OGH 15Os159/95

OGH15Os159/9511.1.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 11.Jänner 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch, Mag.Strieder, Dr.Rouschal und Dr.Schmucker als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Riedl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Markus V***** und Stojan V***** wegen des Vergehens der Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 298 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafachen Wien vom 22.Mai 1995, GZ 6 c E Vr 1053/95-12, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Fabrizy, jedoch in Abwesenheit des Beschuldigten Stojan V***** zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 22.Mai 1995, GZ 6 c E Vr 1053/95-12, verletzt im Schuldspruch des Stojan V***** (laut 1.b und 2. des Urteilssatzes) das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 2 Abs 1, 263 Abs 1, 267 StPO.

Dieses Urteil, das im übrigen (im Rahmen des Verfahrens über die Nichtigkeitsbeschwerde) unberührt bleibt, wird in den bezeichneten Teilen des Schuldspruchs sowie demgemäß im - den Angeklagten Stojan V***** betreffenden - Strafausspruch einschließlich des (damit in untrennbarem Zusammenhang stehenden) Ausspruchs, mit dem gemäß § 494 a Abs 1 Z 2 StPO vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht abgesehen werde, aufgehoben.

Zur Entscheidung über die Berufung der Staatsanwaltschaft wegen Nichtigkeit und Schuld, soweit sie sich gegen den Freispruch der Angeklagten Markus V***** und Stojan V***** richtet, sowie wegen des Ausspruchs über die Strafe bezüglich des Angeklagten Markus V***** und zur allfälligen Strafbemessung bezüglich des Angeklagten Stojan V***** sowie zur Entscheidung über den Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 22.Mai 1995, GZ 6 c E Vr 1053/95-12, wurde Markus V***** und Stojan V***** des Vergehens der Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 298 Abs 1 StGB, Letztgenannter überdies des Vergehens der falschen Beweissage vor einer Verwaltungsbehörde nach § 289 StGB schuldig erkannt.

Danach haben in Wien

1. Markus V***** und Stojan V***** dadurch, daß

a. Markus V***** am 21.September 1994 am Polizeiwachzimmer Sedlitzkygasse die Anzeige erstattete, der PKW Opel Omega, Kennzeichen W 735 RP, sei in der Zeit zwischen dem 16. und dem 21. September 1994 in Wien von unbekannten Tätern gestohlen worden,

b. Stojan V***** am 25.Jänner 1995 die obigen Angaben des Markus V***** vor dem Sicherheitsbüro der Bundespolizeidirektion Wien bestätigte,

obwohl beide wußten, daß das Fahrzeug dem Markus V***** am 14. September 1994 in Belgrad geraubt worden war, die Begehung einer strafbaren Handlung, nämlich des (zwischen dem 16. und dem 21. September 1994 verübten) Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch wissentlich vorgetäuscht;

2. Stojan V***** durch die zu Punkt 1.b. angeführte Aussage als Zeuge bei seiner förmlichen Vernehmung zur Sache vor einer Verwaltungsbehörde falsch ausgesagt.

Hingegen wurden Markus V***** und Stojan V***** vom Anklagevorwurf der Veruntreuung des zu Punkt 1.a. erwähnten Fahrzeuges gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Über die gegen diesen Freispruch von der Staatsanwaltschaft erhobene Berufung (ON 18) wurde noch nicht entschieden.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur mit der gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, steht der Schuldspruch des Stojan V***** mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Dazu ist zu erwägen:

Wird der Angeklagte bei der Hauptverhandlung noch einer anderen Tat beschuldigt, als wegen der er angeklagt ist, so kann der Gerichtshof, wenn sie von Amts wegen zu verfolgen ist, auf Antrag des Staatsanwaltes oder des durch diese Tat Verletzten, in anderen Fällen aber nur auf Begehren des zur Privatanklage Berechtigten die Verhandlung und das Urteil auch auf diese Tat ausdehnen (§ 263 Abs 1 erster Satz StPO).

Im vorliegenden Fall hatte der Staatsanwalt in seinem schriftlichen Strafantrag (§ 483 StPO) die Bestrafung des Stojan V***** bloß wegen der Beteiligung an der dem Markus V***** vorgeworfenen Veruntreuung begehrt (S 95 ff). Nach dem - vollen Beweis machenden - Protokoll über die Hauptverhandlung stellte der öffentliche Ankläger keinen Antrag dahin, die Verhandlung und das Urteil gegen Stojan V***** auch auf das Vergehen der Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung und auf das Vergehen der falschen Beweisaussage vor einer Verwaltungsbehörde auszudehnen (S 111 ff). Mangels Identität der Tathandlungen wäre aber eine solche Ausdehnung eine unabdingbare Voraussetzung für die Aburteilung derjenigen Taten gewesen, die vom schriftlichen Strafantrag nicht umfaßt waren.

Die aufgezeigte Überschreitung der Anklage stellt eine Nichtigkeit begründenden Gesetzesverletzung dar (§§ 489 Abs 1, 468 Abs 1 Z 4 iVm § 281 Abs 1 Z 8 StPO), die sich zum Nachteil des Stojan V***** auswirkte.

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war sohin der Schuldspruch des Stojan V***** und demzufolge der diesen Angeklagten betreffende Strafausspruch sowie der gleichfalls ihn betreffende Beschluß nach § 494 a Abs 1 Z 2 StPO aufzuheben.

Von der Generalprokuratur wurde in der zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde neben der Kassation des in Rede stehenden Schuldspruches die Fällung eines Freispruches gemäß § 259 Z 1 StPO begehrt und im Gerichtstag zur mündlichen Verhandlung auch eine Verfahrenseinstellung zur Erwägung gestellt.

Die Judikatur zur Frage der Erledigung eines Rechtsmittels gegen einen in erster Instanz unter Anklageüberschreitung ergangenen Schuldspruches ist geteilt.

Es finden sich folgende Varianten:

A/ Freispruch

1. von der Anklage gemäß § 259 Z 1 StPO: SSt 7/48; SSt 7/70;

2. von der Anklage gemäß § 259 Z 3 StPO: SSt 19/81, SSt 7/82, SSt 6/30, SSt 5/114 sowie sinngemäß SSt 60/18 im obiter dictum S 51;

3. von der dem erstgerichtlichen Urteil zugrundegelegten - vermeintlichen - (oder: von der im Urteil vorausgesetzten) Anklage gemäß § 259 Z 1 StPO: 12 Os 101/77, 12 Os 35/76, SSt 47/30 , 9 Os 201, 202/71;

4. von der im Urteil vorausgesetzen Anklage gemäß § 259 Z 3 StPO: 10 Os 162, 166/65;

5. von dem Vorwurf ... mangels Anklage (ohne Bezugnahme auf eine Gesetzesstelle): 14 Os 161/93, 15 Os 136, 137/89, 15 Os 39, 40/89, 10 Os 141/81, SSt 51/27, 9 Os 188/89, 13 Os 171, 172/79, EvBl 1979/217;

B/ Aufhebung

1. (bloße) Aufhebung: 12 Os 51/92, 15 Os 94/91, 15 Os 84, 85/91, 16 Os 5, 6/90, 14 Os 114/89, SSt 58/2 = RZ 1987/28, 14 Os 80/88, 9 Os 83/86, 12 Os 35, 52/86, 13 Os 29/86, SSt 56/58, 12 Os 163/84, SSt 53/17, EvBl 1980/41, EvBl 1980/134 = ZVR 1981/103, EvBl 1979/211, 11 Os 14, 15/78, 9 Os 15/7, 11 Os 85/76, KH 855, KH 222;

2. Aufhebung und Ausspruch im Tenor der Rechtsmittelentscheidung "Der genannte Teil des Schuldspruches wird aus dem Urteil ausgeschieden":

10 Os 192/76;

3. Aufhebung und Verfahreneinstellung (als Besonderheit in einem Privatanklageverfahren): EvBl 1978/186.

Der in der vorliegenden Sache entscheidende Senat schließt sich der unter B/1 dargestellten Rechtsprechung an, insbesondere den in SSt 53/17 angeführten Erwägungen, wonach die Strafprozeßordnung im Fall einer Anklageüberschreitung einen Freispruch eigener Art nur für das geschworenengerichtliche Rechtsmittelverfahren (§ 349 Abs 1 StPO) kennt, ihn aber nicht auch im Rechtsmittelverfahren gegen das Urteil eines Schöffengerichtes oder eines Einzelrichters vorsieht, aus § 288 Abs 2 Z 3 StPO ein Gebot, im Fall einer Anklageüberschreitung über die Urteilsaufhebung hinaus einen Freispruch eigener Art zu fällen, nicht abzuleiten ist, weil die dort enthaltene Forderung, eine Sachentscheidung aufgrund der vom Gerichtshof erster Instanz ohne Anklageüberschreitung festgestellten Tatsachen zu treffen ist und daher nur auf die Erledigung materiellrechtlicher Urteilsnichtigkeiten abzielt und für das Schöffen- und Einzelrichterverfahren eine über die Urteilsaufhebung hinausgehende Formalentscheidung auch prozeßtechnisch entbehrlich ist.

Angesichts der divergierenden Judikatur stellte sich die Frage, ob ein verstärkter Senat (§ 8 OGHG) einzuberufen sei. Der (einfache) Senat vermeinte jedoch, daß im Hinblick auf die völlig gleichen Konsequenzen für den Angeklagten (Beschuldigten) bei jeder der angeführten Varianten das im Ergebnis bloß einen prozeßtechnischen Umstand betreffende Problem keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darstellt, sodaß die Voraussetzungen des hier maßgebenden § 8 Abs 1 Z 2 OGHG nicht gegeben sind.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte