OGH 15Os124/94

OGH15Os124/948.9.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 8.September 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch, Mag.Strieder, Dr.Rouschal und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Kriz als Schriftführer, in der Strafsache gegen Ladislaus M***** wegen des Verbrechens des Beischlafes mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Schöffengericht vom 13.Mai 1994, GZ 15 Vr 1334/93-34, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ladislaus M***** der Verbrechen des Beischlafes mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (1.) und der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (2.) schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

Ihm liegt zur Last, zwischen Sommer 1992 und Dezember 1993 in Oberpullendorf

(zu 1.) wiederholt mit einer unmündigen Person, nämlich der am 15. Juli 1984 geborenen Elisabeth L*****, den außerehelichen Beischlaf unternommen zu haben, indem er mit seinem Glied in ihre Scheide einzudringen trachtete [und hiebei ihren Geschlechtsteil berührte];

(zu 2.) in jedenfalls einem Angriff eine unmündige Person, nämlich die am 15.Juli 1984 geborene Elisabeth L*****, auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht zu haben, indem er das Mädchen an der Scheide abtastete.

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Gründe des § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a (der Sache nach Z 9 lit b) und 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der keine Berechtigung zukommt.

Unter dem zuerst genannten Nichtigkeitsgrund (Z 5) rügt der Beschwerdeführer, das angefochtene Urteil enthalte zum Schuldspruchsfaktum 2. keine bzw offenbar unzureichende Gründe, weil die Feststellungen hiezu "nicht auf abgesicherten Beweisergebnissen [nämlich der als glaubwürdig dargestellten Äußerungen des Kindes selbst], sondern auf bloßen Vermutungen einer 'Zeugin vom Hörensagen' [der Mutter des Kindes] beruhen".

Die Rüge versagt.

Das Gericht ist gemäß § 258 Abs 2 StPO verpflichtet, die in der Hauptverhandlung vorgeführten Beweismittel (hier konkret: die Aussage der Zeugin Ottilie L*****) sowohl einzeln als auch in ihrem Zusammenhang auf Glaubwürdigkeit und Beweiskraft sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen. Dabei richtet sich die Entscheidung, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen sei, nicht nach gesetzlichen Beweisregeln, wie sie dem Beschwerdeführer ersichtlich vorschweben, sondern nach der freien, aus der gewissenhaften Prüfung des für und wider vorgebrachten Beweismaterials gewonnen gerichtlichen Überzeugung. Freie Beweiswürdigung ist nämlich ein kritisch-psychologischer, in logische Schlußfolgerungen mündender (verstandes-, nicht gefühlsmäßiger) Vorgang, der seinen Niederschlag in den Urteilsgründen findet (vgl Mayerhofer/Rieder StPO3 § 258 E 16). Dem erkennenden Gericht ist gemäß § 270 Abs 2 Z 5 iVm § 281 Abs 1 Z 5 StPO aufgetragen, überprüfbar, schlüssig und zureichend zu begründen, welche Umstände zur Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer tatsächlichen Behauptung geführt haben. Es liegt auf der Hand, daß dabei der spezifische Charakter des Zeugnisses "vom Hörensagen" (mit) in Betracht zu ziehen ist (vgl zum Problem des Zeugen "vom Hörensagen" SSt 41/7).

Diesen vorstehend dargelegten gesetzlichen Erfordernissen werden die Entscheidungsgründe - der Beschwerde zuwider - (auch) in bezug auf den bekämpften Schuldspruch wegen des Verbrechens laut Punkt 2. des Urteilssatzes durchaus gerecht. Im Bewußtsein der vielfältigen Bedenken, die nach forensischer Erfahrung gegen das Zeugnis "vom Hörensagen" generell bestehen, hat sich das Schöffengericht - unter Einbeziehung einer Wertung der leugnenden Verantwortung des Angeklagten - nicht nur mit der Aussagefähigkeit und Aussageehrlichkeit des (in der Hauptverhandlung nicht unmittelbar vernommenen) unmündigen Unzuchtsopfers, der Zeugin Elisabeth L*****, besonders kritisch und sorgfältig auseinandergesetzt, sondern ebenso mit der Beweiskraft der Aussage ihrer Mutter, der (indirekten) Zeugin Ottilie L***** (US 4 ff), und mit zureichender (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) und denkmöglicher Begründung dargelegt, aus welchen Erwägungen es die Schuld des Angeklagten auch in diesem Punkt für erwiesen hielt.

Begründungsmängel von der in der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO genannten Art vermag demnach die Beschwerde nicht darzutun. Daß die denkmöglich gezogenen Schlußfolgerungen des Schöffensenates dem Beschwerdeführer nicht überzeugend genug erscheinen, gibt keinen mit Nichtigkeit bedrohten Begründungsmangel ab, vielmehr richtet sich das Beschwerdevorbringen in Wahrheit einzig und allein gegen die freie schöffengerichtliche Beweiswürdigung, die jedoch gemäß §§ 258 Abs 2, 288 Abs 2 Z 3 StPO jeder Anfechtung im Nichtigkeitsverfahren vor dem Obersten Gerichtshof entrückt ist (vgl Mayerhofer/Rieder aaO § 281 Z 5 E 147).

Anzumerken ist in diesem Zusammenhang noch, daß es dem Beschwerdeführer freigestanden wäre, in der Hauptverhandlung die Zeugin Ottilie L***** zu dem ihr von der Tochter mitgeteilten inkriminierten Unzuchtsvorwurf näher zu befragen. Gegen die Abweisung eines darauf gerichteten Antrages durch den Gerichtshof wäre ihm sodann die Verfahrensrüge nach der Z 4 des § 281 Abs 1 StPO offengestanden.

Nominell aus dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit a (der Sache nach jedoch Z 9 lit b) StPO reklamiert der Beschwerdeführer einen Feststellungsmangel dahingehend, daß das Erstgericht "die Frage, ob der Angeklagte in den Tatzeitpunkten durch eine abnorme Persönlichkeitsbildung nicht unzurechnungsfähig war, nicht geprüft hat".

Diesem Vorwurf ist zu entgegnen, daß zum einen das Strafgesetzbuch grundsätzlich von der Schuldfähigkeit des Täters ausgeht und Zurechnungsunfähigkeit als Ausnahme hievon nur aus den im § 11 StGB angeführten Gründen gelten läßt. Durch die Unterlassung von Feststellungen zur Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten brachte das Erkenntnisgericht daher in dem hier zu beurteilenden Fall implizite, aber dennoch unmißverständlich zum Ausdruck, daß es die Schuldfähigkeit des Beschwerdeführers uneingeschränkt als gegeben erachtete (vgl 11 Os 108/92 nv). Zum anderen sind der Aktenlage (entgegen der Beschwerdebehauptung auch nicht den allgemeinen Ausführungen des Sachverständigen Univ.Prof.Dr.Max F***** "bezüglich der Täterprofile bei sexuellem Kindesmißbrauch" - 263 -, der über häufig zu beobachtende Leugnungs- und Verdrängungstendenzen solcher Täter nach der Tat berichtete, die nach forensischer Erfahrung mit der Schuldfähigkeit zur Zeit der Tat üblicherweise in keinem Zusammenhang stehen) keine Anhaltspunkte für eine (allfällige) Zurechnungsunfähigkeit des Angeklagten zu entnehmen; demzufolge war das Erstgericht auch nicht verhalten, sich mit dieser Frage in den Entscheidungsgründen auseinanderzusetzen (vgl Mayerhofer/Rieder aaO § 281 Z 9 b E 34; 12 Os 96/92 nv uva). Die Rechsrüge verfehlt somit die prozeßordnungsgemäße Darstellung.

Die Subsumtionsrüge (Z 10), mit welcher der Nichtigkeitswerber (irrig) vermeint, seine Verurteilung wegen des Verbrechens nach § 207 Abs 1 StGB zusätzlich wegen des Verbrechens nach § 206 Abs 1 StGB "wegen einer einheitlichen Tathandlung" sei zu Unrecht erfolgt, geht an den - wie dargelegt - mängelfrei begründeten Feststellungen zum Schuldspruch laut Punkt 2. des Urteilssatzes (US 2, 4 vorl Abs, 7 erster Abs iVm der Aussage der Zeugin Ottilie L***** 255 erster Abs) vorbei, denen mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, daß es sich bei der in Rede stehenden Unzuchtstat (im Gegensatz zu der insoweit rechtlich verfehlten Anklage - ON 25 - ) um einen zeitlich und sachverhaltsmäßig gesonderten Angriff des Angeklagten auf das unmündige Unzuchtsopfer Elisabeth L***** handelt und entbehrt somit gleichfalls einer prozeßordnungsgemäßen Darstellung.

Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrundes erfordert indes das Festhalten an dem gesamten wesentlichen im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleichung mit dem darauf angewendeten Gesetz und den Nachweis, daß das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhaltes einem Rechtsirrtum unterlegen sei (Mayerhofer/Rieder aaO § 281 E 30; § 281 Z 10 E 9). Gegen diese zwingenden gesetzlichen Gebote verstoßen aber die beiden Rechtsrügen.

Nicht nachvollziehbar schließlich ist der Rechtsmittelantrag, "nach § 288 a StPO die Hauptverhandlung zu vernichten"; denn der (der Sache nach damit relevierte) Nichtigkeitsgrund des § 281 a StPO (Entscheidung eines unzuständigen Oberlandesgerichtes über einen Anklageeinspruch oder eine Versetzung in den Anklagestand), auf den § 288 a StPO abstellt, konnte im vorliegenden Verfahren, in welchem ein Oberlandesgericht im genannten Zusammenhang (vgl ON 19) gar nicht angerufen worden ist, von vorneherein nicht verwirklicht worden sein.

Aus den dargelegten Gründen war daher die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten teils als offenbar unbegründet, teils als nicht gesetzmäßig ausgeführt schon bei einer nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 285 d Abs 1 Z 1 und 2 iVm § 285 a Z 2 StPO).

Daraus folgt, daß die Kompetenz zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten dem Oberlandesgericht Wien zufällt (§ 285 i StPO).

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