OGH 15Os110/18t

OGH15Os110/18t23.8.2018

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. August 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wieser als Schriftführerin in der Auslieferungssache des Milo B*****, AZ 30 HR 213/18p des Landesgerichts Innsbruck, über den Antrag des Genannten auf Erneuerung des Verfahrens und den damit verbundenen Antrag auf Zuerkennung aufschiebender Wirkung nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0150OS00110.18T.0823.000

 

Spruch:

Die Anträge werden zurückgewiesen.

 

Gründe:

Mit Beschluss vom 20. Juni 2018, GZ 30 HR 213/18p-29, erklärte die Einzelrichterin des Landesgerichts Innsbruck die mit Note des Justizministeriums der Republik Serbien vom 14. Juni 2018, AZ 713‑01‑04571/2017‑08 (ON 26, 28) begehrte Auslieferung des kroatischen Staatsangehörigen Milo B***** zur Strafverfolgung wegen der im Ersuchen samt Unterlagen beschriebenen Verdachtslage für zulässig.

Der dagegen gerichteten Beschwerde des Betroffenen gab das Oberlandesgericht Innsbruck mit Beschluss vom 26. Juli 2018, AZ 7 Bs 170/18k, nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Gegen den letztgenannten Beschluss richtet sich der auf eine Verletzung der Art 3 und 6 MRK gestützte Antrag der betroffenen Person auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO.

Soweit im Erneuerungsantrag mangelnde Fairness des Verfahrens vor den österreichischen Gerichten reklamiert wird, ist ihm zu erwidern, dass das Auslieferungsverfahren selbst nicht in den Anwendungsbereich des Art 6 MRK fällt (RIS-Justiz RS0123200 [T3]).

Die Verfahrensgarantien des Art 6 MRK können für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung nur dann Relevanz erlangen, wenn die betroffene Person nachweist, dass ihr im ersuchenden Staat ein faires Verfahren offenkundig verweigert würde (RIS‑Justiz RS0123200; Göth‑Flemmich in WK2 ARHG § 19 Rz 14 mwN).

Damit geht die Behauptung „mangelnder Einsicht in die Auslieferungsunterlagen“ (vgl jedoch ON 1 S 6) ebenso ins Leere wie das Vorbringen, das Oberlandesgericht hätte unzureichend begründet (vgl jedoch BS 8 f), weshalb der Sachverhalt nach österreichischem Recht nicht nach § 27 Abs 2 SMG zu beurteilen wäre (vgl Art 2 Abs 1 des – hier anzuwendenden – Europäischen Auslieferungs-übereinkommens; vgl RIS‑Justiz RS0125233 zum formellen Prüfungsprinzip im Auslieferungsverfahren). Weshalb Art 2 Abs 1 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens trotz der Formulierung „im Höchstmaß von mindestens einem Jahr oder mit einer strengeren Strafe bedroht“ so zu interpretieren wäre, dass eine auslieferungsfähige strafbare Handlung nur vorliegt, wenn sie nach österreichischem Recht mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist, wird nicht klar.

Mit dem Vorbringen, die Auslieferungsunterlagen wären vom ersuchenden Staat zu spät übermittelt worden, wird im Übrigen verkannt, dass Art 16 Abs 4 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens, welcher eine Frist von 18 Tagen festlegt, lediglich die vorläufige Auslieferungshaft betrifft.

Eine Auslieferung kann für den Aufenthaltsstaat eine Konventionsverletzung bedeuten, wenn die betroffene Person im Zielstaat einer Strafe oder Behandlung ausgesetzt wird, welche die Schwelle zur unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung erreicht und daher mit Art 3 MRK unvereinbar ist (RIS‑Justiz RS0123201, RS0123229).

Im Zielstaat drohende Freiheitsstrafen können nur dann in ein Spannungsverhältnis zu Art 3 MRK treten, wenn sie in keiner Relation zur Schuld des Täters und zum Unrechtsgehalt der Tat stehen (RIS‑Justiz RS0118079), wobei Fragen des geeigneten Strafmaßes grundsätzlich außerhalb des Anwendungsbereichs der Konvention liegen und nach der Rechtsprechung des EGMR insoweit ein großer Beurteilungsspielraum der unterschiedlichen Strafrechtsordnungen in dieser kriminalpolitischen Frage akzeptiert wird (14 Os 41/12d mwN; vgl dazu allgemein Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 20 Rz 46).

Der einen Verstoß gegen Art 3 MRK behauptende Betroffene hat die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen, ernsthaften (gewichtigen) Gefahr schlüssig nachzuweisen, wobei der Nachweis hinreichend konkret sein muss. Die bloße Möglichkeit drohender unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung reicht nicht aus. Demnach muss ein konkretes, anhand stichhaltiger Gründe belegbares Risiko bestehen, die betroffene Person würde im Empfangsstaat der tatsächlichen Gefahr einer Art 3 MRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt sein (RIS‑Justiz RS0123201, RS0123229).

Diesen Anforderungen entspricht das Vorbringen, das sich auf einen unter dem Blickwinkel des Art 3 MRK nicht entscheidenden Vergleich der abstrakten Strafdrohungen nach österreichischem und serbischem Recht beschränkt, schon grundsätzlich nicht, weil eine dem Betroffenen bei Verurteilung wegen der ihm vorgeworfenen Straftat tatsächlich drohende (im Sinne der Rechtsprechung des EGMR) „grob unverhältnismäßige“ Strafe nicht einmal behauptet wird (RIS-Justiz RS0123229 [T10]).

Mit dem Vorbringen, den Erneuerungswerber erwarte im Zielstaat aufgrund seiner kroatischen Staatsangehörigkeit ein Verfahren, das den Grundsätzen des Art 3 und 6 MRK widerspreche, wird eine konkret drohende Konventionsverletzung nicht dargelegt.

Die unter Hinweis auf seine familiäre Situation erstmals vage angesprochene Verletzung des Art 8 MRK wurde in der Beschwerde (ON 36) nicht releviert und kann daher mangels vertikaler Erschöpfung des Rechtswegs (RIS‑Justiz RS0122737 [T6]) dahingestellt bleiben.

Der Erneuerungsantrag war daher – im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – als offenbar unbegründet zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO).

 

Zum Antrag auf Zuerkennung aufschiebender Wirkung:

Mit Blick auf die Kompetenzen des § 362 Abs 5 StPO nimmt der Oberste Gerichtshof zwar die Befugnis in Anspruch, den Vollzug mit Erneuerungsantrag bekämpfter Entscheidungen zu hemmen, ein Antragsrecht betroffener Personen ist daraus jedoch nicht abzuleiten (RIS‑Justiz RS0125705). Der dennoch darauf bezogene Antrag des Erneuerungswerbers war daher als unzulässig zurückzuweisen.

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