OGH 15Os10/17k

OGH15Os10/17k5.4.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. April 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Adamowitsch als Schriftführerin in der Strafsache gegen Helmy A***** wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 22. November 2016, GZ 606 Hv 4/16k‑53, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0150OS00010.17K.0405.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruht, wurde Helmy A***** des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 8. Mai 2016 in Wien seinen Sohn Stefan A***** dadurch, dass er ihm zuerst brühend heißes Wasser über das Gesicht schüttete und dann mit einem Messer auf ihn im Kopfbereich, an den Händen sowie im Bereich des Rückens einstach, wodurch dieser Verbrühungen im Bereich des Gesichts, beider Hände und an beiden Unterschenkeln, sowie insgesamt zumindest 15 Schnitt- oder Stichverletzungen im Bereich des Kopfes, des Nackens, der Schulter, über dem 10. Brustwirbel, am rechten Oberarm und im Bereich der Hohlhand links samt einer Teildurchtrennung des langen Streckmuskels des Daumens und der Strecksehne des Ringfingers erlitt, wobei die Stichbewegung gegen den Rücken durch einen Brustwirbel gestoppt wurde und es nur deshalb nicht zu einer lebensbedrohlichen Verletzung an den inneren Organen kam, zu töten versucht.

Die Geschworenen haben die anklagekonform gestellte Hauptfrage bejaht und die in Richtung § 11 StGB gestellte Zusatzfrage verneint, weshalb die Beantwortung der Eventualfragen nach Totschlag (§§ 15, 76 StGB), absichtlicher schwerer Körperverletzung (§ 87 Abs 1 StGB), Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85 Abs 2 StGB) und schwerer Körperverletzung (§ 84 Abs 4, Abs 5 Z 1 und 3 StGB) unterblieb.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 8 und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

Die Instruktionsrüge (Z 8) behauptet, die Geschworenen wären über „das Verhältnis zwischen Opfer und Affekt“ detaillierter zu belehren gewesen. Sie macht nicht klar, warum die den Geschworenen zur (unbeantwortet gebliebenen) Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlags (§§ 15, 76 StGB) erteilte Rechtsbelehrung, wonach es bedeutungslos ist, „ob das Opfer die Gemütsbewegung hervorgerufen hat“ (vgl Rechtsbelehrung S 13), sich auf die Beantwortung der Hauptfrage nach dem Verbrechen des Mordes (§§ 15, 75 StGB) in einer für den Angeklagten nachteiligen Weise ausgewirkt haben soll (RIS‑Justiz RS0111311, RS0110682 [T1]), zumal die reklamierte Belehrung, zwischen dem Affektanlass und der Person des Opfers müsse für den Täter ein psychologisch und sittlich allgemein begreiflicher Zusammenhang bestehen (vgl RIS‑Justiz RS0099233, RS0092077 [T1]), im Vergleich zur tatsächlich erfolgten Instruktion eine Einschränkung der Privilegierung darstellt.

Indem die Beschwerde unter diesem Nichtigkeitsgrund auch eine Belehrung davon vermisst, ob beim Angeklagten „fremdländische Sittenvorstellungen“ vorlagen, die „mitursächlich für das Aufkommen des Affektstaus zu erachten“ seien, spricht sie keine Rechtsfrage iSd § 321 StPO, sondern der Beweiswürdigung obliegende tatsächliche Umstände an.

Unter Berufung auf die Entscheidungen 12 Os 163/99 und 15 Os 119/10d sowie die Kommentarmeinung von Moos (in WK2 StGB § 76 Rz 36) behauptet die Instruktionsrüge, dass die Belehrung über den Begriff der „allgemeinen Begreiflichkeit“ einer heftigen Gemütsbewegung mangels Erläuterung, dass „fremdländische Sittenvorstellungen“ auch für Inländer noch als „sittlich verständlich“ beurteilt werden können, irreführend unvollständig geblieben sei. Sie übergeht dabei den Inhalt der Rechtsbelehrung, nach dem eine heftige Gemütsbewegung allgemein begreiflich ist, „wenn das Verhältnis zwischen dem sie herbeiführenden Anlass und dem eingetretenen psychischen Ausnahmezustand allgemein verständlich ist, wenn also ein Mensch von durchschnittlicher Rechtstreue sich vorstellen kann, auch er wäre unter den gegebenen Umständen in eine solche Gemütsbewegung geraten“, „die Ursache der heftigen Gemütsbewegung (…) sittlich verständlich sein“ muss und „nur dann, wenn dem Täter kein sittlicher Vorwurf gemacht werden kann, dass er in den Ausnahmezustand geriet, also nicht bei verwerflichen Beweggründen, (…) von allgemeiner Begreiflichkeit die Rede sein“ kann (Rechtsbelehrung S 13). Warum sich die zur unbeantwortet gebliebenen Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlags (§§ 15, 76 StGB) erteilte Rechtsbelehrung, die nicht die von der Beschwerde (der Sache nach) angesprochene Einschränkung auf die Wertvorstellungen von Inländern oder mit der österreichischen Rechtsordnung verbundenen Menschen vornimmt, sondern bei Prüfung der allgemeinen Begreiflichkeit einer Gemütsbewegung (somit bei der Annahme der Privilegierung des § 76 StGB) einen weitreichenderen Maßstab anlegt, auf die Beantwortung der Hauptfrage nach dem Verbrechen des Mordes (§§ 15, 75 StGB) zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben soll, legt die Beschwerde nicht dar (vgl Ratz, WK‑StPO § 282 Rz 24 und § 345 Rz 62; RIS‑Justiz RS0122334).

Bleibt anzumerken, dass bei Prüfung der allgemeinen Begreiflichkeit einer Gemütsbewegung unter Anlegung eines individualisierenden objektiv-normativen Maßstabs vom Verhalten eines rechtstreuen Durchschnittsmenschen auszugehen ist, der mit den durch die inländische Rechtsordnung geschützten Werten innerlich verbunden ist (RIS‑Justiz https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0092072&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False ). Eine in anderen Sittenvorstellungen wurzelnde höhere Affektanfälligkeit von aus einem anderen Kulturkreis stammenden Personen ändert somit nichts daran, dass deren heftige Gemütsbewegung nach österreichischen Wertvorstellungen als sittlich verständlich zu beurteilen ist, um privilegierend iSd § 76 StGB wirken zu können (vgl 11 Os 151/16i).

Die Tatsachenrüge (Z 10a) spricht mit aus ihrer Sicht gegen die „Verneinung der allgemeinen Begreiflichkeit“ einer heftigen Gemütsbewegung sprechenden Bedenken nicht die Richtigkeit von im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten (entscheidenden) Tatsachen, sondern die Lösung einer – schon vom Schwurgerichtshof bei der Feststellung der an die Geschworenen zu richtenden Fragen zu beantwortenden (vgl Schindler, WK‑StPO § 314 Rz 26; 12 Os 122/86) – Rechtsfrage an (RIS‑Justiz RS0092277; Moos in WK2 StGB § 76 Rz 26) und verlässt damit den Rahmen des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§§ 285i, 344 StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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