließen vermögen. Zu solchen müssten noch die in § 180 Abs 7 StPO vorausgesetzten Gründe hinzutreten, wie etwa besondere physische, seine Mobilität einschränkende Beschaffenheit des Beschuldigten (vgl 12 Os 134/95), über das übliche Maß hinaus gehende soziale und familiäre Gebundenheit oder Fehlen jeglicher rasch realisierbarer wirtschaftlicher Subsidien oder Möglichkeiten, die für ein dem Beschuldigten der Strafverfolgung entziehendes Leben im Untergrund als Mindestmaß vorausgesetzt sind.

Auch der Umstand, dass der Beschuldigte bis zu seiner Verhaftung Fluchtmöglichkeiten nicht genutzt hat, stellt weder unter Berücksichtigung der konkreten Entwicklung der Verdachtssituation noch an sich eine bestimmte, den Ausschluss des entsprechenden Haftgrundes herbeiführende Tatsache dar (vgl 14 Os 113/95).

Das Oberlandesgericht Innsbruck hat daher zutreffend angenommen, dass bei Stefan P***** Fluchtgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1 StPO nicht auszuschließen ist.

Wegen des - wie dargelegt - beim Beschuldigten durch konkret feststellbare besondere Tatsachen nicht auszuschließenden beträchtlichen Fluchtinteresses kann, den angestellten Erwägungen folgend, auch bei Leistung einer Kaution der Haftgrund der Fluchtgefahr nicht ausgeschlossen werden, womit es an der Voraussetzung zur Substitutierung der Haft durch eine Sicherheitsleistung mangelt (§ 191 Abs 1 Satz eins erster Halbsatz StPO).

Der Vollständigkeit wegen sei angemerkt, dass die EvBl 1972/214 folgende Beschwerdeargumentation nicht auf höchstgerichtlicher Judikatur basiert.

Die in der Äußerung gemäß § 35 Abs 2 StPO vorgetragene Kritik am Beschluss des Untersuchungsrichters vom 22. Oktober 1999 über die Verhängung der Untersuchungshaft (ON 16) ist zum einen eine im Grundrechtsverfahren unzulässige Neuerung; andererseits trifft sie nicht die ausdrücklich mit Grundrechtsbeschwerde bekämpfte und eigenständig begründete Entscheidung des Gerichtshofes zweiter Instanz vom 2. Februar 2000 (ON 53). Eine Gleichschrift dieser Äußerung wurde der Generalprokuratur übermittelt.

Da sohin Stefan P***** in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt wurde, war die Grundrechtsbeschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

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