OGH 15Os105/18g

OGH15Os105/18g26.9.2018

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. September 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Ertl, LL.M., als Schriftführer in der Strafsache gegen Zabiullah I***** wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 27. April 2018, GZ 58 Hv 106/17d‑99, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0150OS00105.18G.0926.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Zabiullah I***** des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er sich von 1. Oktober 2002 bis 2015 in der afghanischen Provinz Wardak als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) an der terroristischen Vereinigung Hesb‑e Islami Gulbuddin (kurz: HIG) in dem Wissen beteiligt, dass er dadurch diese oder deren strafbare Handlungen fördert, indem er für diese Organisation bewaffnet mehrfach an militärischen Operationen und Kampfhandlungen teilnahm und als Kommandant Waffen verwaltete.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

Entgegen der Beschwerde (nominell Z 9 lit a, der Sache nach Z 5 vierter Fall) blieben die Feststellungen zu den Aktivitäten der HIG und ihren Zielsetzungen (US 8 f und 11 f) nicht unbegründet, sondern wurden auf das Sachverständigengutachten des Afghanistan-Experten Thomas R***** gestützt (US 14 f).

Das Schöffengericht hat sich dabei auch mit den von der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) genannten Aussagen des Sachverständigen über die Schwierigkeit, Terroranschläge einzelnen Gruppierungen zuzuordnen, und über die Ausrichtung der HIG auseinandergesetzt, aber nicht die von der Beschwerde angestrebten Schlüsse gezogen (US 14).

Soweit sich die Rüge (Z 5 zweiter Fall) gegen die Feststellungen zum Abschuss eines ISAF‑Beobachtungs-helikopters im März 2008 sowie zu weiteren der HIG zugeordneten Anschlägen (US 8) richtet, spricht sie keine entscheidenden Tatsachen an (RIS‑Justiz RS0117264), reicht doch für das Bestehen einer terroristischen Vereinigung (unter anderem) schon die Ausrichtung des (auf längere Zeit angelegten) Zusammenschlusses, dass zumindest künftig von einem oder mehreren Mitgliedern dieser Vereinigung eine oder mehrere terroristische Straftaten (§ 278c StGB) ausgeführt werden (Plöchl in WK2 StGB § 278b Rz 7).

Keine Aktenwidrigkeit im Sinn einer unrichtigen Wiedergabe des Inhalts einer Aussage oder eines anderen Beweismittels (RIS‑Justiz RS0099547) zeigt die Mängelrüge (Z 5 fünfter Fall) mit der Behauptung auf, der Sachverständige habe entgegen der Urteilsbegründung die Eignung der terroristischen Straftaten, eine schwere oder längere Zeit anhaltende Störung des öffentlichen Lebens oder eine schwere Schädigung des Wirtschaftslebens herbeizuführen (US 12 iVm US 15), weder bejaht noch plausibel begründet. Denn sie übersieht, dass der Sachverständige die von der Verteidigerin gestellte Frage nach der „tiefgreifenden Erschütterung des Wirtschaftslebens“ durch Anschläge der HIG bejaht hat (ON 72 S 8). Unter dem ebenfalls angesprochenen Aspekt der Z 5 vierter Fall sind bei einer Gesamtbetrachtung des Gutachtens (ON 72 S 3 ff iVm ON 22) die von den Tatrichtern gezogenen Schlüsse jedenfalls vertretbar (RIS‑Justiz RS0098471).

Unter Hinweis auf die afghanische Staatsangehörigkeit des Angeklagten, seinen Aufenthalt in Österreich seit 14. Mai 2015, seinem am selben Tag gestellten Antrag auf internationalen Schutz nach dem AsylG (US 2, 12) und die ausschließlich im Ausland gesetzten Tathandlungen (US 11) behauptet die Rechtsrüge (Z 9 lit a) mit Verweis auf § 64 Abs 1 Z 9 lit a, b und f StGB das Fehlen von Feststellungen, „ob“ der Angeklagte zur Tatzeit in Österreich wohnhaft oder gewöhnlich aufhältig war, zur Zeit der Tat oder der Einleitung des Strafverfahrens österreichischer Staatsbürger war, oder zur Tatzeit Ausländer war und im Zeitpunkt der Urteilsfällung erster Instanz nicht ausgeliefert werden konnte.

Indem sie ihre rechtliche Annahme, § 64 Abs 1 Z 9 lit b StGB stelle auf einen im Tatzeitpunkt bestehenden Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland ab, auf eine Literaturmeinung (Salimi in WK2 StGB § 64 Rz 113, 67), eine bislang vereinzelt gebliebene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (11 Os 137/16f) sowie eine Kommentierung und Entscheidung zu § 64 Abs 1 Z 4a lit a StGB (Schwaighofer, SbgK § 64 Rz 76 ff; 13 Os 147/15i; vgl aber 12 Os 15/17y aE) stützt, verfehlt sie eine prozessordnungskonforme Darstellung. Sie setzt sich nämlich nicht mit der (eingehend begründeten) aktuelleren gegenteiligen Judikatur des Obersten Gerichtshofs auseinander (RIS‑Justiz RS0116962 [T3]), wonach § 64 Abs 1 Z 9 lit b StGB nicht auf den Tatzeitpunkt abstellt, sondern es für die Begründung inländischer Gerichtsbarkeit (angesichts der Zielsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung [2002/475/JI]) ausreicht, wenn zumindest im Zeitpunkt der Einleitung des Strafverfahrens ein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt des Angeklagten im Inland besteht (RIS‑Justiz RS0131457, RS0131431, RS0131306 [T1 und T2]). Das übrige Vorbringen zur inländischen Gerichtsbarkeit kann daher auf sich beruhen.

Weshalb das Erstgericht auch Feststellungen zu treffen gehabt hätte, „ob die HIG Terrorismusfinanzierung im Sinne des § 278b iVm § 278d StGB betrieben hat“, bleibt angesichts der konstatierten Ausrichtung der Vereinigung, „terroristische Straftaten, sohin schwerwiegende strafbare Handlungen gegen Leib und Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit und das Vermögen, wie Mord, qualifizierte Körperverletzungen, schwere Sachbeschädigungen“ auszuführen (US 11), unklar. Dass „die Taten der HIG“ (gemeint: die Taten, auf deren Begehung die HIG ausgerichtet war) so beschaffen waren, dass sie geeignet waren, „eine schwere oder längere Zeit anhaltende Störung des öffentlichen Lebens oder eine schwere Störung des Wirtschaftslebens herbeizuführen“, hat das Schöffengericht in diesem Zusammenhang ebenso konstatiert wie die Begehung dieser Straftaten mit dem (ersichtlich gemeint [arg „Ziel“; vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 19]:) Vorsatz, „die Bevölkerung Afghanistans auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern, die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Grundstrukturen in den kontrollierten Gebieten zu zerstören und die Regierung Afghanistans zu zwingen, sie an der Regierungsmacht teilhaben zu lassen“ (US 11 f).

Welcher über die getroffenen Feststellungen– insbesondere zur Zielrichtung und Vorgangsweise der HIG und zu den von ihr verübten Anschlägen in den Jahren 2004 bis 2014 (US 6 ff) – hinausgehende Sachverhaltsbezug herzustellen gewesen wäre (vgl dazu RIS‑Justiz RS0119090), lässt die Beschwerde offen.

Die von der Rüge vermissten Feststellungen zur subjektiven Tatseite befinden sich auf US 12.

Mit Kritik an der Formulierung der rechtlichen Erwägungen im Urteil wird kein Nichtigkeitsgrund angesprochen (RIS‑Justiz RS0122721).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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