OGH 15Os136/08a

OGH15Os136/08a15.4.2009

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. April 2009 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek, Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Hofmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen Dr. Ernst G***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 13. März 2008, GZ 123 Hv 75/06k-79, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Dr. Ernst G***** von der Anklage, „er habe am 10. März 2006 in Wien als mit der Leitung der provisorisch eingerichteten kriminalpolizeilichen Abteilung bei der Bundespolizeidirektion Wien betrauter Beamter mit dem Vorsatz, dadurch einen anderen an seinen Rechten zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er Wolfgang B*****, den Geschäftsführer des als Erlebnis-Sauna-Betrieb getarnten Bordells 'G*****', von der für die Abendstunden dieses Tages vorgesehenen polizeilichen Kontrolle seines Lokals informierte, wodurch dieser in seinem Betrieb beschäftigte Mitarbeiter und Prostituierte warnen und auf die behördliche Nachschau vorbereiten konnte, sodass der Staat an seinen konkreten Rechten auf Kontrolle der Einhaltung fremdenrechtlicher Bestimmungen, Überprüfung von Rotlichtlokalen in Richtung Zuführen zur Prostitution, Zuhälterei und grenzüberschreitenden Prostitutionshandel sowie auf Ergreifung entsprechender fremdenrechtlicher oder strafrechtlicher Maßnahmen geschädigt wurde", gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Freispruch gerichteten, allein auf Z 5 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft kommt keine Berechtigung zu.

Die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) moniert, das Erstgericht habe sich bei Begründung der entscheidenden „Negativfeststellung" (wonach der Angeklagte Wolfgang B***** weder im Zuge des Treffens am 10. März 2006 im Café S***** noch zu irgendeinem anderen Zeitpunkt von der für die Abendstunden dieses Tages vorgesehenen polizeilichen Kontrolle dessen Lokals informiert hatte) im Wesentlichen darauf beschränkt, die Verantwortung des Angeklagten sowie die Aussagen der Zeugen Wolfgang B***** und Rechtsanwalt Dr. Christian N***** wiederzugeben, „ohne diese Aussagen im Lichte - in der Beschwerde jedoch nicht bezeichneter - widerstreitender Beweisergebnisse zu würdigen" (Z 5 zweiter Fall). Die Tatrichter haben den bekämpften Ausspruch jedoch ersichtlich gerade auch auf die Depositionen des Angeklagten (US 30 ff) und der Zeugen Wolfgang B***** (US 20, 33 ff und 40) sowie Dr. Christian N***** (US 20, 38 f, 40) gegründet und die zwischen der Verantwortung des Angeklagten und der Zeugenaussage Wolfgang B*****s bestehenden Widersprüche erörtert (US 35 f).

Der Vorwurf, bei den „drei gewichtigen", vom Erstgericht für die Unschuld des Angeklagten ins Treffen geführten Argumenten handle es sich um bloße Scheingründe erweist sich aus folgenden Erwägungen als unberechtigt:

Mit dem Einwand, es sei durch keinerlei Beweisergebnisse indiziert, ob dem Angeklagten die auf US 9 angeführten früheren Kontrolltermine bekannt waren und er somit in der Lage gewesen wäre, diese zu verraten, wird keine erhebliche und nur solcherart erörterungsbedürftige Tatsache (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 409) angesprochen, weil selbst ohne dienstliche Befassung Dris. G***** mit derartigen in Aussicht genommenen Amtshandlungen jedenfalls nicht ausgeschlossen werden kann, dass es ihm möglich gewesen wäre, sich entsprechende Kenntnis zu verschaffen. Überdies vernachlässigt die Nichtigkeitswerberin die Erwägungen der Tatrichter, wonach bei etlichen Telefonaten zwischen Wolfgang B***** und dem Angeklagten ab Februar 2006 die in dieser Zeit erfolgten Razzien nie erörtert wurden und es auch nach dem 10. März 2006 zu keinen „relevanten Kontakten" zwischen den beiden genannten Personen kam, obwohl der Angeklagte jedenfalls in Kenntnis der Razzia vom 24. März 2006 war. Auch die in diesem Zusammenhang angestellte Überlegung der Erstrichter, dass „der Verrat einer einzigen Razzia" im Fall, dass der Angeklagte Wolfgang B***** tatsächlich zeitgerecht vor polizeilichen Lokalkontrollen hätte warnen wollen, „wenig Sinn" machen würde, steht im Einklang mit den Kriterien logischen Denkens und überdies - der Rüge zuwider - auch nicht im Widerspruch zur Verantwortung des Angeklagten, die Kontrollen nicht wirklich verfolgt und aufgrund seines mangelnden Wissens um Übergabe einer Liste der Kontrollen ersucht zu haben. Die Tatrichter waren zu einer Erörterung dieser Einlassung daher nicht verpflichtet.

Der Einwand, dass die erstgerichtliche Erwägung, Wolfgang B***** habe eine Razzia am 10. März 2006 deshalb erwarten können, weil „er bereits etliche Lokalkontrollen, insbesondere an Tagen mit wichtigen Feierlichkeiten erlebt hat", mangels entsprechender Feststellungen, ob an den in US 9 angeführten Terminen tatsächlich vergleichbare Veranstaltungen stattgefunden hätten, „eine bloß willkürliche Annahme" darstelle, erweist sich schon deshalb als ungerechtfertigt, weil die kritisierte Konstatierung ersichtlich in den insoweit für glaubwürdig befundenen Angaben Wolfgang B*****s (vgl US 20, 35 und 38) iVm der Einlassung des Zeugen RA Dr. N***** (US 38 f) gründet. Das Argument der Erstrichter, das Treffen am 10. März 2006 nur zum Zweck der Informationsweitergabe sei mit Blick darauf, dass von einem Treffen zwischen dem Angeklagten und Wolfgang B***** im Zuge von diversen Telefonaten bereits mehrfach die Rede gewesen war, „nicht schlüssig", kritisiert die Beschwerde ihrerseits mit der rein spekulativen Überlegung, dass die für diesen Abend geplante Lokalkontrolle dennoch zur Sprache gekommen sein könnte. Die daran anschließende Behauptung, dass diese Begründung „keinen sachlichen Bezug zu den getroffenen Feststellungen" biete, ist nicht nachvollziehbar.

Entgegen den weiteren unvollständige Begründung (Z 5 zweiter Fall) einwendenden Ausführungen der Mängelrüge setzte sich das Erstgericht mit den „zahlreichen entscheidungsrelevanten Telefonaten", die Wolfgang B***** mit diversen Gesprächspartnern („etwa seinem Rechtsanwalt Dr. Christian N***** oder seinem Financier 'F*****'") geführt hatte - wobei das Schöffengericht sowohl den jeweiligen Zeitpunkt, zu dem die einzelnen Gespräche geführt wurden, als auch deren (sinngemäßen) Inhalt auf US 13 bis 24 ausführlich wiedergab -, hinreichend auseinander, erkannte es doch diese Telefongespräche als für das gegenständliche Strafverfahren relevant (US 13) und stufte Gespräche zwischen dem Angeklagten und Wolfgang B***** als „bedenklich" ein (US 12). Die Tatrichter gingen daher - ersichtlich unter Beachtung auch der aus den Telefonüberwachungsmaßnahmen ableitbaren, den Angeklagten iSd des Anklagevorwurfs belastenden Indizien und damit des zeitlichen Ablaufs sowie Zusammenhangs der verfahrensrelevanten Geschehnisse - sogar von einer „durchaus gegründeten Verdachtslage" aus (US 39). Letztlich gelangten sie aber unter Berücksichtigung der Gesamtheit der Verfahrensergebnisse, darunter die leugnende Verantwortung des Angeklagten und die diesen nicht belastenden Angaben des Zeugen Wolfgang B*****, in freier Beweiswürdigung - und unter Anführung der dafür maßgeblichen Überlegungen - zum Ergebnis, es sei nicht erwiesen, dass der Angeklagte Wolfgang B***** - entgegen dem Anklagevorwurf - im Zuge des Zusammentreffens am 10. März 2006 oder zu irgendeinem anderen Zeitpunkt von der für die Abendstunden des genannten Tages vorgesehenen polizeilichen Kontrolle dessen Lokals „G*****" informiert hätte (US 21 iVm 39 ff).

Eine unvollständige Begründung des Urteils (iSd Z 5 zweiter Fall) liegt keineswegs schon dann vor, wenn das Gericht nicht den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen wie überhaupt alle Verfahrensergebnisse (so etwa auch die aus einer Überwachung der Telekommunikation gewonnenen Informationen und Gesprächsinhalte) in allen Einzelheiten erörtert und darauf untersucht, inwieweit sie für oder gegen diese oder jene Darstellung sprechen; ebenso muss es sich nicht mit jedem gegen seine Beweiswürdigung möglichen, im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde konkret erhobenen Einwand im Voraus auseinandersetzen. Es genügt vielmehr, wenn das Schöffengericht im Urteil in gedrängter Form (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) die entscheidenden Tatsachen bezeichnet sowie schlüssig und zureichend begründet, warum es von der Richtigkeit dieser Annahmen überzeugt ist, ohne dagegen sprechende wesentliche Umstände mit Stillschweigen zu übergehen (RIS-Justiz RS0106295, RS0098717). Dass im vorliegenden Fall aus den (formell einwandfrei) ermittelten Prämissen unschwer auch andere, für den Angeklagten (hier:) nachteilige Schlussfolgerungen möglich gewesen wären, die Erkenntnisrichter sich aber dennoch mit mängelfreier Begründung für eine den Angeklagten günstigere Variante entschieden haben, ist als Akt freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) aus Z 5 nicht bekämpfbar (vgl RIS-Justiz RS0098400, RS0114524). Den Vorwurf einer gegen die Grundsätze logischen Denkens und grundlegende Erfahrungssätze verstoßenden Begründung der getroffenen Feststellungen erhebt jedoch nicht einmal die Rechtsmittelwerberin, geht sie doch bloß davon aus, dass aus den entscheidungsrelevanten Verfahrensergebnissen auf die objektive und subjektive Tatbestandsverwirklichung durch den Angeklagten geschlossen werden könnte (S 12 zweiter Absatz der Beschwerdeschrift), bzw die verfahrensrelevanten Geschehnisse nach der allgemeinen Lebenserfahrung im Zusammenhalt mit den erstgerichtlichen Feststellungen darauf hindeuten, dass Dr. G***** die in Rede stehende Lokalkontrolle verraten habe (S 10 der Beschwerdeschrift). Indem die Nichtigkeitswerberin aus dem Umstand, dass Wolfgang B***** am Morgen des 24. Februar 2006 erfolglos versucht hatte, den Angeklagten telefonisch in Brüssel zu erreichen mit eigenen Beweiswert- und Plausibilitätserwägungen den Schluss zieht, der Genannte habe sich offenkundig über die Hintergründe einer am Vortag in seinem Lokal „G*****" stattgefundenen Razzia erkundigen wollen, bekämpft sie bloß die tatrichterliche Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung.

Der Vorwurf mangelnder Begründung (Z 5 vierter Fall) des Ausspruchs, Wolfgang B***** habe am 24. Februar 2006 gegen 12:45 Uhr (US 15) und am 9. März 2006 um 19:41 Uhr (US 17) jeweils mit einem unbekannt gebliebenen Teilnehmer, das Telefonat vom 10. März 2006 gegen 14:00 Uhr (US 21 f) hingegen mit „F*****" geführt, legt nicht dar, inwiefern die konkrete Kenntnis der Person des jeweiligen Gesprächspartners des Wolfgang B***** bei den angeführten Telefonaten die Sach- und Beweislage hätte verändern können.

Dem weiteren Beschwerdevorbringen zuwider haben die Tatrichter die relevierten Widersprüche in den Angaben des Angeklagten und des Zeugen Wolfgang B***** explizit angeführt und konkludent zum Ausdruck gebracht, dass sie auch insoweit - im Zweifel - den Erklärungen des in der Hauptverhandlung mit diesen Widersprüchen konfrontierten Angeklagten folgten (US 35 f [„... Auf diese Widersprüche angesprochen gab der Angeklagte an, sich die ursprüngliche Aussage des Wolfgang B***** nur damit erklären zu können ..."] iVm US 41). Auch mit der Kritik an der - vorgeblich - unterbliebenen Berücksichtigung der von Wolfgang B***** am Abend des 10. März 2006 ergriffenen Maßnahmen (der Genannte hatte gegen 18:00 Uhr seine Angestellten sowie die anwesenden Prostituierten auf eine an diesem Abend möglicherweise stattfindende Razzia hingewiesen und die Reisepässe und Meldezettel der anwesenden Damen kontrolliert) ist die Beschwerdeführerin gleichfalls nicht im Recht. Denn dieser Geschehensablauf wurde in den Entscheidungsgründen explizit angeführt (vgl US 22 f), sodass davon auszugehen ist, dass die Erstrichter diese Aktionen des Zeugen B***** ebenfalls als Indiz für die zusammenfassend als „durchaus gegründet" angesehene Verdachtslage (US 39) werteten. Daraus erhellt, dass auch diese Verfahrensergebnisse bei der von den Tatrichtern angestellten Beweiswürdigung nicht unberücksichtigt blieben. Eine nichtigkeitsbegründende Unvollständigkeit iSd Z 5 zweiter Fall liegt sohin nicht vor. Weshalb die (im Rahmen der Beweiswürdigung, US 40) getroffene Feststellung, es habe am 10. März 2006 keine Razzia stattgefunden, sei eine solche doch in der „V*****" durchgeführt worden, eine erhebliche oder gar entscheidende Tatsache betreffen sollte, legt die Beschwerde angesichts des Umstands, dass dem Angeklagten der Verrat der in Aussicht genommenen Kontrolle des Lokals „G*****" vorgeworfen wurde und Wolfgang B***** sich laut den getroffenen Feststellungen gezielt auf eine solche in diesem Lokal eingestellt hatte, nicht dar.

Mit der Argumentation, der Schöffensenat hätte „die Art und Weise,

auf welche einzelne Telefonate geführt wurden, nämlich mit einem

kryptischen Unterton oder mit stimmlichen Merkmalen, die deutlich

Überraschung ausdrückten oder einen geheimnisvollen Charakter

innehatten", erörtern müssen, bekämpft die beschwerdeführende

Staatsanwaltschaft bloß den aus der unmittelbaren Abhörung der

aufgezeichneten Telefongespräche gewonnenen persönlichen - nicht

restlos analysierbaren und in allen Einzelheiten in Worte fassbaren -

Eindruck der Tatrichter über die Bedeutung dieser Telefonate für die

Lösung der Schuldfrage (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 431; RIS-Justiz

RS0098519, RS0106588); damit wird lediglich die Beweiswürdigung der

Tatrichter angegriffen, ohne ein Begründungsdefizit iSd Z 5 deutlich

und bestimmt aufzuzeigen. Bleibt zudem anzumerken, dass das

Schöffengericht die von der Beschwerdeführerin vermissten Bewertungen

(„Art und Weise ...") einzelner Telefongespräche teilweise ohnehin in

der schriftlichen Urteilsausfertigung zum Ausdruck brachte (vgl US 17

[„... zeigte sich Wolfgang B***** überrascht und antwortet ..."], US

20 [„... und erklärte diesem nachdrücklich, ..."] und US 22 [„... bei

dem Wort 'Besuch' wird F***** hellhörig und fragt mit Betonung 'Besucher?' nach ..."]).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

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