OGH 15Os21/97

OGH15Os21/9720.3.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 20.März 1997 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Strieder, Dr.Rouschal, Dr.Schmucker und Dr.Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Brandstätter als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Anton A***** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Schöffengericht vom 9.Jänner 1997, GZ 7 Vr 714/96-47, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugemittelt.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Anton A***** der Verbrechen (1) der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und (4) der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 2 und 3 StGB sowie der Vergehen (2) des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB, (3) der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren nach § 208 StGB, und (5) der Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in Schärding

(zu 1) in der Zeit von 1992 bis 11.September 1996 in zahlreichen Angriffen seine am 4.Juli 1985 geborene unmündige Tochter Sonja A***** dadurch, daß er sie im Bereich des Geschlechtsteils betastete, seinen Finger in ihre Scheide einführte und seinen Geschlechtsteil durch das Mädchen berühren ließ, auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht;

(zu 2) durch die zu 1 beschriebenen Handlungen sein minderjähriges Kind zur Unzucht mißbraucht,

(zu 3) in der Zeit von 1992 bis 11.September 1996 in wiederholten Angriffen dadurch, daß er vor der am 4.Juli 1985 (im Urteil hier irrtümlich: 1995) geborenen, sohin unmündigen Sonja A***** onanierte, Handlungen vorgenommen, die geeignet sind, die sittliche, seelische oder gesundheitliche Entwicklung von Personen unter 16 Jahren zu gefährden, um sich dadurch geschlechtlich zu erregen oder befriedigen,

(zu 4) nachstehende Personen durch gefährliche Drohungen zu Unterlassungen genötigt, und zwar

a) in der Zeit von 1992 bis 11.September 1996 Sonja A***** durch die Drohungen, er werde sie schlagen bzw sie komme in ein Heim, zur Unterlassung von Äußerungen über die zu Punkt 1 beschriebenen Vorfälle gegenüber fremden Personen, wodurch Sonja A***** längere Zeit hindurch in einem qualvollen Zustand versetzt wurde und besonders wichtige Interessen der Sonja A*****, nämlich ihre ungestörte seelische und sexuelle Entwicklung verletzt worden sind,

b) im Juli 1996 Rosa E***** durch die Drohung, sie müsse in ein Heim, wenn sie erzähle, daß er sie im Brustbereich betastet habe, zur Unterlassung von Äußerungen gegenüber anderen Personen, wodurch wichtige Interessen der Rosa E*****, nämlich ihre ungestörte seelische und sexuelle Entwicklung, verletzt worden sind,

(zu 5) Ende Juli 1996 Sarah P***** durch Versetzen eines Schlages in das Gesicht am Körper mißhandelt und dadurch fahrlässig eine Verletzung, nämlich eine Rötung im Gesicht, herbeigeführt.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf die Z 3, 4 und 5 a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die sich als nicht berechtigt erweist.

Eine Urteilsnichtigkeit nach der erstbezeichneten Gesetzesstelle (Z 3) durch Verstoß gegen die Bestimmung des § 252 Abs 1 StPO erblickt der Beschwerdeführer in der Verlesung des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Prim.Dr.Werner G***** (ON 38) in der Hauptverhandlung vom 9.Jänner 1997 gegen seinen Widerspruch (353). Dabei übersieht er allerdings, daß Gutachten von Sachverständigen - neben den hier nicht aktuellen Fällen des § 252 Abs 1 Z 2 und 4 StPO - dann verlesen werden dürfen, wenn der Sachverständige bei seinem mündlichen Vortrag auf das schriftliche Gutachten verweist und es so zum Bestandteil seines mündlichen Gutachtens macht (Mayerhofer StPO4 § 252 E 19). Der Sachverständige Prim.Dr.G***** wurde in der Hauptverhandlung vom 9.Jänner 1997 als Sachverständiger vernommen, dabei hat er sich in seinem ergänzenden Gutachten (inhaltlich) auf sein schriftliches Gutachten vom 6.November 1996 bezogen und bei seinem mündlichen Vortrag anstehende Fragen dazu beantwortet und das Gutachten auch ergänzt. Zum Verständnis des Gutachtens war daher die Verlesung des schriftlichen Elaborates geradezu geboten und daher zulässig.

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurde der Angeklagte durch die Ablehnung der von seinem Verteidiger in der Hauptverhandlung vom 9. Jänner 1997 gestellten Anträge auf Vernehmung der Zeuginnen Rosa E***** zum Beweis dafür, "daß sie der Angeklagte Anton A***** nicht unter Druck gesetzt bzw nicht genötigt hat" und Sonja A***** zum Beweis dafür, "daß die gesamten Anschuldigungen unrichtig sind, daß der Angeklagte Anton A***** an ihr keine unzüchtigen Handlungen begangen hat", in seinen prozessualen Rechten nicht beeinträchtigt. Das Schöffengericht lehnte die beantragte Vernehmung mit Zwischenerkenntnis (353) - im Ergebnis berechtigt - mit der Begründung ab, daß Rosa E***** geistig leicht behindert sei, sie außerdem vor Gericht schon einvernommen wurde und durch die Einvernahme vor Gericht eine negative Entwicklung des Kindes zu erwarten wäre, im übrigen in der Hauptverhandlung die Mutter vernommen worden sei; Sonja A*****s Einvernahme vor Gericht wäre mit einer psychischen Gefährdung der Entwicklung verbunden.

Von der beantragten Vernehmung eines Unmündigen, der Opfer eines Sexualdeliktes ist, kann nach herrschender Judikatur abgesehen werden, wenn das erkennende Gericht auf Grund konkreter (in der Regel von einem jugendpsychiatrischen Sachverständigen aufgezeigter) Umstände zur Überzeugung gelangt, daß die Einvernahme auch bei entsprechend behutsamem, die kindliche Psyche berücksichtigendem Vorgehen eine fortdauernde psychische Schädigung des Unmündigen ernstlich befürchten läßt, die durch dessen besondere psychische Beschaffenheit bedingt ist. Unter diesen Voraussetzungen hat das Gebot der Unmittelbarkeit und das (sonst tunlich keiner Beschränkung zu unterwerfende) Fragerecht des Angeklagten (Art 6 Abs 3 lit d MRK) im Interesse des unmündigen Tatopfers - ausnahmsweise - zurückzutreten (EvBl 1993/48, EvBl 1990/72, 11 Os 96/91, JBl 1996, 268).

Im konkreten Fall ist dem Gutachten des Facharztes für Kinderheilkunde, Kinder- und Jugendneuropsychiatrie, Prim.Dr.Werner G***** vom 6.November 1996 (ON 38) wie auch seinen dazu ergänzend vortragenenen Ausführungen in der Hauptverhandlung vom 9.Jänner 1997 (349 f) zu entnehmen, daß sich die mutistische Verfassung der Zeugin Sonja A***** während des stationären Aufenthalts, die auch wegen der psychisch bedingten Blockaden bei der Zeugin zum Abbruch der kontradiktorischen Vernehmung am 21.Oktober 1996 in der Beweistagsatzung führte, aus der Spannung zwischen einem vom Kind als solchen empfundenen Verrat einerseits und kindlicher Geborgenheit und Festhalten an der familiären Struktur andrerseits ergeben und zu einer Dissoziation der Persönlichkeitsentwicklung und damit auch zu Spaltungstendenzen geführt hat, weiters eine neuerliche Konfrontation mit dem Tatgeschehen vor Gericht mit Nachteilen (und einer eindeutigen Gefährdung der nunmehr positiven Entwicklung) verbunden wäre, "weil das Thema dermaßen verinnerlicht ist und die Geschädigte in ihrem Schutzverhalten aber auch in ihren Ängsten vermutlich wieder in eine mutistische Blockade geraten würde und demnach auch vermutlich keine verläßliche inhaltliche Rede im Interview zu erhalten sein wird; im übrigen zu erwarten wäre, daß Sonja A***** mit Angst und sekundären psychischen Schäden reagieren könnte" (351 f). Davon ausgehend lag - auch im Zusammenhang mit den Bekundungen der Zeuginnen Manuela E***** und Renate P***** über das Befinden der Zeugin - sohin die hohe Wahrscheinlichkeit einer gravierenden, weit über das übliche Maß der mit einer Zeugenaussage für ein unmündiges Tatopfer eines Sexualdeliktes verbundenen psychischen Belastung hinausgehenden Schädigung des Tatopfers Sonja A***** im Fall der (neuerlichen) gerichtlichen Einvernahme in einer Weise nahe, daß das Schutzbedürfnis des Opfers gegenüber dem (an sich berechtigten) Interesse des Nichtigkeitswerbers an einer persönlichen Befragung prävalierte. Bei der unter solchen, vom Gericht nicht zu vertretenden Umständen gegebenen Unmöglichkeit, eine kontradiktorische Vernehmung durchzuführen, muß - auch unter dem Gesichtspunkt des Art 6 Abs 3 lit d MRK - davon Abstand genommen werden, zumal vorliegend weitere Beweise aufgenommen wurden, die die seinerzeitigen Angaben der Sonja A***** bestätigten (Frowein/Peukert EMRK Komm Art 6 Rz 200).

Was den Antrag auf neuerliche Einvernahme der - bereits am 20. September 1996 vor Gericht kontradiktorisch vernommenen (145) - Rosa E***** anlangt, wäre es im Hinblick auf deren Angaben sowohl vor der Polizei als auch vor dem Untersuchungsrichter und der diese Aussage bestätigenden Depositionen ihrer Mutter Manuela E***** (47, 129 f, 341 f) sowie der Zeugin Renate P***** (51, 135 f, 346) - denenzufolge Rosa E***** (durchwegs gleichlautend mit ihrer Mutter und ihrer Patentante) der Sicherheitsbehörde und dem Gericht gegenüber, die Drohung des Angeklagten bekundete, sie müsse in ein Heim, wenn sie erzähle, daß er sie im Brustbereich betastet habe - nach Lage des Falles Sache des Angeklagten gewesen, in seinem Beweisantrag darzutun, aus welchen Gründen nunmehr zu erwarten gewesen wäre, daß der begehrte Zeugenbeweis entgegen den bereits vorliegenden Verfahrensergebnissen das behauptete Ergebnis, daß der Angeklagte Anton A***** die Zeugin nicht unter Druck gesetzt und nicht genötigt habe, erbringen werde (Mayerhofer aaO § 281 Z 4 E 19), zumal sich auch aus dem Sachzusammenhang Hinweise für die (zumindest laut Beweisthema unterstellte) Annahme der Unrichtigkeit der bisherigen Angaben des Mädchens nicht ergeben. So gesehen läuft dieser Beweisantrag auf einen unzulässigen Erkundungsbeweis hinaus, sodaß das gerügte Unterbleiben der Vernehmung dieser Zeugin nach Lage des Falls gleichfalls keine Verletzung von Verteidigungsrechten begründet.

Aber auch die Ausführungen in der Tatsachenrüge (Z 5 a), mit welchen der Beschwerdeführer eine Widersprüchlichkeit der Feststellung des Erstgerichtes (daß der Angeklagte die minderjährige Sonja A***** im Genitalbereich betastete, wobei er auch mehrmals einen Finger teilweise in ihre Scheide einführte - US 5) mit den Ergebnissen des abgeführten Beweisverfahrens aufzuzeigen sucht, vermögen keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen zu erwecken. Der Angeklagte versucht hier, durch punktuelle Hervorhebung einzelner, aus dem Zusammenhang gerissener Beweisergebnisse, welche als für ihn günstig ansieht (US 8), die Beweiswürdigung des Schöffengerichtes auf eine auch im Rahmen der Tatsachenrüge nicht zulässige Weise (NRsp 1994/176) in Zweifel zu ziehen.

Letztlich hat der Angeklagte, der uneingeschränkt Nichtigkeitsbeschwerde angemeldet und in seiner Rechtsmittelschrift den - gleichfalls uneingeschränkten - Antrag, "das angefochtene Urteil aufzuheben", gestellt hat, sachbezogene Ausführungen zum Punkt 5 des Schuldspruchs nicht erstattet, sodaß die Nichtigkeitsbeschwerde zu diesem Schuldspruchfaktum schon mangels deutlicher und bestimmter Bezeichnung von Nichtigkeitsgründen zurückzuweisen war (§ 285 d Abs 1 iVm § 285 a Z 2 StPO).

Somit war die Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 285 d Abs 1 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen.

Über die Berufung wird demzufolge der hiefür zuständige Gerichtshof zweiter Instanz zu befinden haben (§ 285 i StPO).

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