OGH 15Os164/99 (15Os165/99)

OGH15Os164/99 (15Os165/99)16.12.1999

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Dezember 1999 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Ratz als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Mezera als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Josef R***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB, AZ 3 U 169/97 des Bezirksgerichtes Oberpullendorf, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Urteile des Bezirksgerichtes Oberpullendorf vom 9. Dezember 1997, GZ 3 U 169/97-21, und des Landesgerichtes Eisenstadt als Berufungsgericht vom 18. Mai 1998, AZ 10 Bl 13/98 (= ON 26 des U-Aktes), nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Generalprokurators Dr. Strasser, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Urteile des Bezirksgerichtes Oberpullendorf vom 9. Dezember 1997, GZ 3 U 169/97-21, und des Landesgerichtes Eisenstadt als Berufungsgericht vom 18. Mai 1998, AZ 10 Bl 13/98 (= ON 26 des U-Aktes), verletzen § 88 Abs 1 StGB iVm §§ 3, 19 Abs 4 und Abs 7 StVO.

Diese Urteile sowie alle darauf beruhenden Anordnungen und Verfügungen werden aufgehoben, und es wird gemäß §§ 292, letzter Satz, 288 Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Josef R***** wird von dem gegen ihn gestellten Antrag auf Bestrafung, er habe am 28. Juni 1996 in Mannersdorf a.d.R. als Lenker des PKW mit dem Kennzeichen OW 22 AR durch Nichtbeachtung des Vorranges, wodurch es zum Zusammenstoß mit dem von Ladislaus G***** gelenkten PKW mit dem Kennzeichen OP 40 EK kam, fahrlässig eine leichte Verletzung des Ladislaus G*****, nämlich eine Prellung der rechten Schulter, herbeigeführt und hiedurch das Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Gemäß § 366 Abs 1 StPO wird der Privatbeteiligte Ladislaus G***** mit seinen Entschädigungsansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Oberpullendorf vom 9. Dezember 1997, GZ 3 U 169/97-21, wurde Josef R***** des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB schuldig erkannt, weil er am 28. Juni 1996 in Mannersdorf a.d.R. als Kraftfahrzeuglenker durch Nichtbeachten des Vorranges (§ 19 Abs 4 und 7 StVO) des von Ladislaus G***** gelenkten PKWs, wodurch es zum Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge kam, den Genannten am Körper leicht verletzt hat (Prellung der rechten Schulter). Der vom Angeklagten dagegen erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gab das Landesgericht Eisenstadt am 18. Mai 1998, AZ 10 Bl 13/98 (= ON 26), keine Folge.

Nach den wesentlichen - vom Berufungsgericht übernommenen - erstgerichtlichen Urteilsfeststellungen beabsichtigte Josef R***** am 28. Juni 1996 (gegen 14 Uhr) mit seinem PKW Opel Kadett (OW 22 AR) auf einem im Ortsgebiet von Mannersdorf a.d.R. gelegenen, asphaltierten, rund 3,8 m breiten Güterweg nach links in die bevorrangte, gut einsehbare Bundesstraße 61 einzubiegen. Zur selben Zeit näherte sich von links (aus Richtung Rattersdorf) der vom 85-jährigen Ladislaus G***** gelenkte PKW Nissan Cherry (OP 40 ER) mit ca 40 km/h bei eingeschaltetem rechten Blinker. R*****, der sein Fahrzeug zunächst am Eingang des 10 m breiten Einmündungstrichters angehalten hatte, nahm deshalb an, dieser PKW werde nach rechts in den Güterweg einbiegen. Ohne zu beachten, dass G***** bei Annäherung an die Kreuzung seine Fahrgeschwindigkeit von etwa 40 km/h nicht verminderte, fuhr er in die Bundesstraße ein, als der PKW G***** ca 14 m von ihm entfernt war. Mit einer solchen Geschwindigkeit wäre diesem zwar ein Einbiegen von der Bundesstraße in den rechtwinkelig abzweigenden Güterweg nicht möglich gewesen, jedoch hätte zur gefahrlosen Durchführung dieses Abbiegemanövers auf der Wegstrecke von ca 14 m eine Verminderung der Fahrgeschwindigkeit von 40 km/h auf zumindest 20 km/h genügt, was einer stärkeren Bremsung (bei einer Bremsverzögerung von 3,31 m/sec2) entspricht. Da G***** nicht wusste, dass sein rechter Blinker eingeschaltet war, und er gar nicht in den Güterweg einbiegen wollte, kollidierte er im Kreuzungsbereich mit dem Opel Kadett R*****s, der von der Anhalteposition bereits eine Strecke von ca 2 m zurückgelegt hatte.

Beide Strafgerichte erblickten im festgestellten Fahrverhalten des Josef R***** einen Verstoß gegen die Vorrangbestimmung des § 19 Abs 1 (iVm Abs 4) StVO, weil er trotz einer - unter den gegebenen Umständen - für ihn unklaren Verkehrssituation in die bevorrangte Bundesstraße eingefahren war, obwohl er nicht mehr zwingend mit einem Rechtsabbiegen des Unfallsgegners rechnen konnte.

Demgegenüber verneinten in einem von Josef R***** angestrengten Zivilverfahren sowohl das Bezirksgericht Oberpullendorf (AZ 2 C 1955/96) als auch das Landesgericht Eisenstadt als Berufungsgericht (AZ 13 R 312/88) auf Grundlage der vom Bezirksgericht Oberpullendorf im Strafverfahren zum Unfallshergang getroffenen Feststellungen ein schuldhaftes Verhalten des Klägers. Nach Ansicht der Zivilgerichte durfte er als in die Kreuzung einfahrender Verkehrsteilnehmer darauf vertrauen, dass sein (wenn auch im Vorrang befindlicher) Unfallsgegner Ladislaus G***** das angezeigte Abbiegemanöver auch tatsächlich ausführen werde. Bei der von diesem eingehaltenen, im Ortsgebiet üblichen Geschwindigkeit von etwa 40 km/h, die ab dem Einfahren des Josef R***** durch eine stärkere Betriebsbremsung des Fahrzeuges G***** auf eine taugliche Abbiegegeschwindigkeit von ca 20 km/h hätte herabgemindert werden können, habe R***** vernünftigerweise keinen Grund für die Annahme gehabt, der bevorrangte Lenker werde nicht nach rechts abbiegen.

Wie der Generalprokurator in der gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, stehen der Schuldspruch des Bezirksgerichtes Oberpullendorf vom 9. Dezember 1997 und die diesen Schuldspruch bestätigende Berufungsentscheidung des Landesgerichtes Eisenstadt vom 18. Mai 1998 mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Rechtliche Beurteilung

Die Strafgerichte haben die zentrale Rechtsfrage, ob dem benachrangten Fahrzeuglenker unter den festgestellten Umständen der Vertrauensgrundsatz (§ 3 StVO) zufolge Vorliegens einer unklaren (immer im bedenklichen Sinn auszulegenden) Verkehrssituation nicht zugute kam, und damit die Frage der objektiven und subjektiven Sorgfaltswidrigkeit, unrichtig gelöst.

Im Sinne der herrschenden Rechtsprechung (vgl ZVR 1977/148, 182/3, 4 mwN) darf nämlich grundsätzlich darauf vertraut werden, dass ein Kraftfahrzeug, an dem bei Annäherung an eine Kreuzung der rechte Blinker eingeschaltet ist, auch tatsächlich nach rechts abbiegen werde. Zweifel, welche diesen "Vertrauensgrundsatz" ausschließen, könnten sich etwa bei Einhalten einer solchen Geschwindigkeit ergeben, die ein Abbiegemanöver des bevorrangten Lenkers augenfällig als unmöglich erscheinen läßt (RZ 1999/68). Liegt eine unklare Situation tatsächlich vor, gehen die Zweifel zu Lasten desjenigen, der sich auf den "Vertrauensgrundsatz" beruft.

In dem hier zu beurteilenden Fall bestand aber für Josef R***** weder vor noch bei Beginn seines Einbiegemanövers in die bevorrangte Bundesstraße eine unklare Verkehrssituation. Denn bei eingeschaltetem Rechtsblinker war auch die festgestellte, von R***** als gleichbleibend beobachtete Annäherungsgeschwindigkeit des Fahrzeuges G***** von ca 40 km/h weder absolut noch in Relation zu der - im Zeitpunkt des Einfahrens des Fahrzeuges R***** - mit ca 14 m angenommenen Entfernung von der Kreuzung (innerhalb dieser Strecke wäre die Verminderung der Geschwindigkeit auf 20 km/h schon durch eine keineswegs ungewöhnliche stärkere Betriebsbremsung mit einer Verzögerung von 3,31 m/sec2 möglich gewesen) derart auffällig, dass die Durchführung des Abbiegemanövers nicht mehr im Bereich der Wahrscheinlichkeit lag. Andere Umstände, die - bezogen auf den maßgebenden Moment der Entschlussfassung R*****s zum Losfahren - eine unklare Verkehrssituation geschaffen haben könnten, sind den Urteilsfeststellungen nicht zu entnehmen, weshalb sein Verhalten (noch) innerhalb des erlaubten Risikos lag und ihm kein strafrechtlich fassbarer Vorwurf objektiver und subjektiver Sorgfaltswidrigkeit zu machen ist.

Das ihn schuldigsprechende Urteil erster Instanz und die den Schuldspruch bestätigende Berufungsentscheidung verstoßen daher gegen das Gesetz, weshalb der Beschwerde Folge zu geben und wie im Spruch ersichtlich zu entscheiden war.

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